Folter aller Foltern

 

„La libertà?“ flüstert der Gefangene am Ende von Luigi Dallapiccolas Oper Il Prigioniero. Nein. Hoffnung gibt es für ihn keine mehr. Der Lichtstreif, dem er folgte und der ihm die Freiheit verhieß, erweist sich als trügerisch. Er läuft geradewegs dem Großinquisitor, in dem er seinen Kerkermeister erkennt, in die Arme. Die erste auf einer Zwölftonreihe fußende italienische Oper – großen und prägenden Eindruck hatte auf Dallapiccola die von Schönberg geleitete Aufführung seines Pierrot lunaire 1924 in Florenz gemacht, der auch Puccini beiwohnte, welcher dem Komponisten bekanntlich zum Werk gratulierte – ist ein eindrucksvolles Stück, das 1950 in Florenz szenisch uraufgeführt wurde und nach einer ersten Serie in den 1960/70er Jahren zur Zeit wieder häufiger anzutreffen ist. So auch in Graz, wo im März 2017 dieser sehr willkommene Mitschnitt entstand (Oehms Classics OC 970). Graz spielte im Leben des jungen Dallapiccola (1904-75) übrigens eine wichtige Rolle, da die aus Istrien stammende „politisch unzuverlässig“ geltende Familie 1917 dorthin ziehen musste. Luigi Dallapiccola empfindet die Demütigungen als Heimatloser, erlebt im Opernhaus aber auch seine musikalische Initiation. Eine Aufführung des Fliegenden Holländer soll für ihn den Ausschlag gegeben haben, Komponist zu werden. Nach dem Krieg zieht es ihn nach Florenz, dem künftigen Zentrum seines Schaffens und Wirkens.

Auf den Stoff zu Il Prigioniero, die Erzählung Tortur durch Hoffnung von Villiers de l’Isle-Adam, war Dallapiccola bereits 1939 gestoßen. Zwischen den Canti di Prigionia 1941 und den Canti di Liberazione 1955 formte er, unter Einbeziehung einer Episode aus Charles de Costers Ulenspiegel-Roman, ein Bild der schlimmsten Folter. Im Moment der scheinbaren Befreiung muss der Gefangene angesichts des Scheiterhaufens erkennen, dass er betrogen ward: „Die Hoffnung … als die letzte Folter von allen Folterqualen die grässlichste“. Fast ein wenig konventionell, doch nicht unpassend, in der Manier des frühen Menotti, mutet der Prolog an. Die Mutter besucht ihren Sohn, ahnend, dass es zum letzten Mal sein wird, und berichtet von Philipp II., der sich in ihren Träumen in den Tod verwandelt. Aile Asszonyi formt den 7minütigen Auftritt zu einer glühenden Anklage, in der Dallapiccola die große Klage- und Klanggeste der italienischen Oper nicht verleugnet. Überhaupt klingt in Dallapiccolas Kurzoper (47:31) das Komplizierteste immer singbar, auf dass die Botschaft der Humanität gehört werde. Die Gesänge der Priester, die falschen Beschwörungen des von Manuel von Senden mit tückischer Tenorgefälligkeit gesungenen Großinquisitor, die sanften Floskeln der Priester, die von Markus Butter mit Inbrunst gestalteten Bekenntnisse und Visionen des Gefangenen und die Gebete und sakralen Zitate verdichtet Dirk Kaftan mit dem Grazer Philharmonischen Orchester zu einem beklemmenden, gleichwohl scharf ausdifferenzierten, ebenso wuchtigen wie klangreichen Bild, das Dallapiccolas großartiger Konstruktion gerecht wird (Oehms Classics OCE 970). Rolf Fath