Im Glanze Caffarellis

 

Erst 26 Jahre alt war Giovanni Battista Pergolesi, als er 1736 an Tuberkulose starb, sein beliebtes Stabat Mater (1736) und die komische Oper La serva padrona (1733) hielten seinen Nachruhm wach, doch der die meiste Zeit seines beruflichen Lebens in Neapel wirkende Pergolesi hatte eine beachtliche Produktivität: er komponierte vier Werke der Gattung Opera Seria (La Salustia (1732), Il prigionier superbo (1733), Adriano in Siria (1734) und L’olimpiade (1735)), zwei weitere Commedie per musica (Lo frate ’nnamorato (1732), Il Flaminio (1735) sowie zwei Intermezzi (Nerina e Nibbio (1732), La contadina astuta (1734). Bei Decca ist nun in Kooperation mit Max E.Cencis Label Parnassus Adriano in Siria neu erschienen, der am 25. Oktober 1734 im Teatro San Bartolomeo in Neapel Premiere hatte. Das Libretto beruht auf Pietro Metastasio, der diese Geschichte für den Wiener Hof schrieb, wo sie von Caldara zum ersten Mal vertont und 1732 uraufgeführt wurde. Ein beliebtes Libretto – heute noch sind mehr als 60 Vertonungen bekannt. Für Pergolesis Neapler Aufführung erfuhr der Text einige Adaptionen, von Metastasios ursprünglich 27 Arientexten blieben nur zehn übrig, neun neue und ein Duett kamen hinzu, denn eine hochkarätige Besetzung und ein Star-Kastrat standen zur Verfügung, die musikalische Verteilung auf die Figuren ist ausgeglichen. Die Handlung dreht sich um den römischen Kaiser Hadrian, der mit Sabina verlobt ist, sich aber zu Emirena hingezogen fühlt, der Tochter des von ihm besiegten Parther-König Osroa, die wiederum mit Farnaspe verlobt ist. Hadrians Tribun Aquilio liebt wiederum Sabina. Es gibt die üblichen Verwicklungen: Liebe und Haß, Eifersucht und Liebesschmerz, Hoffen und Bangen, Niederlage und Großmut und am Ende selbstverständlich ein Happy-End und Glück für alle. Pergolesis Oper enthält auf drei CDs 24 Nummern: eine Sinfonia, 20 Arien, ein Accompagnato, ein Duett und einen ungewöhnlich kurzen Schlußchchor. Adriano, Aquilio, Farnaspe und Emirena haben jeweils drei Arien, die beiden Letztgenannten auch das Duett. Sabina und Osroa sind mit je vier Arien vertreten. Rezitative gibt es auch, teilweise ungewöhnlich lange: vier-, fünf-, sechs-, bis zu siebenminütige Handlungsszenen (das Libretto ist in drei Sprachen im Beiheft, jedoch nicht in Deutsch).

Das Label Parnassus mit seinem künstlerischen Leiter Max E. Cencic legt bei Decca nach Leonardo Vincis Catone in Utica, Hasses Siroe sowie Händels Alessandro und Arminio eine weitere barocke Seltenheit auf hohem Niveau neu auf. Es spielen weder George Petrous Armonia Atenea noch Riccardo Minasis Il Pomo d’oro, für Adriano in Siria hat man die Capella Cracoviensis unter der Leitung von Jan Tomasz Adamus engagiert, die Aufnahme erfolgte im August 2015 in Krakau. Das Orchester besteht aus 26 Musikern, darunter Streicher, Basso Continuo und je zwei Oboen und Hörner, aber keine Flöten oder Trompeten, der Klang ist streicherlastig. Wer noch Händels Arminio im Ohr hat, erlebt bei Adriano in Siria eine milde Enttäuschung: wo bei Händel die von Armonia Atenea gespielte Musik den Zuhörer geradezu ansprang und ins Geschehen zog, ist der Klang bei dieser Pergolesi-Aufnahme weniger plastisch und beredt und je nach Sichtweise etwas pauschal oder in positivem Sinne routiniert. Adamus setzt Akzente und Kontraste, er dramatisiert aber nicht, sondern setzt auf eine Mischung aus begleitendem Schönklang und Leidenschaft.
Bei der Zusammenstellung der Sänger hat der künstlerische Leiter von Parnassus erneut ein gutes Händchen. Der ukrainische Countertenor Yuriy Mynenko hat in den vergangenen Jahren an Ausdruck hinzugewonnen, er singt als wankelmütiger Adriano den zwischen zwei Frauen schwankenden Kaiser mit eleganter Stimme. Sabina wird von der jungen russischen Sopranistin Dilyara Idrisova mit so schöner und koloratursicherer Stimme gesungen, dass ihre Figur beim Zuhören dadurch zu einer Hauptrolle wird. Markant klingt Emirena – Romina Basso animiert mit ihrer dunkel timbrierten und charaktervollen Stimme zum Hinhören. Der Kastrat Caffarelli war 1734 in der Rolle des Farnaspe der Star der Oper, alle Arien für ihn sind neue Texte, die Pergolesi zu unterschiedlichen Arien verarbeitet, die seine stimmlichen Fähigkeiten zeigen sollten. Nach seiner Aufsehen erregenden Caffarelli-CD (2013) konnte diese Rolle quasi zwangsläufig von Parnassus nur mit Franco Fagioli besetzt werden. Die langsame Ausdrucks-Arie „Lieto cosi talvolta“ am Ende des ersten Akts, bei der sich Stimme und Oboe verflechten, sang er bereits auf der Caffarelli-CD. Der Vergleich ist musikalisch leicht zugunsten der früheren Aufnahme

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(Riccardo Minasi und Il Pomo d’Oro), die etwas plastischer und atmender klingt; stimmlich hingegen scheint Fagioli weiter gereift und im Ausdruck noch vielfältiger geworden zu sein. „Sul mio cor so ben qual sia“ im ersten Akt fordert Technik und Stimmumfang, zusammen mit „Torbido in volte e nero“ am Ende des zweiten Akts hört man begeisternde Stimmakrobatik, wie sie aktuell Fagioli wie kaum ein zweiter auf der Bühne beherrscht. Der Tenor Juan Sancho in der Rolle des Osroa lässt aufhorchen, sein Tenor kann charakterisieren, er verleiht der Figur des Parther-Königs ein Gesicht, Furor und Attacke sind greifbar. Nur der Sopran von Ҫiğdem Soyarslan ist für die Rolle des intrigierenden Aquilio ein wenig zu brav gewählt und bleibt blaß. In der Summe für Freunde der Barock-Oper eine weitere gute und hörenswerte Aufnahme, die man so gerne live erleben wollte und bei der Franco Fagioli seinen glänzenden Ruf als der Caffarelli unserer Tage festigt. (3 CD Decca 483 0004) Marcus Budwitius