Britanic Heroe

 

Edward Elgars Liebe zu den Malvern Hills, einem Höhenzug zwischen Worcestershire und Herefordshire in England, inspirierte ihn zu manch einer Komposition. So auch im Falle des kaum mehr bekannten Werkes Caractacus, einer Königin Victoria gewidmeten Kantate in sechs Szenen für Sopran, Tenor, Bariton, zwei Bassisten, Chor und Orchester, die 1898 ihre Uraufführung erlebte, also kurz vor Elgars Durchbruch mit den Enigma Variations von 1899. Im Zentrum der Handlung steht ein britischer Stammesführer, der die römischen Invasoren bekämpft, schließlich aber auf den Malvern Hills besiegt und nach Rom gebracht wird. Dort sieht er seinem Prozess entgegen, beeindruckt Kaiser Claudius (reg. 41-54 n. Chr.) allerdings dergestalt, dass ihn dieser begnadigt. Hyperion legt dieses fast vergessene, knapp 100-minütige Frühwerk Elgars nun in einer zwei CDs umfassenden Einspielung vor (CDA68254). Zwar wird man Caractacus schwerlich unter die kompositorischen Meisterwerke dieses Komponisten rechnen können, doch stellt die Kantate gleichwohl einen wichtigen Schritt hin zum zwei Jahre später entstandenen Oratorium The Dream of Gerontius dar. Am berühmtesten ist sicherlich der für sich einnehmende Triumphmarsch, der die Schlussszene dominiert, allerdings ein falsches Bild vom Gesamtwerk abgibt, welches eher lyrisch angelegt ist.

Die Neueinspielung stellt tatsächlich gerade erst die dritte Aufnahme überhaupt dar. Ihr gingen voran eine Produktion von 1977 unter Charles Groves (EMI) sowie eine 1992 entstandene Einspielung unter Richard Hickox (Chandos). Hyperion konnte mit Martyn Brabbins einen der führenden lebenden Dirigenten des britischen Repertoires gewinnen. Es spielt das Orchestra of Opera North aus Leeds, begleitet von der Huddersfield Choral Society aus West Yorkshire. Auch die Neueinspielung kann gewisse Mängel des Librettos von Henry Arbuthnot Ackworth nicht vergessen machen. Tatsächlich ist der etwas holprige Text eine Schwachstelle, die Muttersprachlern indes noch deutlicher werden dürfte.

Insgesamt sehr gut ist die Vokalbesetzung. Dies beginnt bereits in der Titelpartie, welche der Bariton Roland Wood übernimmt. Sein würdevolles Portrait des britannischen Helden kulminiert in dessen larmoyanten Klage „O my warriors“ in der vierten Szene, nachdem die Römer die Briten besiegt haben. Nicht weniger beeindruckend die Sopranistin Elizabeth Llewellyn in der Rolle von Eigen, Caractacus‘ treuherziger Tochter. Mit tadelloser Diktion und leidenschaftlicher Hingabe zeichnet sie die einzige weibliche Partie des Werkes nachhaltig. In der Tenorrolle des Orbin agiert Elgan Llyr Thomas, dessen jugendliche Darstellung ein Pluspunkt ist, auch wenn es ihm hie und da ein wenig an Durchschlagskraft mangelt. Die beiden Bassisten haben vergleichsweise wenig zu bewältigen. Christopher Purves fungiert zunächst als Erzdruide (Szenen I und II), später in der Minirolle des Barden. Er ist genauso überzeugend wie der in dieser Sängerbesetzung sicherlich bekannteste Vertreter, Alastair Miles, der den Kaiser Claudius übernimmt, eine Partie, die er bereits vor einem Vierteljahrhundert unter Hickox eingespielt hat.

In diesem Zusammenhang muss auch die bravouröse Leistung des Chores betont werden. Die  Huddersfield Choral Society, die schon unter Sir Malcolm Sargent Elgar-Erfahrung sammelte, weiß in allen Situationen für sich einzunehmen. Schließlich das Orchester der Opera North, welches ebenfalls in Sachen Elgar bestens bewandert ist und durch das temperamentvolle Dirigat angespornt wird. Überhaupt zeichnet sich Brabbins‘ musikalische Leitung dadurch aus, dass sie eben nicht nur die überraschend wenigen pompösen Momente in ihrer vollen Pracht ausspielen, sondern eben auch die vielfältigen pastoralen Passagen mit den ihnen eigenen Charme erklingen lässt.

Insgesamt bringt es die Neuaufnahme fertig, für sich modernen Referenzstatus zu beanspruchen. Sie gibt ein Plädoyer ab für dieses recht obskure Werk der späten viktorianischen Ära, als sich das Britische Weltreich auf seinem Zenit befand. Obwohl insgesamt schwerlich ein Meisterwerk, weist Caractacus doch einige hörenswerte Passagen auf und stellt ein wichtiges Bindeglied zu Elgars späteren Oratorien-Erfolgen dar. Die vorbildliche Klangqualität rundet den sehr guten Gesamteindruck ab und unterstreicht das Gesagte. Daniel Hauser

 

Original britisch, wenn auch nicht viktorianisch, wird es bei der Auswahl von Orchesterliedern von Edward Elgar The Hills of Dreamland, die bei SOMM (SOMMCD271-2) auf zwei CD erschienen, wobei nur die erste Orchestral Songs beinhaltet und die zweite, auf der Nathalie de Montmollin mit der Klavierbegleitung durch Barry Collett in 37 Minuten elf Lieder singt  – bei einigen handelt es sich um die urspürglichen Klavierfassungen der späteren Orchesterlieder –  als Bonus-CD angehängt ist (Two CDs fort he price of one). Bei Elgar denkt jeder an die berühmten Sea Pictures von 1899. Nicht zu unrecht. Auch diese von Barry Wordsworth und dem BBC Concert Orchestra gespielte Auswahl entwickelt in einigen Liedern eine stimmungsträchtige Sogkraft und einen romantischen Zauber, der dazu verführt, die CD mehrfach zu hören.  Es handelt sich um den Zyklus op. 59, die beiden Songs op. 60, die Lieder Pleading op. 48, Follow the Colours: Marching Song for Soldiers und The King’s Way sowie die Bühnenmusik zur keltischen Saga Grania and Darmid. Die fünf Lieder op. 59 von 1909 sind größtenteils elegische, doch nie langweilige Gesänge, in denen Kathryn Rudge ihren Mezzosopran leidenschaftlich und expressiv im erotisch angehauchten The Wind at Dawn, zu dem 1888 Elgars spätere Gattin den Text geschrieben hatte, schwelgen lässt und der Bariton Henk Neven für die introspektiven Momente und die gewitzten Pipes of Pan zuständig ist. Rudge klingt ausgesprochen vorteilhaft in dem straussisch spätromantisch ausgemalten Pleading und dem ironischen King’s Way, Nevens schlankpolierter Bariton bleibt auch in dem als Auftragswerk entstandenen Militärmarsch dezent ausdrucksvoll und nimmt dem vordergründigen Stück etwas von seinem Pomp. Der Begriff Bühnenmusik im Zusammenhang mit dem Prosastück von W.B. Yeats und George Moore Grania and Diarmid von 1901 – im gleichen Jahr wie die ersten beiden Pomp and Circumstance- Märsche entstanden – weckt falsche Erwartungen. Es handelt sich bei der Bühnenmusik für diese Geschichte um den Tristan-Vorgänger Diarmuid um drei kleine Stücken: ein schönes Vorspiel mit Horn- und Trompeten-Signalen, die in die irisch-keltische Sagenwelt einführen, einen Totenmarsch für den Helden Diarmid bzw. Diarmuid und einen Song für Soloalt.  R. F.