Von den immerhin zehn Opern von Antonin Dvorák ist die 1901 uraufgeführte Rusalka sicherlich die bedeutendste und zudem auch die weithin meistgespielte. Als „lyrisches Märchen in drei Akten“ bezeichnet, lassen sich viele Parallelen zur deutschen Undine, zur dänischen kleinen Meerjungfrau und zur französischen Melusine finden. Die Überschreitung natürlicher Grenzen wird dem ungleichen Liebespaar Nixe und Prinz zum Verhängnis, was der Oper einen durchaus moralischen Unterton verleiht. Anlässlich der Salzburger Festspiele 2008 entstand eine vielbeachtete, szenisch von Jossi Wieler und Sergio Morabito betreute und auch kritisch beäugte Produktion dieses Werkes („szenischer Totalausfall“, Die Presse), welche zumindest akustisch zurecht modernen Referenzstatus beanspruchen darf.
Orfeo hat die Liveaufnahme vom 17. August 2008 aus dem Haus für Mozart der Allgemeinheit zugänglich gemacht (C 792 113 D). Ungewöhnlich ist hier besonders das Orchester: Es handelt sich um das legendäre, durch die harte Hand George Szells zu Weltruhm geführte Cleveland Orchestra, „das europäischste aller amerikanischen Orchester“, welches in diesem Zusammenhang seine erste Opernproduktion überhaupt bestritt. Am Pult der in Österreich nur allzu bekannte Franz Welser-Möst, seit 2002 Musikdirektor in Cleveland, dem es gelingt, eine Klangpracht sondergleichen zu entfalten, sowohl in den lyrischen als auch in den dramatischen Momenten. Welser-Möst agiert hier deutlich eindrucksvoller als in seiner recht glücklosen Zeit als Musikdirektor der Wiener Staatsoper (2010–2014). Kongenial die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, die ihre reichhaltige Erfahrung hier selbstredend voll ausspielen kann.
Die Sängerbesetzung lässt keine Wünsche offen. Zuvörderst muss hier Piotr Beczala als Prinz genannt werden. Man muss schon weit zurückgehen, um eine ähnliche ideale Rollenverkörperung zu finden. Schönklang mit Tiefgang. Gleich danach freilich die von Camilla Nylund gesungene Titelrolle, welcher dank verschwenderischer stimmlicher Mittel die volle Bandbreite zwischen großer Verinnerlichung und ausufernder Drastik zur Verfügung steht. Ihre Widersacherin, die fremde Fürstin, hat mit Emily Magee einen verführerischen Gegenpol. Alan Helds eher unkonventioneller Wassermann (Bariton statt Bass) hält die Balance zwischen Macht und Ohnmacht. Das sehr hohe Niveau setzt sich in den übrigen Rollen nahtlos fort: Birgit Remmert gibt eine beängstigende Wasserhexe Jezibaba; Anna Prohaska, Stephanie Atanasov und Hannah Esther Minutillo brillieren als Waldnymphentrio. Kurzum: Eine musikalische Sternstunde, wie sie selten geworden sind. Dvoráks Opernhit wird allenfalls von der Tschechischen Philharmonie unter Václav Neumann mit rein tschechischen Solisten (Supraphon) noch idiomatischer dargeboten. Das Cleveland Orchestra als heimlicher Star der Aufnahme jedenfalls hat eindrucksvoll bewiesen, dass man es nicht nur symphonisch zu den „Big Five“ rechnen darf. Daniel Hauser