Der Stoff ist Opernliebhabern gut bekannt: Zar Peter der Große arbeitet inkognito als Zimmerman auf einer Schiffswerft in Saardam. Albert Lortzing hat diese Geschichte in Zar und Zimmermann auf die Bühne gebracht. Jetzt ist eine Oper von Donizetti beim Label Dynamic erschienen mit genau der gleichen Handlung: Il Borgomastro die Saardam/Der Bürgermeister von Saardam.
Donizettis Oper ist zehn Jahre früher entstanden als Lortzings, doch ob es eine direkte Beeinflussung gab, ist nicht geklärt. Zwar war die Donizetti-Oper ist 1837 in Berlin nur wenige Monate vor der Zar und Zimmermann-Premiere zu sehen, aber Lortzings Partitur dürfte damals schon zu weit gediehen sein, als dass die Musik noch Einfluss auf ihn gehabt haben könnte, selbst wenn nachzuweisen wäre, dass er von Leipzig angereist ist, um sich das anzusehen.
Verblüffend ist dagegen die Gleichheit der Textbücher, weil beide Opern auf derselben französischen Komödie basieren und sich beide ziemlich eng an das Original halten. Heimlicher Held ist in beiden Fassungen der arrogante Bürgermeister Van Bett, der auch bei Donizetti aufgeblasen seine Bürger herumscheucht.
Keine Konkurrenz für Lortzing: Dass sich das Werk des berühmteren Komponisten Donizetti nicht durchgesetzt hat, liegt einfach daran, dass Donizettis Oper ein Frühwerk und ein bisschen von von der Stange gefertigt ist. Donizetti war einfach kein Wunderkind, kaum ein anderer Opernkomponist hat so lange gebraucht, um zu sich selbst zu finden, bis es endlich „klick“ gemacht hat. Das Problem war Rossini. Der Schatten Rossinis lag auf Italien, und man merkt eben auch hier im Borgomastro, dass Donizetti einfach nicht loskommt von den Manierismen des Vorbilds.
Doch trotz vieler Plagiate ist Donizetti immer kurzweilig. Langweilige Donizetti-Oper ist ja generell ein Oxymoron wie schwarzer Schimmel, das gibt’s nicht. Der Maestro versteht sein Handwerk, das hier ist reibungslos abschnurrende Opera buffa, sehr fluffig anzuhören beim Kochen, Joggen oder Autofahren, erlesene Gebrauchsmusik.
Doch wer das Werk in Ruhe ohne Ablenkung hört, wird noch mehr entdecken – nämlich eine spannende Werkstatt, in der Donizetti mit späteren Erfolgsformeln experimentiert. Besonders eine Szene ragt heraus – sie kommt bei Lortzing nicht vor, weil sie für Deutschland zu gewagt war. Bei Donizetti ist nämlich der Bürgermeister von Bett scharf auf seine eigene Nichte – er gräbt sie unverhohlen an, und Marie erteilt ihm eine scharfe Abfuhr in einem Duett, das genauso im Don Pasquale stehen könnte, ohne dem Werk zu schaden – pointiert, gut komponiert in damals modernen Rhythmen. Ein echtes Highlight im Frühwerk.
Ich sage es mit Zähneknirschen: die Aufnahme ist ein Muss für Lortzing- und Donizetti-Freunde, man sollte dieses Werk dann doch trotz aller Schwächen zur Kenntnis nehmen, es ist nach tontechnisch grenzwertigen Liveaufnahme aus Holland von 1973 die erste, die man ohne Kopfschmerzen hören kann. Trotzdem leidet dieser Mitschnitt vom Donizetti-Festival in Bergamo an so manchen Schönheitsfehlern. Die Sänger sind zwar begeistert dabei, können aber technisch nicht immer mit dem mithalten, was die Noten fordern, allen voran Marietta alias Irina Dubrovskaya, die sich mutig in Auszierungen wirft, die eigentlich eine Nummer zu groß für sie sind.
Zar-Bariton Giorgio Caoduro bleibt mir zu hell und zu verwaschen für die Potentatenrolle, und selbst die sichere Bank des Bass-Buffos ist hier relativ uncharismatisch besetzt worden mit Andrea Concetti – da hätte man wirklich einen altbewährten Buffo-Veteranen verpflichten sollen. Schlussendlich ist die Orchesterleitung von Roberto Rizzi Brignoli (der so viel Geistliches von Donizetti und Bellini eingespielt hate) über weiter Strecken seltsam uninspiriert, so als hätte er nicht so recht an das Werk geglaubt. Wären da nicht einige wirklich schöne quirlige Ensembles, würde ich hier von solidem Mittelmaß sprechen (Gaetano Donizetti: Il Borgomastro di Saardam; mit Giorgio Caoduro, Juan Francisco Gatell, Irina Dubrovskaya, Andrea Concetti | Chor & Orchester der Donizetti-Oper Bergamo | Roberto Rizzi Brignolli; 2 CD Dynamic CDS 7812-2). Matthias Käther