Ein neues Buch macht Lust auf einen Besuch in Bayreuth. Jetzt herrscht dort nämlich genau die Stille der Einkehr, um sich das Werk Richard Wagners, des einst berühmtesten Bewohners der Stadt, zu vergegenwärtigen. Das geht auch ohne stundenlange Opernvorstellung. Ist das Festspielhaus droben auf dem Grünen Hügel erst einmal winterfest gemacht wie eine Sommerfrische, gibt sich Bayreuth auf eine sympathische Weise verschnarcht. Eine gemütliche Bleibe findet sich, der Schweinsbraten, dem selbst mancher Vegetarier nicht widerstehen kann, schmeckt im Winter ohnehin besser als im Sommer. Dazu ein frisch gezapftes Maisel’s vom Fass. Was will man mehr.
Schnurstracks führt der Weg in die Richard-Wagner-Straße 48. Wahnfried – Das Haus von Richard Wagner. So auch der Titel des Buches von Markus Kiesel und Joachim Mildner, das in der Verlagsgesellschaft ConBrio erschienen ist (ISBN 978-3-940768). Kiesel, Musikwissenschaftler und Kulturmanager, hat über Siegfried Wagner promoviert. Mildner studierte Graphic Design, Kunstgeschichte und Architektur und arbeitete als Regieassistent am Opernhaus in Kassel. Ihr üppig ausgestatteter Band gleicht selbst einer Theaterinszenierung, die rechts neben die deutschen Textspalten gestellte englische Übersetzung der Übertitelung im Opernhaus. Es wird mit allen graphischen Raffinessen gespielt. Farbe trifft auf Schwarzweiß, ein Stich ist rot umrandet, auf den Fotos, die den Erweiterungsbau in magisches Licht tauchen, fällt nicht eine Linie, mal verdichtet sich eine Ansicht wie gestochen zur Miniatur, dann wieder wird ausladend geklotzt. Was die Herausgeber zu bieten haben, will mehr sein als ein Führer durch die Gedenkstätte nach dem Umbau. Und das ist es auch.
Auf 175 großformatigen Seiten findet sich die wechselvolle Geschichte des Anwesens dargestellt von den ersten Ideen und Plänen bis in die unmittelbare Gegenwart. Fotos eröffnen einen Einblick in die vollgestopften offiziellen Räume, wie sie Wagner selbst noch bewohnt hatte. Schlafgemächer und Hinterzimmer bleiben ausgespart. Auch die Küche im Souterrain, von der es einen Speisenaufzug nach oben gab, ist offenbar nie abgelichtet worden. Ebenso die Badezimmer und Toiletten. Das schickte sich nicht. Fauteuils, Teppiche, Wandspiegel, Paravents, Vorhänge, Büsten und Palmenständer türmten sich. Eine Orgie des schlechten Geschmacks der Gründerzeit. Nach dem Tod des Hausherrn 1883 wurde der Zustand konserviert. Kein Federhalter durfte berührt, kein Stuhl verrückt werden. Barett und Hausmantel des Meisters verschwanden unter einer Glocke Mottenpulver. Umso heftiger war die verheerende Wirkung der Sprengbombe, die den zum Garten gelegenen Teil der Villa kurz vor Kriegende am 5. April 1945 traf. Vom Saal, in dem Wagner gern seine Getreuen versammelt hatte, auf Gemälden, Stichen und Ansichtskarten oft gezeigt, blieb nichts übrig. Bekanntlich war dort auch die Bibliothek untergebracht, die allerdings vor der Zerstörung gemeinsam mit wichtigen Archivalien in Sicherheit gebracht werden konnte. Der Eindruck, den Fotos vermitteln, ist verheerend. Ein passendes Zitat haben die Autoren im zweiten Aufzug des Lohengrin aus dem Munde des Grafen Telramund gefunden: „So zieht das Unheil in dies Haus!“ Wenn es sich denn nicht schon lange vorher in Gestalt Adolf Hitlers und seines Gefolges darin festgesetzt hätte. Der Diktator ging in Wahnfried ein und aus.
Nach der Lektüre habe ich nicht den geringsten Zweifel daran, dass sich diese Neugestaltung, die auch dezente Eingriffe in die historische Substanz erforderlich machte, die einzige Möglichkeit ist, diesen Ort zukunftsfähig zu machen. In wieweit die Virtualität des Buches dem direkten Vergleich mit der Wirklichkeit standhält, wird sich bei der persönlichen Inaugenscheinnahme herausstellen. Geöffnet ist das Museum Dienstag bis Sonntag zwischen 10 und 18 Uhr. Im Juli und August täglich. Fast reflexartig möchte man gleich ins Auto steigen oder eine Fahrkarte für die Bahn buchen. Ich bin jedenfalls sehr gespannt. Die Gefahr, in eine Touristenfalle zu tappen, ist ausgeschlossen. Ein „besonderer Dank“ an die Stadt Bayreuth und seine Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe, der noch vor dem Inhaltsverzeichnis schriftlich abgestattet wird, sollte keinen Argwohn wecken. Schließlich hat Bayreuth neben Wagner, Schweinsbraten und Weißbier auch noch andere schöne Dinge zu bieten – Museen, Galerien und das einzigartige Markgräfliche Opernhaus aus dem achtzehnten Jahrhundert, welches in den Rang eines Unesco-Welterbes erhoben wurde.
An meinen ersten Besuch in Wahnfried Anfang der neunziger Jahre erinnere ich mich noch sehr genau. Damals bin ich ehrfürchtig angereist und enttäuscht von dannen gezogen. Zwar hatte das Gebäude nach seinen schweren Bombenschäden im Krieg seine ursprüngliche Gestalt zurückerhalten. Saal und Halle wirkten aber abweisend und kühl, die oberen Etagen verströmten den biederen Charme eines Heimatmuseums. Nichts war mehr echt, nichts inspirierend. Devotionalien, die der Krieg übriggelassen hatte, wären so auch auf einem guten Flohmarkt zu finden gewesen. Es eröffnete sich keine rechte Distanz für den Betrachter. Stattdessen wurde ihm die Illusion vermittelt, im Haus Richard Wagner zu sein – wo sein „Wähnen Frieden fand“. Glaubt man den Fotos und den Berichten, soll das nun anders sein. Im Buch wird der Architekt der Generalsanierung und des Erweiterungsbaus, Volker Staab, interviewt. Auch wenn er zu „Wagner nie eine innige Beziehung hatte“, bringe er großen Respekt vor dem historischen Erbe mit, das er in Bayreuth vorgefunden hatte. Mit seiner Rekonstruktion habe er versucht, sich mit dem Inhalt und dem Ort authentisch auseinanderzusetzen.
Einbezogen in die neue Gestaltung ist auch der Anbau von Wahnfried, das so genannte Siegfried-Wagner-Haus mit seinem Pavillon, wo dessen 1980 verstorbene Witwe Winifred wie ein leibhaftiges Menetekel residierte. Wie es dort in ihren letzten Jahren ausgesehen hat, davon konnten sich die Zuschauer eines Filminterviews überzeugen, das sie 1975 dem Filmemacher Hans-Jürgen Syberberg gegeben hat. Es ist im Fernsehen gezeigt worden und liegt auch als DVD vor. Während des Gesprächs bekannte sie sich ungebrochen zu ihren Freundschaft mit Hitler. Wenn der „hier zum Beispiel zur Tür hereinkäme“, sie wäre genau so fröhlich und glücklich, ihn zu „sehen und zu haben, als wie immer“. Als ich nach Wahnfried kam, hatte ich diese ungeheuerliche Bemerkung, die seinerzeit als handfester Skandal durch die Medien ging, und in der DDR gegen die Bundesrepublik ausgeschlachtet wurde, als geistiges Gepäck bei mir. So etwas vergisst sich nicht. Und das ist auch gut so. Wer den Ort aufsucht, muss darauf gefasst sein, auf dieses düstere Kapitel deutscher Geschichte zu stoßen.
Ein bisschen Familientherapie betreibt – wie nicht anders zu erwarten – Nike Wagner in ihrem sprachlich funkelnden Vorwort, das ich sehr gern gelesen habe. Als Tochter des Wagner-Enkels Wieland hatte sie ihre Kindheit in Wahnfried verbracht. Ihr Vater hatte den ausgebombten Bereich radikal ergänzen lassen. Das Gebäude wurde nach hinten ein „typischer Neubaus der Adenauerzeit“, wie es im Buch heißt. Fotos belegen das. Für viele Nachgeborene „mag es unvorstellbar sein, dass dieses von der Musikgeschichte geadelte und von der Baugeschichte geschundene Haus einmal eine Villa Kunterbunt“ gewesen sei. Eine Familienvilla „mit aller nur denkbaren Lebendigkeit und Turbulenz, voller kurioser, liebenswerter und schwer verträglicher Figuren, immer bewegt und durchtränkt von dem Anspruch, das Erbe halten und mehren zu wollen“. In einem Museum hätte er nicht leben wollen, zitiert Nike Wagner ihren Vater, der damit „dem neuen Leben aus den Ruinen“ seine Reverenz erwiesen habe. Rüdiger Winter
Das große Foto oben zeigt die Büste des Bayern-Königs Ludwig II. vor dem Eingang zum Haus Wahnfried. Foto: Winter