Erinnerung an eine Tenor-Legende

 

Immer wieder findet der Sammler bei Naxos interessante Neueinspielungen, welche den Rahmen der gängigen Werke verlassen und originelle Programme oder Novitäten offerieren. So auch bei einer Neuveröffentlichung mit dem Titel Total Eclipse – Music for Handel’s Tenor (8.573914). Gemeint ist John Beard, der von 1716 bis 1791 lebte und erstmals die Aufmerksamkeit des Komponisten erweckte, als er 1732 – als 16jähriger und noch Mitglied des Chores in der Chapel Royal – ein kurzes Solo des Israelitischen Priesters in Esther sang. Zwei Jahre später trat er bereits in Covent Garden auf (Silvio in Il pastor fido) und 1736 interpretierte er den speziell für ihn geschriebenen Part in Alexander’s Feast. In Folge war  Beard in jedem Oratorium Händels besetzt – eine Zusammenarbeit, die bis zum Tod des Komponisten 1759 währte.

Für einen solch legendären Sänger, der  Händels kompositorisches Schaffen nachhaltig beeinflusste, was sich besonders in seinen Oratorien niederschlug, den geeigneten Sänger für eine heutige Interpretation zu finden, ist ein schwieriges Unterfangen. Der Dirigent der Aufnahme, Stephen Stubbs, Artistic Director des Boston Early Music Festival, hatte für seine Einspielung von Charpentiers La Descente d’Orphée aux enfers 2015 in Los Angeles den GRAMMY Award verliehen bekommen. Die Titelrolle in diesem Werk war dem Tenor Aaron Sheehan anvertraut worden, dem Stubbs  auch der ideale Händel-Sänger schien, nachdem er 2014 mit ihm und dem Pacific MusicWorks Orchestra den Jupiter im Oratorium Semele interpretiert hatte. Die Idee für eine gemeinsame Arbeit resultiert in dieser CD-Produktion, die im Februar 2017 in Washington entstand.

Mit einem Ausschnitt aus Alexander’s Feast – Beards erstem Erfolg – beginnt das Programm. Die Arie „The princes applaud with a furious joy“ bringt sofort die Vorzüge des Sängers ans Licht – exemplarische Diktion und expressive Deklamation. Genau wegen dieser Qualitäten wurde Beard von Händel so geschätzt. Sheehan verfügt darüber hinaus über eine angenehm timbrierte, baritonal grundierte Stimme, welche genügend flexibel geführt wird, um die langen Koloraturgirlanden zu bewältigen. Dies ist in der nächsten Arie, „The enemy said“ aus Israel in Egypt zu hören. Aus dem Oratorium Saul wurden zwei Arien ausgewählt – „No, cruel father“ aus dem 1. und „But sooner Jordan’s stream“ aus dem 2. Akt. Sie schildern den Konflikt Jonathans, den geliebten Freund David töten zu müssen, was Aaron Sheehan mit sensibler Empfindung wiedergibt und dabei auch die lyrische Qualität seines Tenors zeigen kann. Aus Händels berühmtesten Oratorium, Messiah, erklingen sogar drei Arien. Das Arioso „Behold and see“ und die Arie „But thou didst not leave his soul“ werden mit schmerzlichem und gleichermaßen tröstendem Ausdruck formuliert. „Thou shall break them“ ist dagegen ein energisch aufbegehrendes Stück, das von Sheehan eine dramatisch resolute Wiedergabe erfährt.

Den größten Raum der Programmfolge, nicht weniger als fünf Arien, nehmen Ausschnitte aus Samson ein. Sie alle sind dem Titelhelden zugeordnet und in ihrem Charakter höchst unterschiedlich. Das stellt den Interpreten vor entsprechende Herausforderungen und Aaron Sheehan meistert sie imponierend. „Torments, alas“  ist ein schwermütiger, gramvoller Gesang, “Total eclipse!“ (die Arie, welche der Ausgabe den Titel gab) gleichfalls von bedrückter, depressiver Stimmung, „Why does the God of Israel sleep?“ am Ende des 1. Aktes dagegen von kraftvollem Duktus und mit nachdrücklichen Koloraturläufen ausgestattet. „Your charms to ruin led the way“ aus dem 2. Akt ist eine von Händels wunderbaren Eingebungen in sanft wiegendem Melos, wofür Sheehan einen schmeichelnden Tonfall findet. Den Abschluss bildet „Thus when the sun from’s wat’ry bed“ aus dem 3. Akt, das ähnlich lieblich und tröstend ertönt und den Interpreten noch einmal ins hellste Licht rückt. Mit dieser Ausgabe hat er sich als legitimer Nachfolger von so bedeutenden englischen Oratoriensängern wie Alexander Young, Stuart Burrows und Anthony Rolfe Johnson etabliert.

Gemäß der historischen Tradition, bei Aufführungen von Händels Oratorien Concerti grossi als Zwischenmusiken zu spielen, finden sich auch in dieser Anthologie zwei Werke dieser Gattung – op. 3, Nr. 2 und op. 6, Nr. 7. Hier kann Stephen Stubbs mit dem Pacific MusicWorks Orchestra neben der einfühlsamen Begleitung des Solisten auch seine reiche Erfahrung als Dirigent barocker Orchesterwerke einbringen. Bernd Hoppe