Una Adalgisa rossiniana

 

Am liebsten würde man gleich selbst in die schmucke Jurte einziehen, die Bühnenbildner Robert Jones für Norma auf die Bühne der MET (2017) gestellt hat, denn sie ist mit allem versehen, was man sich in Küche, Schlafgemach und Wohnbereich zu gallischen Zeiten nur vorstellen kann, allein die vielseitigen Küchengeräte, aber auch ein Webstuhl zeugen von dem relativen Wohlleben, dessen sich die Priesterin erfreuen konnte. Kein Wunder, dass es der römische Feldherr Pollione doch recht lange bei ihr aushielt. Streng genommen ist Norma ja eine recht unsympathische Figur, die ihr Volk an der Nase herumführt und es in den Krieg hetzt oder zum Frieden ermahnt, je nachdem wie gerade ihre Beziehung zu ihrem Liebhaber sich gestaltet. Auch in Erwägung zu ziehen, die unschuldige Adalgisa wider besseres Wissen des Verbrechens anzuklagen, das sie selbst begangen hat, nur um die Qualen des Ungetreuen zu erhöhen, ist kein sympathischer Zug. So tut Regisseur David McVicar gut daran, sie während des Vorspiels zum 2. Akt zärtlich mit den Kindern umgehen zu lassen. Zum Glück kratzt sie am Schluss noch die Kurve und bekennt ihre Schuld.

Ist der erste Teil des zweiten Akts geradezu naturalistisch angelegt, so ist die Bühne für die Szenen im Freien eher leicht stilisiert und damit belacantotauglicher, das Auge wird nicht allzu sehr mit der Erkundung von Details beschäftigt, sondern der Besucher der Oper kann sich ganz der Musik widmen. Die ist bei dem belcantoerfahrenen Carlo Rizzi 2017 gut aufgehoben, der mit viel Drive für die Chorszenen aber auch für Sphärenklänge (Harfe!) in der Sinfonia sorgt.

Die Frage, ob Mezzo oder Sopran für die Adalgisa, braucht sich nicht zu stellen, denn Joyce Di Donato singt Partien beider Stimmlagen, und so bereitet ihr auch diese keinerlei Problem. Befremdlich sind nur die kurzen Haare in der auf historische Glaubwürdigkeit setzenden Produktion, vokal ist sie wunderbar bereits in den Rezitativen, die Stimme ist reich an Farben und geschmeidig wie zu der Zeit, als sie mit Rossini unterwegs war. Zudem man hat man nie das Gefühl, dass hier L’art pour l’art getrieben wird, sondern der Gesang ist im Rahmen des im Belcanto Erlaubten expressiv. Anna Netrebko wäre vielleicht die adäquatere Partnerin gewesen, nun singt Sondra Radvanovsky die Priesterin mit sehr feinen Piani, in der Höhe manchmal schrill, aber insgesamt mit sehr anständiger „Casta Diva“ und als Partnerin in den beiden großen Duetten selbst in den Presto-Teilen durchaus angemessen. Ein von Anfang an auch gegenüber Adalgisa sehr grimmiger Pollione ist Joseph Calleja mit bruchlosem, schön timbriertem Tenor, der durch kluge Karriereplanung des Sängers ohne Einbußen an Schmelz und Geschmeidigkeit ins Spintofach gewachsen ist. Einen etwas dumpf klingenden Oroveso gibt Matthew Rose, der die letzte Szene ergreifend spielt. Einen überraschend angenehmen Tenor für die kleine Partie des Flavio hat Adam Diegel, eine aktiv ins Geschehen eingreifende Clotilde mit hübscher Stimme ist Michelle Bradley. Die beiden Kinder sind auch im realen Leben Brüder. Am Schluss gibt es einen Scheiterhaufen, der beinahe schon den kürzlichen Waldbrand in Kalifornien vorwegnimmt (Erato DVD 019028562875). Ingrid Wanja