Die Husaren kommen

 

Einsam wiegt sich der Husar in Erinnerungen, „Denkst du daran“. Ausgerechnet auf das Schloss seiner Väter wird Oberleutnant von Lörenthy zum Herbstmanöver abkommandiert. Wie sein Nachkomme, der verarmte Graf Tassilo in der Gräfin Mariza, hockt er als „Zaungast des Glücks“ und rechtmäßiger Erbe vor dem Schloss, in dem ausgelassen gefeiert wird und das er sich zu betreten weigert. Denn darin residiert seine Jugendliebe Baronin Riza von Marbach, die ihn einst wegen eines reichen Rivalen verließ, welcher Lörenthy die Frau und sein Schloss nahm. Eine Wiederbegegnung mit der inzwischen verwitweten Riza ist ebenso unausweichlich wie das glückliche Ende. Für Riza riskiert Lörenthy das unehrenhafte Ende seiner militärischen Laufbahn, wird begnadigt und kann fortan „Tanzen wie ein Schneidergesell und trinken wie ein Bürstenbinder“. Wir wissen nicht, was ein Wehrbeauftragter zu diesem Manöver und den Finten, mit denen der Husar vor einem unehrenhaften Ende bewahrt wird, sagen würde, doch das Publikum im Theater an der Wien war am 22. Januar 1909 von dem Zeitstück mit den feschen Husaren angetan, „johlte Beifall“ über die zu Karikaturen verkommenden Offiziere und sorgte dafür, dass Ein Herbstmanöver zu Emmerich Kálmáns erstem Erfolg wurde. Hervorgegangen aus seiner im Vorjahr am Budapester Lustspieltheater uraufgeführten und bescheiden als Vaudeville bezeichneten Tatarenplage (Tatárjárás) gelangte das Herbstmanöver auf rasante Weise noch 1909 als The Gay Husars nach New York, wurde im gleichen Jahr in Moskau und Berlin gespielt.

Im Juni 2018 auch im Stadttheater Gießen, das sich an Kálmáns längst verklungenen Früherfolg erinnerte und sich aus Budapest Verstärkung in Gestalt von Bálázs Kovalik und seiner ersten Operetteninszenierung holte. Im Beiheft der nun auf einer CD erschienen Ersteinspielung (Oehms OC 977) erzählt Kovalik anschaulich von der Arbeit an der Gießener Fassung, “Vom Herbstmanöver gibt es lediglich eine einzige, handschriftliche Ur-Partitur im Kálmán-Archiv in Los Angeles. In Budapest existieren vor allem Stimmbücher; es ist ein marodes, konfuses Material, da es wegen des Erfolges es des Werkes oft herumgeschickt, nachbearbeitet und vielfarbigen Strichen versehen wurde. Trotzdem hat es Spaß gemacht, das alte Material zu studieren, zu sehen, wie damals ein solches Stück gespielt wurde, und daraus eine neue Gießener Partitur zu editieren.“  Spaß gemacht hat seinerzeit offenbar auch die anspielungsreiche Gießener Aufführung, die man wohl besser als DVD veröffentlicht hätte. Michael Hofstetter präsentiert das Ergebnis – „Gießener Dialogfassung von Balázs Kovalik, Ergänzende Gesangstexte und Dramaturgie von Matthias Kaufmann“ – mit Gusto, ohne den Funken überspringen zu lassen. Herbstlich verhalten. Die teilweise eingestreuten Sprechszenen wirken auf der CD so steif wie in den alten Operetteneinspielungen vom WDR oder NDR. Schade, dass die Nummern ohne Hinweis auf Figuren und Interpreten auf der Trackliste aneinandergereiht wurden. Klar, das „Lied des Lörenthy“ wird von dem kroatischen Bariton Grga Peroš, der den Csárdáskavalier ein wenig steifleinen und eingeschnappt gibt, was sicher auch an der Rolle liegt, mit wohltönend breitem Bariton und schmachtendem Schmerz gesungen, dazu gehören auch das vom Zigeunerprimas begleitete „Lied und Tanz des Lörenthy“. Einige Nummern stammen aus Der gute Kamerad, darunter das Pumper-Duett („Komm und zeig es mir“) – leider fehlt verzichtet das Beiheft auf die Gesangstexte -, das Gießens wandelbarer, witzig sprühender Buffobariton Tomi Wendt als Leutnant der Reserve Wallerstein und der Schauspieler Rainer Hustedt als Gutsverwalter Kurt singen. Den ursprünglich als Hosenrolle konzipierten Freiwilligen Marosi singt Clemens Kerschbaumer, insbesondere in seinem „Kusslied („Die kleine Gretel küsste gern“) mit drahtig schlankem Tenor. Christiane Boesiger entfaltet als Riza die Aura einer etwas angejahrten serösen Operetten- Primadonna alten Schlags („Seh ich dich strahlen“), und Marie Seidler ist soubrettenzart und schön timbriert die in Lörenthy verliebte Feldmarschalls-Tochter Treszka, die schließlich mit Marosi vorliebnimmt. Noch nicht ganz auf der Höhe der Csárdásfürstin, die es musikalisch in manchen Details vorwegnimmt, ist Ein Herbstmanöver ein unverkennbarer Kálmán-Erfolg: melancholisch umflort, Walzer nostalgisch, mit trotzigen Märschen, ein Abgesang auf die Zeit der Husarenherrlichkeit und ein Jahrhundert, zugleich aufmüpfig genug, sich im Strudel der Silbernen Operette zu behaupten. Rolf Fath