Vielen Operngängern, von Berlin über Hamburg und Wien bis San Francisco, wird Nikša Bareza noch aus den 80er Jahren bekannt sein, vor allem im italienischen Repertoire. Im selben Jahrzehnt erarbeitete er sich in seiner Chefposition in Graz auch als Wagner-Dirigent einen exzellenten Ruf, der ihn u.a. an die Mailänder Scala führte und auch in seiner Zeit als Generalmusikdirektor in Chemnitz begleitete. Und selbst nach so vielen Karrierestationen und einem runden Geburtstag im vergangenen Jahr hält der in Split geborene Künstler (Jg. 1936) dem Theater die Treue.
Für Januar/Februar 2018 ist am Nationaltheater Zagreb Der fliegende Holländer geplant; im Herbst 2017 dirigierte Bareza dort eine Wiederaufnahme von Prokofjews Liebe zu den drei Orangen, die, kurz nach der Premiere im Frühjahr, ein Gegenstand unseres Gesprächs waren: „Ich habe dieses Werk bereits als junger Mann dirigiert und bin sehr glücklich, jetzt noch einmal dabei am Pult zu stehen. Es ist bis heute ungeheuer modern, wie Prokofjew so distanziert, herausgelöst aus der Aktualität, seine Komposition entwickelt hat und zugleich so originell mit der Vorlage von Gozzi umgegangen ist.” Die Entwicklungslinien im Schaffen großer Komponisten, besonders vor politischen Hintergründen, haben Bareza schon immer fasziniert. Durch die Erhebung einzelner Stücke zum Kanon droht die Vernachlässigung der experimentellen Seite von Werken, die fälschlicherweise oft als unausgereift abgetan worden sind (wie z.B. in Prokofjews Fall Der Spieler). Im Gegensatz dazu, findet Bareza, ist es geradezu als Ironie des Schicksals zu sehen, dass an Prokofjews Krieg und Frieden oder Romeo und Julia, nach der Rückkehr des Komponisten in seine russische Heimat, häufig gerühmt wurde, der Komponist habe endlich seinen persönlichen Stil gefunden.
Eben die ästhetischen und stilistischen Wandlungen desselben Komponisten von einem Werk zum anderen haben ihren Reiz auf Bareza ausgeübt. Wohl kaum ein Dirigent hat das Opernschaffen von Verdi, Wagner und Puccini, gleichmäßig verteilt auf jeden der drei, so komplett erkundet wie Bareza. Bei Wagner betont er, dass bereits im Liebesverbot motivische Anklänge an Tannhäuser und sogar Parsifal feststellbar sind. „Von Verdi habe ich, ausgehend vom Nabucco bis zum Falstaff, 15 Werke dirigiert – außerdem noch das Requiem und Te Deum.” An Verdi hebt Bareza den wiederum geradezu experimentellen Umgang mit den Form-Schemata hervor, vor allem von Cantabile und Cabaletta, bis dieser in der Zusammenarbeit mit Boito vollends aufgebrochen und aufgehoben wird. „Neben der oft zitierten ,verità’, gehörte zu den Prioritäten der Librettisten die ,unità’ – also das Verfassen des Libretto, um eine strukturelle, ja architektonische Einheit mit der Musik zu gewährleisten. Das ist eine Werkdimension, die manche Dirigenten ignorieren oder übersehen, obwohl wir einen Lehrer haben und seine Aufnahmen noch studieren können, der mit Verdi gearbeitet hat:Arturo Toscanini.”
Nicht umsonst war es ebenfalls Toscanini, der noch für die Komponisten der Generation nach Verdi eine Schlüsselfunktion innehatte: Puccini, aber u.a. auch Arrigo Boito: „Es ist auch bemerkenswert, dass Boito Literat aus dem Kreis der Scapigliatura war, die gewisse Ähnlichkeiten mit der Dada-Bewegung des 20. Jahrhunderts aufweist. Boitos starke Affinität zu Wort und Text hat natürlich auch seine Beschäftigung mit Goethe und damit den Mefistofele geprägt; später war Boito dann durch die enge Zusammenarbeit mit Verdi bei der Arbeit an Nerone gehemmt.” Nerone ist eine der vielen Raritäten des italienischen Repertoires, die Bareza dirigiert hat – zuletzt Sakuntala von Alfano, 2016 in Catania. „Alfano ist tatsächlich ein weiterer zu Unrecht vergessener Meister. Ich habe mich schon vor einigen Jahrzehnten mit Rissurezione in Palermo für seine Wiederentdeckung eingesetzt. Bei Sakuntala ist allein schon die Instrumentierung großartig, aber man muss erneut besonders auf die Sprachbehandlung achten.”
Nicht zuletzt an diesem Punkt legt Bareza großen Wert auf eine intensive Zusammenarbeit mit dem Orchester und dem Sängerensemble. Nicht nur bei Ausgrabungen, gerade auch bei Puccini, betont Bareza, gelte es jegliche Schlamperei zu vermeiden, um der kompositorischen Meisterschaft gerecht zu werden, die er durchaus auf eine Stufe mit jener Gustav Mahlers rückt. Freilich hat sich der Opernbetrieb seit den Zeiten Puccinis, Mahlers und Toscaninis gewaltig verändert. „In Catania war bei Sakuntala eine kurzfristige Umbesetzung vonnöten, die im Stagione-Betrieb bei einem so selten gespielten Stück kaum zu bewerkstelligen ist. Das traditionelle deutsche Ensembletheater war und ist insofern ein Privileg, da bestimmte Stücke nur unter diesen Bedigungen realisierbar sind. Aber auch in Zagreb sind wir immerhin imstande, Die Liebe zu den drei Orangen aus dem Ensemble heraus zu besetzen, abgesehen von Michael Hendrick als Prinz.” Mit diesem Gast-Tenor als Waldemar brachte Nikša Bareza 2016 auch überaus erfolgreich Schönbergs Gurrelieder, als kroatische Erstaufführung, zur Aufführung.
„Für den Sommer 2017 hatte sich im Ensemble sogar die Möglichkeit ergeben, die Modena-Fassung von Verdis Don Carlo, mit so vielen Proben einstudieren, wie das im heutigen internationalen Jet-Set-Betrieb gar nicht möglich ist. Das ist, so gravierend die wirtschaftlichen und damit verbunden kulturellen Probleme in Kroatien sind, eine positive Kehrseite: die große künstlerische Freiheit, mit einem im internationalen Vergleich kleineren Budget konzentriert arbeiten zu können.“ Die Frage, ob für ihn in dieser Hinsicht musikalisch noch andere Parameter gelten als an den größten Opernhäusern und Festspielen gefeierte Brillanz und Glamour, beantwortet Nikša Bareza: „In dieser Hinsicht halte ich es wie mein verehrter Kollege Nikolaus Harnoncourt: lieber eine falsche Note als eine falsche Phrase.“ (Foto oben: Niksa Bareza bei Proben zur „Traviata“ am Nationaltheater Zagreb) Sebastian Stauss