Unbekannter Paisiello

 

Von Giovanni Paisiellos etwa 100 Bühnenwerken konnten sich nur Il barbiere di Siviglia und Nina auf den Spielplänen behaupten. Da kommt Filippo Mineccias neue CD bei Pan ClassicsThe Paisiello Album – gerade recht, ermöglicht sie doch die Bekanntschaft mit unbekannten Kastratenarien aus verschiedenen drammi per musica des Komponisten auf Libretti von Metastasio. Paisiellos Stil ordnet man eher leichteren Werken von heiterem Charakter zu, aber die Eingangsarie des Alessandro, „Meglio rifletti“, aus Antigono beweist, dass der Komponist sich durchaus auch im heroischen Metier auskannte. Er schrieb die Partie für Angiolo Monanni, genannt  Manzoletto, der sie 1875 in Neapel kreierte. Der italienische Counter Mineccia singt sie mit klangvoller, resonanter Stimme und energischem Ausdruck. Die Ausflüge in das hohe Register gelingen hier perfekt.

In der Auswahl finden sich noch weitere Arien für Manzoletto, so die des Arbace aus Catone in Utica, „So che pietà non hai“, die 1789 ebenfalls in Neapel zur Uraufführung kam. Es ist ein getragenes Stück, das die  Schönheit von Mineccias Stimme besonders herausstellt. Auch der Titelheld in Artaserse wurde für diesen Kastraten komponiert, doch stammt dieses Werk von Felice Alessandri, einem Zeitgenossen Paisiellos. Dessen Arie „Deh respirar lasciatemi“schildert die Zweifel der gespaltenen Titelfigur, was Mineccia mit erregtem Duktus (und einigen aus dem Lot geratenen Spitzentönen) ausdrückt.

Dass Manzoletto einer der führenden Sänger jener Zeit in Neapel war, beweist, dass auch Domenico Cimarosa für ihn geschrieben hat. Pilades große Szene aus Oreste von 1783 mit Rezitativ und Arie („Oreste, Elettra, o stelle!/Ah che in petto“) steht am Ende der Auswahl und zeigt noch einmal Mineccias Kunst, eine dramatische Situation zu schildern und das Herzklopfen der Musik in charaktervolle Töne umzusetzen.

Schließlich findet sich mit Giacomo Tritto (1733 – 1824) noch ein weiterer Komponist, der in der Karriere von Manzoletto von Bedeutung war. In dessen Artenice sang er bei der Uraufführung am Teatro di San Carlo 1784 den Oronteo. Seine Arie „Guarda s’inbruna il cielo“steht für das Modell der klassischen Sturmarie, welche die Verdunklung des Himmels, das Erwachen der Winde und das Anwachsen des Sturmes schildert. Mineccia weiß das mit seiner Stimme von erregtem Vibrato imposant zu verdeutlichen.

Ein anderer Kastraten-Star jener Epoche war Giovanni Rubinelli, der in der Saison 1784/85 Manzoletto aus seiner Führungsposition in Neapel verdrängte. In Paisiellos Antigono interpretierte er die Rolle des Demetrio. Mineccia nutzt dessen Arie „Già che morir degg’ io“zur Gestaltung eines bewegenden Lamento, vom klopfenden Rhythmus des Orchesters spannungsreich untermalt.

In Paisiellos Alessandro Nell’Indie sang er den Poro, dessen aufgewühlte, vom Solofagott begleitete  Arie „Destrier, che all’armi usato“  Mineccia mit gebotener Bravour und Expressivität interpretiert, dabei seine Substanz in der unteren Lage effektvoll ausstellt.

Giuseppe Aprile, genannt Sciroletto, kreierte in Paisiellos Kantate Il ritorno di Perseo den Titelhelden. Dessen Arie „La tua fé“mit Verzierungen, Trillern und Melismen ist eine typische Komposition für einen Star-Kastraten.

Weniger berühmt sind Francesco Casini Papi und Francesco Fariselli. Ersterer sang in Paisiellos Il Gran Cid die Partie des Armindo. Dessen Arie „Tu del popolo“ ist von bewegtem, virtuosem Charakter, von Mineccia zuverlässig geboten, allerdings wieder mit einigen aus dem Gesamtklang fallenden exponierten Tönen. Fariselli war der Olinto in Paisiellos Demetrio (1771/Modena). Mineccia präsentiert daraus zwei Ausschnitte. Der erste, „Trova un sol“, ist ein sentimentales Stück, gleichwohl von vielen abbellimenti geschmückt, der zweite, „Di quell’ingiusto sdegno“, von entschlossenem Auftritt mit ebenfalls reichlich Zierwerk.

Nicht bekannt ist der erste Interpret der Partie La Discordia in Paisiellos La Pace, komponiert zur Feier der Rückkehr der Bourbonen auf den neapolitanischen Thron.  Mineccia weiß die wiegende Arie „Fiumicello che riceve“ mit betörend sanften Tönen auszustatten.

Das begleitende Ensemble Divino Sospiro  unter Massimo Mazzeo musiziert auf historischen Instrumenten inspiriert und alert. Mit der Ouvertüre zu Demetrio hat es auch Gelegenheit für einen solistischen Auftritt. Das Album (PC 10394) ist eine Fundgrube für Musikfreunde der italienischen Oper des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Bernd Hoppe