Die Bauern erfreuen sich des Goldenen Zeitalters, das ihnen beschert wurde, und die Mäher besingen die Schönheit der lieblichen Landschaft, während die Jäger zur Hetze rufen. In der mittelalterlichen Provence, wie sie Giovanni Simone Mayr und sein Librettist Andrea Leone Tottola in der am 28. Januar 1814 in Neapel uraufgeführten Oper Elena e Constantino schildern, wäre die Idylle vollkommen, wenn Costantino, Graf von Arles, nicht fälschlicherweise des Mordes beschuldigt worden wäre, und seine Gattin Elena, als Mann verkleidet, nicht um den gemeinsamen Sohn kämpfen müsste. Kein Zuhörer muss sich aber grämen: selbstredend ist der lieto fine in diesem Dramma eroicomico zu erwarten und trifft am Ende auch tatsächlich ein. Die Auflösung ist unwahrscheinlich, aber die Geschichte nicht viel alberner als der Fidelio-Stoff, der zur selben Gattung gehört. Mayr hätte es sich bequem machen und eines jener blassen Werke vorliegen können, mit denen er um 1800 die Theater in Venedig beglückte und die in den letzten Jahren nicht immer zu seinem Vorteil ausgegraben wurden. Aber Neapel war ihm offenbar viel wichtiger, als dass er sich mit Dutzendware begnügt hätte. Für die Bühnen des zu Beginn des 19. Jahrhunderts wohl bedeutendsten italienischen Opernzentrums schrieb er einige seine besten Stücke, etwa Medea in Corinto und Cora.
Schon in der Ouverture von Elena e Constantino bewundert man seinen Sinn für farbige Gestaltung und ansprechende Melodien. Mit einer solchen Mischung aus tragischen Gestalten, die sich mit Bösewichten raufen, und herumhüpfenden Bauern, die das Landleben rühmen, kann der heutige Musikliebhaber allerdings wenig anfangen. Das wird in einer konzertanten (und nicht, wie sie angekündigt war, halbszenischen) Aufführung erträglich, weil man keine Verzweiflung eines überforderten Regisseurs ob des unspielbaren Zeugs erleben muss und sich dafür auf die Musik konzentrieren kann. Das gilt umso mehr, wenn Franz Hauk am Pult steht. Hauk trifft immer den richtigen Ton, wenn er sich Werke des Primo Ottocento vornimmt, und mit seinen Einspielungen von Mayr und Paer hat er sich zu Recht einen Namen als bester Befürworter vergessener Musikschätze aus der Zeit um 1800 erworben. Auch diesmal hatte er Sänger und Musiker fest im Griff. Man kann höchstens etwas bedauern, dass die bukolische Färbung der Oper nicht stärker hervorgehoben wurde, weil Hauks wie immer forscher Ansatz dies bisweilen verhinderte. Doch bot er insgesamt einen musikalisch befriedigenden Abend.
Unterstützt wurde er von einem exzellenten Männerchor mit Mitgliedern der Bayerischen Staatsoper und einem engagiert aufspielenden, vor allem in den Bläsern sehr gut besetzten Concerto de Bassus „auf authentischen Instrumenten“ (die virtuose, elegant phrasierende Soloklarinettistin sei gesondert erwähnt). Das aus jungen, aber teilweise schon etablierten Sängern bestehende Ensemble überzeugte insgesamt, wobei die beiden ernsten Charaktere wegen der gattungsbedingten Kürze ihrer Rollen wenige Möglichkeiten hatten, sich hervorzutun. Daniel Ochoa verkörperte den unglücklichen Costantino mit schönem, festem Bariton. Er gestalte seine große (und einzige) Arie im ersten Akt mit viel Sinn für die Zwischentöne und einer ausgezeichneten Wortverständlichkeit. Weniger erfolgreich war Julia Sophie Wagner als Elena. Sie verfügt über beachtliche vokale Mittel und einen einnehmenden, dunkel gefärbten Sopran. Doch die verwaschene Diktion und die unter Druck gebildeten Töne trübten ihre Leistung. Die als Romance bezeichnete Ballade im ersten Akt klang viel zu dramatisch. Danach allerdings zeigte die Sängerin die von der Rolle geforderte Autorität im Ausdruck, etwa im Finale des ersten Aktes. Niklas Mallmann fiel die dankbare Rolle zu, Carlo, den eigentlichen Protagonisten der Oper, zu gestalten. Er meisterte die vokalen Anforderungen der Buffo-Rolle und kam auch mit dem neapolitanischen Dialekt einigermaßen zurecht. Da schon bei einer Reprise in Mailand eine Übersetzung ins Hochitalienische vorgenommen wurde, wäre das vielleicht auch hier eine Option gewesen. Gute Leistungen boten auch die comprimari, allen voran Anna-Doris Capitelli, Mitglied der Accademia della Scala, die in ihrer kurzen Arie im ersten Aufzug mit attraktivem Mezzo aufhorchen ließ, aber auch Anna Feith (Ernesta), Mira Graczyk (Paolino) und Andreas Mattersberger (Urbino) als Governatore machte im zweiten Akt mit seinem sicher tönendem Tenor und einer besonderen Aufmerksamkeit für den gesungenen Text aus einer Charakterrolle einen Protagonisten. Markus Schäfer schließlich trat in einer doppelten Rolle auf. Als Edmondo, falscher Graf von Arles, sorgte er in der Oper für das happy end, aber darüber hinaus sprang er als Erzähler ein. Denn auf die Dialoge der Uraufführung von 1814 bzw. die Rezitative der Wiederaufnahmen außerhalb Neapels hatte man verzichtet und sie durch nicht immer kurze Texte ersetzt. Auf der Bühne führt eine solche Vorgehensweise üblicherweise ins Verderben, wie manche Fidelio-Aufführung mit den unausstehlichen Elukubrationen von Walter Jens oder just in diesem Sommer die Salzburger Zauberflöte mit einem erzählenden Opa zur Genüge bewiesen haben. Hier aber glückte es, dies vor allem dank dem unwiderstehlichen Charme von Schäfer, dem es im zweiten Aufzug mit bewundernswerter Lockerheit gelang, zwischen Sprache und Gesang zu wechseln.
Das zahlreich anwesende Publikum bedankte sich am Ende mit begeistertem Applaus. Wie gewohnt, stand die öffentliche Aufführung am Ende von Aufnahmesitzungen. Der Musikliebhaber wird sich allerdings noch eine Weile gedulden müssen. Franz Hauk bringt dieses Jahr noch eine zweite CD mit venezianischen Solo-Motetten heraus (die erste ist soeben erschienen) und 2019 die Mayr-Oper I Cheruschi (1808) sowie Psalmen des Mayr-Schülers Donizetti. Sie versüßen somit das Warten auf die Veröffentlichung von Elena e Costantino, welche zweifelsohne einen zukünftigen Höhepunkt in der an bemerkenswerten Aufnahmen unter Franz Hauk nicht armen Mayr-Reihe bei Naxos bilden wird (26. August 2018). Michele C. Ferrari