Viele Jahrhunderte ruhte, abgesehen von einigen künstlerischen Versuchen, so von Bert Brecht oder Derek Jarman, Edward II. nach seiner Hinrichtung in seinem Grabe, ehe gleich zwei Opernkomponisten innerhalb von drei Jahren sich des ebenso lustfreudigen wie gegenüber den Sorgen seines Volkes unempfindlichen englischen Königs annahmen und ihn zum Helden einer Oper machten. An der Deutschen Oper Berlin wurde Andrea Lorenzo Scartazzinis Edward II. uraufgeführt, gleich fünf europäische Opernhäuser und ein amerikanisches (zuletzt im April dieses Jahres Hamburg, davor als Uraufführung London, dazu noch beteiligt die Dutch National Opera Amsterdam, Lyon, Chicago, Madrid und Barcelona) widmeten bzw. widmen sich George Benjamins Lessons in Love and Violence, komponiert auf das Libretto von Martin Crimp. in dem zwar nie der Name des Königs fällt, wohl aber sein Schicksal abgehandelt wird. Beide Opern stellen dem König denselben Liebhaber unter vielen, nämlich Pier de Gaveston, an die Seite, obwohl diesem neben anderen noch zwei ebenso prominente, nämlich Roger d’Amory und der besonders verruchte, dämonische Hugh le Despenser, folgten.
Aus der Aufführung in Amsterdam stammt die vorliegende CD, auch eine DVD existiert, bei der Regie, Dirigent und Sänger identisch sind mit denen der Londoner Uraufführung.
Nicht meckern sollte man über ein unzulängliches Booklet ohne Libretto und Verzeichnis der Tracks ohne Angabe der singenden Personen, sondern zuerst nach der zweiten der beiden CDs suchen, um dabei auch ein zweites Büchlein mit allen notwendigen und nützlichen Angaben zu finden, die den Genuss der CDs beträchtlich erhöhen.
Erstaunlich ist, dass sowohl der König wie sein Liebhaber von dunklen Stimmen gesungen werden, die man, wenn man das Libretto zunächst nicht zur Verfügung hatte, nicht von vornherein voneinander unterscheiden kann. Insbesondere dem Gaveston hätte eine Tenorstimme gut angestanden, allerdings versteht man die Wahl des Komponisten besser, wenn man zu der Szene gelangt, in der der bereits tote Liebhaber dem König in der Person des Stranger seinen nahenden Tod verkündet. Gyula Orendt singt den zunächst noch Lebenden mit farbigem, geschmeidigem Bariton, klingt als Stranger gewollt dumpfer und düsterer. Eine etwa leichtere Baritonstimme setzt Stéphane Degout für den König ein, ein sympathisches Timbre, das zu zärtlichen Tönen wie in „How can I love you“ oder in der vierten Szene des ersten Teils findet. Eher als in den Stimmen findet man in den Orchesterfarben, in den irrlichternden Crescendi, der Wahl der Instrumente wie der des Cimbalons Erotisches, aber auch Schrilles. Die erotische Szene („Then touch me“) zwischen Königin und Mortimer spiegelt sich in seinen Klängen. Immer wieder vollziehen sich mit dem Nederlands Radio Philharmonic Orchestra unter der Leitung des Komponisten, so in der zweiten Hälfte des ersten Teils, wahre akustische Exzesse. Eine weitere dunkle Stimme gesellt sich zu denen des Liebespaars mit der von Andri Björn Róbertsson, der den Madman singt. Einen gestandenen, viril klingenden Tenor hat Peter Hoare für den Mortimer, den schließlich auch das Schicksal derjenigen ereilt, die er selbst auf dem Gewissen hat. Verantwortlich dafür ist der junge König, für den Samuel Boden eine zarte, androgyn klingende Tenorstimme hat. Sanft klagend oder nervös vibrierend, nie schrill aber bei aller Verhaltenheit intensiv („Then stay in the dark“) äußert sich die Königin Isabel, der Barbara Hannigan ihre Stimme verleiht.
Man kann gespannt darauf sein, ob eines und welches der beiden Edward-Stücke den Weg auf weitere Bühnen finden und zum gängigen Repertoire werden wird (Nimbus 5976). Ingrid Wanja