Frau singt Frau

 

„Du bist wie eine Blume“ würde man wohl schwerlich auf einer Sammlung kroatischer Kunstlieder erwarten. Neben der Heine-Vertonung finden sich unter den Vorlagen auch Gedichte Goethes, Lenaus, „An die Tanne“ aus der Sammlung Des Knaben Wunderhorn und ein viergliedriger Zyklus von Anna Ritter, die um 1900 erste Gedichtsammlungen veröffentliche und sich als Mitarbeiterin der „Gartenlaube“– und der Stollwerck-Sammelalben einen Namen machte. Die sieben Komponisten, den sich die kroatische Mezzosopranistin und Pädagogin Nataša Antoniazzo zusammen mit ihrer Begleiterin Mia Elezvić in September 2018 in Zagreb widmete, dürften hierzulande weitgehend unbekannt sein (Antes BM319302). Mit Ausnahme vielleicht von Ivan Zajc (1832-1914), dessen Nikola Subic Zrinjski von 1876 heute noch zum Standardrepertoire kroatischer Bühnen gehört, und dem Begründer der kroatischen Oper Vatroslav Lisinski (1819-54), dessen Liebe und Arglist von 1846 als Antwort auf die kulturelle Vorherrschaft Ungarns eine eigenständige kroatische Oper begründete.

Als Vertreter der Moderne werden Gräfin Dora Pejačević und Blagoje Bersa bezeichnet, deren Werke zu Beginn des 20. Jahrhunderts erstmals erklangen und dem Klavierpart eine wichtige Stimme geben. Der Schwerpunkt mit der Auswahl deutscher Gedichte soll das kroatische Kunstlied einem internationalen Publikum schmackhaft machen, was den Liedern, die im Stil der romantischer Salonlieder des 19. Jahrhunderts gehalten sind, ohne weiteres gelingt. Antoniazzos schwerer Mezzosopran schattiert den schwermütigen Stimmungshalt dunkel ab – darunter Bersas „La fête des morts“ und als umfangreichstes Beispiel Bersas Allerseelen-Lied „Seh duš dan“ – und verstärkt die oftmals melancholische Grundierung der Lieder.
Eine sehr schöne – klug zusammengestellte, ansprechend gestaltete und illustrierte – Auswahl von Liedern Bohuslav Martinůs kommt aus Prag (Supraphon SU 4235-2), wo die Sopranistin Martina Janková und der Bariton Tomás Král mit dem Pianisten Ivo Kahánek im Juni 2017 im Martinů-Saal der Musikhochschule vier Lied-Zyklen Martinůs nach slowakisch-mährischer Volkspoesie aufnahmen. In der Kürze liegt die Würze. 52 Lieder auf einer CD! Möglich wird dies durch die Liedchen auf einer Seite und die Liedchen auf zwei Seiten, prägnanten und überaus reizvollen Minutenliedern aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, die Martinů 1943 bzw. 1944 zu Zyklen mit jeweils sieben Liedern und 8 Minuten Aufführungsdauer zusammenband. Außerdem die dreißig im Entstehungsjahr 1920 uraufgeführten Slowakischen Lieder und die acht 1942 Jan Masaryk gewidmeten in New York entstandenen und im Folgejahr dort von Jarmila Novotná – die in ihrer Autobiografie schrieb, „I wore a folk costume, which the audience loved“ – erstmals aufgeführten Lieder Der neue Spaliček; Spaliček war Martinůs 1933 in Prag uraufgeführtes Ballett nach volkstümlichen Motiven. Der auch in seinen Bühnenwerken niemals geschwätzig ausholende Martinů zeigt sich in den Liedern von einer ausgesprochen liebenswürdigen Seite. Geradezu berührend die Schlichtheit, der gerade Ausdruck und die dennoch equilibristische Vielseitigkeit der Lieder, über die Martinů sagte, dass er sie „schrieb, wenn er nicht komponierte“. Allein die ungemeine Fülle seiner Lieder zeigt, dass sie für ihn schwerlich zweitrangig waren, sondern eher ein Feld experimenteller, kühner Fingerübungen darstellten. Janková und Král bringen die Lieder ausgezeichnet zur Geltung, sie mit einem reschen Sopran, er mit einem sprechenden Bariton. Gerade in den lapidaren, durchaus originellen im amerikanischen Exil entstandenen Liedchen auf einer Seite bzw. Liedchen auf zwei Seiten bestechen sie durch rhythmische Flexibilität und hüpfende Hurtigkeit; leider hat meine CD immer wieder Aussetzer. Die während eines Sommers in der Slowakei 1920 entstandene Bearbeitung einer Sammlung von Volksliedern für Klavier und Gesang, die Slowakischen Lieder, verlangen den Solisten expressiveren Ausdruck und größere stimmliche Reichweite ab, was der Sopranistin mit drallem Temperament oder kräftigem Ausdruck (Nr. 51) und dem Bariton im zartesten Piano, beispielsweise im „Abendstern“ (Nr. 23) und „Verlassenen Liebhaber“ (Nr. 46), am schönsten gelingt; stets unterstützt vom musikantisch prachtvollen Klavierton des Ivo Kahánek. „Im Unterschied beispielsweise zu Janacek, der sein ganzes Leben lang mit Volksliedern in Berührung stand und diese auch selbst sammele und theoretisch auswerte“, so im Beiheft, „kannte Martinů Volkslieder praktisch nur aus gedruckten Sammlungen“.
Frau singt Frauen.

 

Neben fünf Liedern Clara Schumanns heißt das für die polnische Mezzosopranistin Urszula Kryger in ihrem Vierländer-Umblick „Women of Music“ Lieder von Irène Wieniawski, Cécile Chaminade und Agathe Backer-Grøndahl. Die in Belgien geborene jüngste Tochter des polnischen Geigers Henryk Wieniawski, die sowohl unter ihrem Geburtsnamen Wieniawski wie unter ihrem Pseudonym Poldowski veröffentlichte, wurde ausgebildet in Brüssel, Paris und London, wo sie sich niederließ und 1901 einen Nachkommen des Duke of Marlborough heiratete. Von ihren knapp zwei Dutzend Verlaine-Vertonungen finden sich auf der CD (Dux 1524) die impressionistisch durchwobenen „L’heure exquise“ und „Cythère“, dazu die nach dem Tod ihres Erstgeborenen entstandene „Berceuse d’amorique“ mit dem Text von Anatole le Braz. Wie im Fall der künstlerisch umtriebigen, kosmopolitischen Komponistin und Salonière Irène Wieniawski, sind auch die Biografien der Französin Cécile Chaminade (1857-1944) und der Norwegerin Agathe Backer-Grøndahl (1847-1907, die ebenso wie Wieniawski sehr früh ihre musikalische Begabung unter Beweis stellten und als Pianistinnen international gefeiert wurden – die von Grieg geförderte Backer-Grøndahl bezeichnete Shaw als Nachfolgerin Clara Schumanns – geradezu aufregend und zeigen wie vernetzt die Musikwelt des ausgehenden 19. Jahrhunderts war. Während Chaminades Oeuvre, darunter die wirkungsvollen und brillanten Lieder, eine kleine Renaissance erfahren hat, gilt es die durchaus anspruchsvollen, zwischen 1872 und 1907 entstandenen Lieder der Backer-Grøndahl zu entdecken, darunter die vier Lieder op. 65 von 1904. Alle Lieder sind weit mehr als Gelegenheitsstücke, deren Klavierpart Agata Górska-Kolodziejska mit großer Achtsamkeit spielt, Kryger zeigt als vielseitige und stilistisch versierte Liedsängerin. Die nur knapp 40 Minuten Spielzeit verhindern, dass unser Interesse nachlässt.
Zu Krygers umfangreicher Diskographie gehört auch eine Einspielung der Lieder Chopin. DUX stellt jetzt eine bereits 1988 entstandenen Aufnahme ihrer Landsmännin Henryka Januszewska zur Verfügung (Dux 1497), die wegen der stimmlichen Delikatesse und des sprechenden Ausdrucks Januszewskas sowie Marek Drewnowskis sensibler Klavierbegleitung eine Wiederveröffentlichung verdient hat. Der Reiz der über einen Zeitraum von zwanzig Jahren entstandenen und nach Chopins Tod als Sammlung veröffentlichten Lieder entfaltet sich in dieser aparten Aufnahme auf besondere Weise. Rolf Fath