Sol y vida nennt sich Elīna Garančas Ausflug ins Cross-Over-Geschäft bei DG und lässt Spanisches vermuten, was nur zum Teil zutreffend ist. Den umfangreichen Mittelteil bilden Canzoni von Tosti, de Curtis und Co, die gern für neapolitanisches Liedgut gehalten werden, eigentlich Salonmusik sind und vorzugsweise von Tenören, unlängst erst von Jonas Kaufmann, gesungen werden. Nun singen Soprane und Mezzosoprane seit einiger Zeit auch Die Winterreise, warum dann nicht italienische Canzonen. Der lettische Mezzosopran interpretiert sie nicht als naives Sichverschwenden kostbaren Materials wie einst beispielhaft Giuseppe Di Stefano, auch nicht als elegante Salonstücke, sondern wie Opernarien. Bei Cardillos Core ngrato trumpft auch das Orchester mächtig auf`, offenbart sich das Timbre als sehr preziös, wird sehr getragen gesungen, und auch bei de Curtis‘ Torna a Surriento erfreut natürlich die Stimmpracht, die Raffiniertheit des Singens, doch fehlt das Herz, das andere Interpreten in ihren Vortrag legten, erschlägt die allzu große vokale Geste fast das Stück. Non di scordar di me des selben Komponisten wird von einem unangenehm schmalzigen, überproportionierten Orchester begleitet, während die Sängerin der Canzone allzu viel Verinnerlichung angedeihen lässt, aber das Lächeln fehlt, das eigentlich diesen Stücken bei aller Traurigkeit innewohnen sollte. „Zu viel“ möchte man mit Tannhäuser ausrufen, wenn die zugegeben wundervolle Stimme viel Kunstvolles produziert, während doch der Charme von Musica proibita woanders liegt. Weniger dick wird Non t’amo più vom Orchester begleitet, doch der Mezzo bleibt tränenschwer, mit Überschwermut wird das Stück belastet. Auch Marechiare holt aus zu Operneffekten, alles klingt wunderschön, ist aber seines Charakters beraubt.
Die Stücke in spanischer Sprache, sei es aus Europa, sei es aus Südamerika, klingen schon einmal durch das härtere Idiom authentischer. Granada beginnt verinnerlicht, wo andere Sänger bereits aufdrehen, hier gibt es, und das ist gut, kein generelles Sichaufplustern der Stimme, sondern eine differenzierende Interpretation. Das Orquesta Filarmónica de Gran Canaria unter Karel Mark Chichon ist hier hörbar in seinem Element. Eine schöne Verhaltenheit zeichnet La Llorona aus, viel Flexibilität und Leichtigkeit Vai lavar a cara. Besonders schön wird es, wenn sich die Begleitung fast nur auf die Gitarre beschränkt, so im Gracias a la vida von feiner Melancholie. Insgesamt wird sehr viel mehr vom Charakter der Musik erfasst als bei den italienischen Stücken. Zu Piazzollas Maria passt der kleine Schuss Ordinäres, den die Stimme der Garanċa hier annehmen kann, sehr schön geradlinig, sehr erfüllt hört sich Hermidas Lela an, und den angemessenen Zarzuela-Stil hält die Sängerin für No puede ser bereit. Recht weichgespült klingt Gardels El dia, und Barrosos Brazil beschließt die CD mit so unterschiedlichen Eindrücken auf den Hörer, dass er sie weder in ihrer Gesamtheit bejubeln noch verdammen mag (Deutsche Grammophon 483 6217). Ingrid Wanja