Durch Gesang das Herz sprechen lassen

 

Am 7. Dezember 2016 wurde Annalisa Stroppa einem breiten Publikum als Suzuki in der auch im internationalen Fernsehen übertragenen Madama Butterfly bei der Spielzeiteröffnung der Mailänder Scala bekannt. Die Mezzosopranistin mit der starken Präsenz stand nun im deutschsprachigen Raum am 20. Mai 2017  in der Bonner Aids-Gala auf der Bühne, im Juli / August wird sie die Carmen in der Neuproduktion der Bregenzer Festspiele singen. Mit Dieter Schaffensberger sprach sie nach ihrem Auftritt bei der Bonner Gala unter anderem über die Mailänder Butterfly, die Zusammenarbeit mit großen Dirigenten, die Partie der Carmen.

 

Annalisa Stroppa / Foto Victor Santiago/ Stroppa

Wie haben Sie entdeckt, dass Sie ein Talent zum Singen haben? Als Kind verbrachte ich einen Großteil meiner Nachmittage nach der Schule bei meinen Großeltern mütterlicherseits, die Pavarotti, Domingo, Carreras und Mario del Monaco hörten. So entdeckte ich viele Opernarien und fing an, diese großen Tenöre zu imitieren. Ich erinnere mich, dass ich, als acht oder neun war, während Familienfesten Verwandte und Freunde unterhielt, indem ich “Nessun dorma” oder “O sole mio“, “Parlami d’amore Mariù” oder “Un amore così grande” sang! Ich bin immer sehr extrovertiert gewesen und beim Singen ging es mir gut und ich war glücklich. Außerdem war die Natur großzügig mit mir und hat mir eine besondere Stimme geschenkt, und auch deshalb entstanden meine Passion und das Verlangen zu singen. Ich fing also an, Musiktheorie, Klavier und nach und nach, als die Stimme soweit war, Operngesang zu lernen. Meine Familie hat an mich geglaubt und mich immer ermutigt und unterstützt, obwohl ich nicht aus einer Musikerfamilie stamme. Ich hatte großes Glück, und auch ihrem Vertrauen sei Dank konnte ich mit dieser Entschlossenheit meinen Weg beschreiten. Ich studierte also am Konservatorium von Brescia, und gleichzeitig bereitete ich mich auf meine Prüfungen an der Universität vor. Ich unterrichtete Teilzeit in einer Grundschule und obwohl es recht anstrengend war, machten mir das gleichzeitige Unterrichten, die Uni und vor allem die Gesangsstunden großen Spaß.

 

Was können Sie uns über die Anfänge Ihrer Karriere erzählen? Während der letzten Jahre am Konservatorium nahm ich an verschiedenen nationalen und internationalen Wettbewerben teil, um meine Fähigkeiten zu testen und zu verstehen, ob der Gesang wirklich der richtige Weg für mich war, ob ich wirklich eine Karriere machen konnte. Denn wie wir alle wissen, ist das heutzutage sehr schwer. Die Ergebnisse waren immer sehr gut und das waren für mich wichtige Bestätigungen, die mir dabei geholfen haben daran zu glauben, diesen Weg zu gehen. Ich fing an, Kammerkonzerte zu singen und anschließend kleine Rollen und so ging es los… Es folgten immer wichtigere Partien auf immer wichtigeren Bühnen. Meine ersten Hauptrollen waren Carmen in Tragedy de Carmen in Perugia für das Teatro Sperimentale von Spoleto und anschließend Carmen von Bizet im Theater von Trento. Anschließend habe ich Cherubino in I due Figaro gesungen. Das war mein Druchbruch und es folgten großartige Engagements, die mich in alle Welt geführt haben.

 

Annalisa Stroppa als Carmen in Limoges/ Foto Lagarde/ Stroppa

Maestro Riccardo Muti spielte eine wichtige Rolle in der Entwicklung Ihrer Karriere? Ich hatte die einzigartige Gelegenheit, ihm zusammen mit Cristina Muti und dem künstlerischen Leiter des Theaters von Ravenna, Angelo Nicastro, kurz nachdem ich mein Gesangsdiplom erhalten hatte, vorzusingen. Erfahrung auf der Bühne hatte ich kaum, ich hatte bis zu diesem Moment Konzerte und ein paar kleine Partien gesungen. Das Vorsingen ging gut und mir wurde angeboten, das Cover für Carmi in Mozarts Betulia liberata zu übernehmen, dirigert von Maestro Muti in Salzburg. Anschließend wurde mir dann angeboten,  den Cherubino in Mercadantes I due Figaro zu lernen, um Riccardo Muti und dem Regisseur Emilio Sagi und seinem Team diese Rolle vorzusingen. Und ich bekam die Partie!

So wurde der Cherubino in I due Figaro die erste Hauptrolle, die ich international gesungen habe. Eine wunderbare Hosenrolle! Die Premiere fand im Salzburger Haus für Mozart statt und anschließend wurde die Produktion im Teatro Alghieri von Ravenna, am Teatro Real von Madrid und im Colón von Buenos Aires wiederaufgenommen. Es handelte sich um eine Wiederentdeckung und eine Erstaufführung in moderner Zeit. Bis dahin wurde das Stück nicht mehr gespielt, die Vorstellungen im Haus für Mozart erregten große Aufmerksamkeit in der Opernwelt. Ich war natürlich sehr aufgeregt, da ich spürte, dass dieser Moment der Beginn meiner Karriere sein würde. Damals war ich international völlig unbekannt. Ich bin Maestro Muti und allen, die mich damals für die Produktion ausgewählt haben, sehr dankbar für diese Möglichkeit, durch die ich viel gelernt habe und weitergekommen bin. Wirklich eine wunderschöne Erinnerung! Nach der Premiere war ich so glücklich und zufrieden, ich hatte es geschafft! Wie man so schön sagt war das Eis gebrochen!

 

Neben Muti haben Sie mit anderen erstrangigen Dirigenten wie Christian Thielemann, Zubin Mehta, Fabio Luisi oder Riccardo Chailly gearbeitet: Könnten Sie uns von Ihren Erfahrungen mit diesen Maestros und vielleicht auch anderen, die gerade nicht genannt wurden, berichten? Das waren unglaublich tolle Gelegenheiten! Wenn man mit Dirigenten dieses Kalibers arbeitet, kann man nicht anders als zuzuhören und sich jeden Hinweis und Vorschlag zu eigen zu machen. Ich bin mir darüber im Klaren, wie lange mein Weg noch ist und wie viel ich noch lernen kann. Wenn ich die Gelegenheit habe, einem Dirigenten mit so viel Erfahrung, der weiß, wie er mir hilft und mir Ratschläge gibt, gegenüberzustehen, bin ich einfach glücklich. Ich weiß, dass man mit konstruktiver Zusammenarbeit als Künstler wächst. Es gibt noch einige Dirigenten, die man an dieser Stelle nennen kann, unter anderem Campanella, Palumbo, Steinberg, Humburg, Rizzi…

Auf der Bühne messen wir uns stets mit uns selbst, mit unseren Grenzen und unseren Möglichkeiten. Die Chance zu haben, mit diesen Dirigenten zu arbeiten, war für mich außerordentlich wichtig. Ich versuche immer, bei jeder Gelegenheit dazuzulernen und mein Spektrum an musikalischen Ideen stetig zu erweitern. Besonders mit großen Dirigenten, aber auch mit allen anderen, denn jeder bringt andere Erfahrungen mit, die einen weiterbringen.

 

Annalisa Stroppa als Suzuki in der Scala-„Butterfly“/ Foto Brescia e Amisano/Teatro alla Scala/ Stroppa

Ihr Repertoire ist sehr breit gefächert, vom Barock bis zum Verismo: Wo fühlen Sie sich am wohlsten, und mit welchen Rollen können Sie sich besonders identifizieren? Ich bin ein lyrischer Mezzosopran. Vor allem singe ich Belcantopartien und französisches Fach. Ich denke, dass dieses Repertoire meiner Stimme und meinem Charakter besonders liegt. Ich versuche immer, mich so weit wie möglich mit jeder meiner Rollen zu identifizieren und die Charaktere, die ich spiele, so weit wie möglich zu verinnerlichen. Deshalb fühle ich eine besondere Bindung zu allen Rollen, die ich gesungen habe. Von Hänsel in Hänsel und Gretel bis hin zu Carmen! Es ist fantastisch, sich jedes Mal, wenn man die Bühne betritt, aufs Neue verwandeln zu können. Einige meiner Lieblingspartien sind Rosina in Il Barbiere di Siviglia, Adalgisa in Norma, Romeo in I Capuleti e i Montecchi, Carmen und Charlotte im Werther.

 

Letzten Dezember (2016) haben Sie die Mailänder Scala als Suzuki in Madama Butterfly eröffnet. Wie haben Sie dieses  Opernevent erlebt? Ich war natürlich sehr aufgeregt! Die Spielzeit der Mailänder Scala zu eröffnen, ist ein unbeschreibliches Gefühl. Einer der Momente, an die man sich sein ganzes Leben erinnert! In den Jahren habe ich immer mit großem Interesse die Fernsehübertragung dieses Abends live verfolgt und hätte mir nie ausgemalt, eines Tages unter den Hauptdarstellern zu sein. Nach eineinhalb Monaten intensiver Probenzeit, habe ich die Größe des Events eigentlich erst am selben Abend realisiert. Ich wusste zwar schon vorher, wie wichtig dieser Abend war, aber nachdem ich am 7. Dezember in meiner Garderobe angekommen war und sah, dass das Theater innen und außen völlig abgeriegelt war, realisierte ich plötzlich alles wirklich! Es war ein Mix von Gefühlen zur selben Zeit! Nach Jahren und Jahren des Studiums und der Opfer war mein großer Moment gekommen! Ich war glücklich und ungläubig, fühlte mich geehrt, aber war mir gleichzeitig der großen Verantwortung bewusst, war zufrieden und dankbar zugleich. Ich durchlief in Gedanken einen Moment lang meinen ganzen künstlerischen Werdegang, der mit 12 Jahren begann und nun war ich angekommen! Ein einzigartiges Gefühl! Auch, dass die Vorstellung auf RAI1 übertragen wurde, fand ich wunderbar, denn so konnten nicht nur das anwesende Publikum, sondern viele andere Personen, Verwandte und Freunde die Vorstellung sehen. Ich liebe die Rolle der Suzuki sehr und in der Inszenierung von Alvis Hermanis ganz besonders, da sie bei ihm eine Art Spiegel der Gefühle Butterflys ist. Sie ist in dieser Inszenierung nicht nur die Dienerin Cio-Cio-Sans, sondern viel mehr eine Art Alter Ego, fast eine Schwester Cio- Cio-Sans und die einzige Person, die sie versteht und die ihr bis zum Ende zur Seite steht. Und das waren auch die Aspekte, die ich hervorheben und denen ich Gewicht geben wollte. Mit Maestro Riccardo Chailly und dem Regisseur Alvis Hermanis zu arbeiten, war für mich ein großes Privileg, ihrer aufmerksamen und tiefgründigen Lesart habe ich es zu verdanken, dass meine Rolle musikalisch und dramaturgisch Form annahm und an Format und Menschlichkeit hinzu gewann. Ich hatte mir die Gefühle Suzukis so stark zu eigen gemacht, dass ich mich nach den Vorstellungen leer und doch tief gerührt fühlte. Ich hatte die Rolle wirklich gelebt und verinnerlicht.

 

 

Annalisa Stroppa als Cherubino in Mercadantes Oper „I due Figaro“/ Foto Lelli/ Stroppa

Was bedeutete es für Sie, am 20. Mai dieses Jahres am Benefizkonzert der Deutschen Aids-Stiftung in Bonn teilzunehmen? Es bedeutet mir viel, bei diesem Konzert mitzuwirken, und ich bedanke mich bei den Organisatoren des Konzerts für die Einladung. Es handelt sich um ein prestigeträchtiges Event, das noch dazu einem guten Zweck dient, und es ist bewundernswert, wie Theater, Sponsoren oder einzelne Menschen aktiv werden und kostenlos einen Teil dazu beitragen, dass bei diesem Benefizkonzert so viele Spenden wie möglich gesammelt werden. Viele Tropfen zusammen können ein Meer entstehen lassen, und ich freue mich, dass auch ich meinen kleinen Beitrag leisten und an dem Konzert teilnehmen kann. Wir Künstler haben ein Geschenk erhalten und es ist wunderbar die Möglichkeit zu haben, mit unserer Kunst denjenigen zu helfen, die nicht so viel Glück haben wie man selbst.

 

Unter Ihren nächsten Verpflichtungen ist eine Neuproduktion von Carmen bei den Bregenzer Festspielen. Können Sie uns etwas über diese Paradepartie für jede Mezzosopranistin erzählen und was es für Sie bedeutet, die Partie bei solch einem renommierten Festival zu singen? Ich fühle mich sehr geehrt, bei diesem berühmten Festival auftreten zu dürfen. Bei dieser Gelegenheit werde ich mich einem neuen Publikum vorstellen können, das mich noch nicht kennt und das in einer Partie, die ich ganz besonders liebe. Ich liebe Carmen, weil sie eine außergewöhnlich moderne und tiefgründige Frau ist. Sie ist konsequent in ihren Gedanken und glaubt stark an alles, was sie macht und verfolgt ihr Ideal von Freiheit bis zum Tod. Sie opfert sich für ihre Freiheit. Es handelt sich um einen vielseitigen Charakter und mich fasziniert ihr Charisma. Ich denke, dass man kein Stereotyp einer faszinierenden aber leichtlebigen und oberflächlichen Zigeunerin verkörpern sollte, die nicht länger als sechs Monate verliebt ist, sondern über dieses Bild hinausgehen und versuchen sollte, sie besser kennenzulernen.

 

Annalisa Stroppa / Foto Victor Santiago/ Stroppa

Die Bühne in Bregenz ist sehr speziell: Sie befindet sich im Bodensee. Können Sie uns schon etwas über die Inszenierung verraten? Was erwarten Sie sich von dieser sehr speziellen Bühnensituation? Es handelt sich um eine Neuproduktion von Kasper Holten, die Maestro Paolo Carignani dirigieren wird, und ich freue mich sehr, die Carmen mit diesen beiden Künstlern interpretieren zu können. Das Gefühl, auf einer Bühne zu singen, die sich in einem See befindet, wird sicher ganz neu und anders sein! Auf einer derartigen Bühne bin ich noch nie aufgetreten, ich bin sehr neugierig, wie das sein wird! Sicherlich wird die Atmosphäre ganz einzigartig und magisch sein und diese Carmen noch mitreißender und bedeutungsvoller machen. Was ich schon von der Inszenierung verraten kann ist, dass auch der See eine Rolle  spielen wird.

 

Können Sie uns etwas über Ihre zukünftigen Engagements verraten und gibt es eine Rolle, die Sie bisher noch nicht gesungen haben, aber gerne ihrem Repertoire hinzufügen würden? Im Oktober/November werde ich die Fenena in Nabucco an der Mailänder Scala singen und nächsten Februar werde ich einen Liederabend in der Londoner Wigmore Hall geben. Außerdem werde ich als Rosina an die Dresdner Semperoper zurückkehren. Und Lieblingsrollen? Charlotte im Werther, Leonora in La Favorita und Sara in Roberto Devereux. Ich finde, das sind wunderbare Rollen, sowohl stimmlich als auch darstellerisch interessant. Es würde mich sehr reizen, diese tollen Partien zu singen. Das sind starke Frauen, die gleichzeitig sehr sensibel sind und große Emotionen durchleben. Sie lassen durch den Gesang ihr Herz sprechen. Dieter Schaffensberger

Die Künstlerin versichert, im Besitz der Veröffentlichungsrechte für die hier verwendeten Fotos zu sein; Foto oben: Annalisa Stroppa als Suzuki in der Scala-„Butterfly“/ Ausschnitt/ Foto Lelli/ Scala