Prachtband zum Jubiläum

 

Ein Fries mit den Statuen des Apollo und den ihm zugeordneten neun Musen, Töchter des Zeus und jeweils einer Kunstgattung zugeordnet, ist der Schutzumschlag für die untere Hälfte des Prachtbandes zum 275. Geburtstag der Staatsoper Berlin und weist auf die Inschrift über dem Portal des Hauses hin, so vom Erbauer Friedrich dem Großen gewollt und einst Zankapfel zwischen dem DDR-Regime und Dirigent Erich Kleiber. Bereits zum 250. Geburtstag des Hauses gab es einen noch weitaus dickeren Band mit dem Titel Apollini et Musis, aber das war ja auch zu einem noch runderen Geburtstag. Die gegenwärtige Festschrift nennt sich „Diese kostbaren Augenblicke: 275 Jahre Staatsoper unter den Linden“, enthält viele seltene und kostbare Fotos und gibt sich in Aufsätzen zu ganz unterschiedlichen Themen eher bildungsbewusst, als solche Momente beschwörend. Nach einem auch in Englisch abgedruckten Grußwort von Daniel Barenboim und den beiden Intendanten Flimm und Schulz, in dem Tradition und die Notwendigkeit neuer Impulse beschworen werden, werden in zehn Kapiteln, das erste Apoll, die weitern neun je einer der Musen beigeordnet, ganz unterschiedliche Themen behandelt, ist jedoch kaum von den magischen Momenten, die jeder Opernfreund schon erleben durfte, die Rede, am ehesten im Kapitel über die Dirigenten der Staatsoper, das besonders Barenboim gewidmet ist, aber da ist auch eher von sinfonischer Musik, so von Bruckner, etwas zu erfahren als von Opernerlebnissen.

Jedes Kapitel beginnt mit einem Gemälde, dass die jeweilige Muse darstellen könnte, dazu gibt es einen kurzen Vers unterschiedlicher Herkunft, mal von Wieland oder aus antiker Quelle. Blättert man um, dann blickt man auf das Thema des folgenden Beitrags, einen erläuternden Untertitel und den Verfassernamen.   Die Verbindung zwischen dem Inhalt des Kapitels mit der Aufgabe der jeweiligen Muse erschließt sich nicht immer, aber die Idee als solche ist natürlich eine sehr hübsche.

Im Apoll gewidmeten Taxt von Detlef Giese geht es um den Knobelsdorff-Bau und seine vielfältigen Umbauten und seine mehrfache Zerstörung durch Feuer oder Krieg, die Umgestaltung durch Langhans und Paulick, den Kampf um die Inschrift.

Der Muse der Geschichtsschreibung, Klio, ist das Kapitel über Friedrich II. von Philipp Blom zugeordnet, dessen auch tätiges Interesse an der Oper (Montezuma), seinem Komponisten Graun und der ersten deutschen Primadonna. Urania geht dem Text (Susanne Kippenberger) über Schinkel und den Bühnenhimmel zur „Zauberflöte“ voran, Polyhymnia dem über Opernrevolutionen (Thomas Macho), der verwegen beide miteinander in Verbindung bringt, den Chor als deren Träger sieht und orakelt, was wohl das Verschwinden des Chors in den späteren Opern Wagners bedeutet.

Terpsichore lässt Stephanie Schroedter nach dem Wechselspiel zwischen Musik und Tanz fragen, kommt natürlich nicht um die Barberina herum und würdigt auch das Goldene Zeitalter unter Taglioni. Erato lässt nach den „Frauen in der Oper“ forschen (Daniel Schreiber), überschätzt vielleicht die Primadonnen, wenn er die Tenöre mit keinem Wort erwähnt. Tiefer gehender Forschungsarbeit hätte es vielleicht bedurft, um zu erklären, warum die Soprane (fast) immer sterben müssen.

Kalliope lässt Eva Gesine Bauer darstellen, wie Kleiber die Aufführung moderner Werke durchsetzte und welche Probleme ihm das Starwesen im Opernbereich bereitete. Dass dieses eher durch Film und Operette (Tauber) gefördert wurde, sei dahin gestellt, ebenso wie die Rivalität zwischen Lindenoper (Kleiber) und Krolloper (Klemperer) .  Misha Aster, von dem es ein auch neues Buch über die Staatsoper zwischen 1919 und heute gibt, steuert unter dem Zepter Melpomenes ein Kapitel über die Nazizeit bei. Thalia veranlasst Karl-Heinz Ott dazu, besonders über die Renaissance von Rossini nach dem Krieg und ganz besonders über den „Barbiere“ von Berghaus/Freyer zu berichten. Der entstand 1968 und ist bald 50 Jahre alt, aber die „Tosca“ von Barlog aus der Deutschen Oper folgt ihm mit nur einem Jahr Verspätung auf dem Fuße. Den „subjektiven Schmonzes“, den Berghaus zugunsten von „klassenspezifischen Charakteristika“ verbannte, sähe manch einer gern wieder auferstehen. (Übrigens singt Zerbinetta nicht nach Ariadne, sondern im Wechsel mit ihr.)

Euterpe beschließt den Reigen der Musen und lässt Holger Noltze mit viel Raum für Einerseits-Andererseits Daniel Barenboim portraitieren und dessen Verhältnis zu Furtwängler und zum „deutschen Klang“   erläutern. Eine umfangreiche Chronik (auch in Englisch wie das Grußwort) steht am Schluss des Buches, dass man mit Interesse und um einiges Wissen bereichert gelesen haben kann, ohne viel von den zitierten „kostbaren Augenblicken“ vermittelt bekommen zu haben – und die lassen sich wohl auch kaum beschreiben, sondern werden gefühlt (Carl Hanser Verlag, 288 S. ISBN   978 3 446 25757 3). Ingrid Wanja