Johann Friedrich Reichardt ist heute vor allem noch bekannt als Lied-Komponist, von ihm stammen zum Beispiel die Melodien zu Volksliedern wie „Bunt sind schon die Wälder“ oder „Wenn ich ein Vöglein wär“. Aber Reichardt hat auch Opern geschrieben, eine davon ist jetzt bei cpo erschienen, Die Geisterinsel. Eine Schaueroper ist das leider nicht. Und die war von Reichardt auch nicht zu erwarten. Obwohl dieser Komponist einer der großen Förderer der Romantik war, er war eng verbunden mit Arnim und Brentano, blieb er doch selbst der Aufklärung immer verhaftet. Dieses Opernhauptwerk von ihm, ein Singspiel von 1798, beschäftigt zwar viele Geister, Sylphen und Dämonen, aber das alles bleibt ein klassizistisches Gaukelspiel, und die wenigen düsteren, verhangenen Töne hat sich Reichard bei Mozart ausgeborgt. Und auch noch manch andere heitere Wendung…
Der Zauberflötenton herrscht vor. Die Geisterinsel ist Maschinen-Spektakelstück und frühe Shakespeare-Adaption zugleich; der „Sturm“ war hier die Vorlage. Es geht um italienische Adlige, die an einem verwunschenen Eiland landen und sich hier mit diversen Elementargeistern herumplagen müssen. Die großen Gefühle wie Freundschaft und Liebe stehen natürlich, typisch Aufklärung, im Mittelpunkt, interessanterweise geht’s aber auch dauernd um Müdigkeit – vielleicht ein zentrales Thema am langweiligen preußischen Hof, für den das Stück konzipiert wurde?
Schön, dass hier, in dieser sehr langen Rundfunkproduktion des WDR von 2002 (153 Minuten!) mal nicht versucht wurde, den Text der Dialoge zu modernisieren. Man sagt hier also wirklich „kömmt“ statt kommt, die für unsere Ohren oft lächerliche Gestelztheit sticht grell hervor, oft ist der Text Gotters und Einsiedels in seiner Schlichtheit aber auch herzlich rührend. Unterm Strich merkt man doch, wie provinziell die deutsche Oper damals war gegenüber der französischen und italienischen Oper.
Auch musikalisch bleibt das Werk weit hinter dem internationalen Niceau zurück. Hört man sich etwa Peter von Winters Wiener Singspielmusik aus dieser Zeit an (ganz zu schweigen von den ambitionierten italienischen Buffe um 1800 von Mayr oder Spontini), wirkt diese preußische Zauberflöte doch etwas steifleinern. Dennoch könnte man hier von einem wichtigen historischen Dokument sprechen – denn genau das zu belegen erfordert einen gewissen Mut bei den Produzenten –, wäre die Einspielung rundum gut gesungen.
Tolle Herren, bemühte Damen: Was nicht der Fall ist. Ich glaube, dass man die Gattung hier gewaltig unterschätzt hat. Deutsches Singspiel um 1800, das klingt nach simplen Anforderungen. Aber weit gefehlt, der naive Ton ist nämlich so naiv gar nicht, er tut nur so – im Detail sind das dann schon vertrackte Noten, und wenn man das nicht wie aus dem Handgelenk zelebriert, wirkt es wie ein mißlingenes Souffle, dann wird das matschig und zäh, was eigentlich fluffig sein soll. Alle Männer sind zufriedenstellend, besonders Markus Schäfer als Fernando ist zu loben, ein schöner lyrischer Tenor, der die (angestrebte) Mozart-Nähe der Partitur wirklich würdevoll unterstreicht. Die drei Damen bleiben allesamt frustrierend, (kein Zauberflöten-Kalauer, ehrlich!) Diese Unagilität und Mühsamkeit der weiblichen Stimmen liegt Mehltau auf die Aufnahme (Ulrike Staude, Barbara Hannigan, Romelia Lichtenstein), im Gegensatz zu den Herren Ekkehard Abele, Tom, Sol und Jörg Hempel. Was wirklich schade ist. Denn Herman Max und sein exzellentes Ensemble Das Kleine Konzert geben ihr Bestes. An ihnen liegt`s nicht, dass kein so rechter Schwung in die amüsanten Ensembles kommt, die doch das Beste an diesem bizarren Stück sind (cpo 2 CDs cpo 777548-2). Matthias Käther