Kein Kloster, keine Guillotine, keine Französische Revolution. Dmitrij Tscherniakov hatte Poulencs Dialogues des Carmélites im Frühjahr 2010 (!!!) an der Bayerischen Staatsoper ohne diese unabdingbar scheinenden historischen Eckdaten angerichtet. Die ins Heute transportierten Dialoge einer in einer kleinen Holzhütte zusammengepferchten Frauengruppe sind seit Jahren auch auf DVD zu bestaunen (BelAir Classics BAC 061) und geben in ihrer Konzentration auf das strenge und harte Zusammenspiel auf engstem Raum einen womöglich viel besseren Eindruck als im Theater. Tcherniakov verzichtet in dieser Schilderung eines geschlossenen Systems auf religiöse Bezüge, auf eine konkrete Orts- und Zeitangabe. Das Stück spielt hier und jetzt. Lauter Straßenlärm, eilende Menschen. Mit dem Rücken zu uns – ein einsames Mädchen: Blanche, die in Tcherniakovs beengtem, gut einsehbarem Holzhaus bei einer Gruppe von Elena Zaytseva in uniform einfache Arbeitskittel- und Hosen gesteckten Frauen Zuflucht findet. Die Einsamkeit in der Gruppe, subtile und offene Machtspiele, Abhängigkeit, Angst und die Überwindung der Angst sind die Themen dieser hart aneinander gereihten Bilder, denen Tcherniakov durch seine spannende, ungemein feinfühlige und genau der Wirklichkeit angeschauten Personenregie frappierende Strenge und Brisanz verleiht. In kleinsten Gesten zeichnen vor allem Susanne Resmark mit der korrekten Kälte einer Altenpflegerin als Mère Marie und Soile Isokoski mit dem gefährlichen Liebreiz einer Unentschlossenen als Madame Lidoine auch gesanglich ausgezeichnete Porträts, denen sich mit kleinem Abstand auch Sylvie Brunet etwas rau gesungene, bis zur Selbstentblößung zerfallende Madame de Croissy und Susan Gritton als Blanche annähern. Auffallend der mit dramatischem Mozart-Feuer singende Bernhard Richter als Blanches Bruder, auch Christian Rieger als markanter Offizier. Vom ersten Ton an inszeniert Kent Nagano das Stück mit knallharter Schärfe, rhythmischer Alertheit und punktgenauer Konzentration. Konsequenterweise gibt es kein Schafott. Dafür allerdings einen gravierenden Eingriff des Regisseurs am Ende: Statt des gemeinsamen Gangs zur Hinrichtung zerrt die plötzlich erstarkte Blanche eine nach der anderen ihrer Schwestern aus der Hütte, um die herum bereits die Vorbereitungen zu Sprengung laufen, um als einzige darin zu verharren und sich töten zu lassen. Rolf Fath