Liedgesang als Sprachpflege

 

Mit Liederaufnahmen von Rudolf Schock überrascht das schweizerische Label Relief, das die Erinnerung an diesen Tenor mit Hingabe pflegt (CD 3010). Es handelt sich um die Übernahme von vier EMI/Electrola-Platten und nicht um Mitschnitte von einschlägigen Veranstaltungen. Sie waren im 25-Zentimeter-Format erschienen und zuletzt – wenn überhaupt – nur noch unter Mühen antiquarisch aufzutreiben. Zu den Vinyl-Liederabenden, die als Folgen eins und zwei deklariert gewesen sind, kommen als Einzelausgaben im gleichen Durchmesser noch die Dichterliebe von Robert Schumann sowie acht Orchesterlieder von Richard Strauss hinzu. Relief hat also zugelangt. Genauso wie auf den Platten hätten die Liederabende aber auch im Konzertsaal stattfinden können. Schock pflegte dieses Genre. In der Fülle seiner Aufnahmen von Opern, Operetten und allem, was unter die so genannte leichte Muse fällt, rückte seine Begabung auf diesem Gebiet etwas in den Hintergrund.

Relief ist darum bemüht, dem ganzheitlichen, dem wahren Schock Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Im Booklet schreibt Herausgeber Rico Leitner: „In öffentlichen Liederabenden hatte Rudolf Schock am Schluss gerne zwei bis drei Opernarien vorgetragen – für die Schallplatte musste dies allerdings unterbleiben.“ Eigentlich ist das schade. Warum? Nach meinem Eindruck singt er Lieder wie Arien. Zumindest bringt er in seine Vortragsweise Elemente der Oper ein. Es liegt ihm offenkundig daran, Ereignisse, Empfindungen oder Impressionen stets vom Inhalt her zu deuten. Seine Hören sollen verstehen, was sich zuträgt, was die Komponisten und ihre Dichter mitteilen wollen. Das spürt er mit seinem sicheren Bühneninstinkt auf und gibt es weiter. Das machte ihn so einzigartig, das war sein Erfolg auch bei jenen Menschen, die sich nicht in eine Wagner-Aufführung getraut hätten.

Liederabend zweite Folge: Eine der 25-Zentimeter-Electrola-Platten mit Rudolf Schock und Adolf Stauch am Klavier von 1959 in Stereo bei Schocks Stammfirma Elrectrola.

Wer sich wachen Ohres durch das Album hört, dem fällt auf, dass jedes Wort zu verstehen ist – auch „das Grillchen“, das sich auf „Anakreons Grab“ von Hugo Wolf „ergötz“, ist nicht zu überhören. Insofern wäre es gar nicht nötig gewesen, im Booklet alle Texte mitzuliefern. Bei Schock wird aus Liedgesang immer auch Sprachpflege. Er hat hörbar Spaß und Freude an seiner Muttersprache. Das Angebot ist üppig. Zu Schumann und Strauss kommen Hugo Wolf, Franz Schubert, Johannes Brahms und Wolfgang Amadeus Mozart. Meist sind es die bekannten Titel. Die Produktionsfirma Electrola setzte auf Bewährtes, wollte ein breit aufgestelltes Publikum erreichen. Strauss erfährt durch die Orchesterlieder, die bis heute immer gut gehen, besonderes Gewicht. Nicht alle Instrumentierungen hat der Komponist selbst vorgenommen. Was in Absprache mit dem Verlag von fremder Hand erarbeitet wurde, hat der praktische Profi Strauss akzeptiert und sogar in eigenen Konzerten dirigiert. Nur einmal – nämlich bei der bereits von Robert Heger instrumentierten „Zueignung“ – hat er für die verehrte Sopranistin Viorica Ursuleac eine eigene Orchesterfassung erarbeitet. Auf der CD findet sich die geläufige Heger-Fassung, der auch „Traum durch die Dämmerung“, „Heimliche Aufforderung“ und „Ich trage meine Minne“ mit Orchesterstimmen versah. Im Falle des „Ständchen“ besorgte dies der Dirigent Felix Mottl, der vor allem durch seine Wagner-Interpretationen Berühmtheit erlangte. Vom Komponist selbst stammen „Freundliche Vision“, „Morgen“ und „Allerseelen“. Auf diese Zuordnungen, die auf der Rückseite der Schallplatte noch zu finden sind, verzichtet Relief. Das ist zu bemängeln.

Was den einen gefällt an den Einspielungen des neuen Albums, finden andere vielleicht zu schlicht, zu einfach und zu wenig hintergründig gesungen. Bei Schock bekommt das Publikum eben Schock und nicht Munteanu oder Patzak. Ein nicht näher bezeichnetes Großes Opernorchester – in Vinyl ist lediglich von Orchester die Rede – leitet bei den Strauss-Liedern Wilhelm Schüchter. Die Klavierlieder begleitet von Adolf Stauch. Aufgenommen wurden die Strauss-Titel (Ende 1957) wie auch die beiden Liederabende (1959) in Stereo, während die Dichterliebe (Anfang 1957) noch in Mono produziert wurde. Rüdiger Winter

  1. Krijn de Lege

    Lieber Herr Winter
    vielen Dank fúr Ihre sachkundige, vortreffliche Reaktion auf die neuen, alten Lieder-CDs von Rudolf Schock.
    Zwei Bemerkungen:
    1) Schocks Vinyl-Liederplatten 1 und 2 wurden 1959 von Electrola in 33-Zentimeter-Format veröffentlicht. Die ‚Dichterliebe‘ und Richard Strauss-Lieder 1957 in 25-Zentimeter-Format. Nicht so wichtig, aber Sie äussern sich mit Nachdruck darüber.
    2)Ich erwarte, viele Ausländer werden gerade auf die von Relief mitgelieferten Texte grossen Wert legen! Schocks Wortdeutlichkeit ist tatsächlich einzigartig, aber die Musikliebhaber, deren Sprache nicht Deutsch ist, werden jetzt noch besser verstehen, warum es sich in den Liedern handelt.

    Mit herzlichen Grüssen aus den Niederlanden:

    Antworten