Nach Schubert nun Schumann: Auf 12 CDs hat Matthias Goerne bei seiner Stammfirma harmonia mundi france das komplette Liedwerk von Franz Schubert eingespielt – nun wendet er sich einem weiteren bedeutenden Komponisten der deutschen Romantik zu und singt auf einer neuen Platte 19 Lieder von Robert Schumann (HMM 90223). Mit „Einsamkeit“ ist die Auswahl übertitelt und umfasst Ausschnitte aus verschiedenen Zyklen, wie Myrthen, oder Liedgruppen nach verschiedenen Dichtern. Sie alle sind in ihrem Charakter ähnlich – schwermütig, betrübt, melancholisch, traurig –, was die Gefahr der Eintönigkeit mit sich bringen könnte, aber Goernes subtiler Vortrag mit seinen Farben, Nuancen, Abstufungen und Stimmungen macht solche Bedenken zunichte. Auch die überaus sensible, poetische Begleitung von Markus Hinterhäuser am Flügel hält die Aufmerksamkeit wach.
Mit Hunding-Grimm schaut Goerne vom Cover seiner CD auf den Betrachter, doch die Stimme tönt keineswegs rau oder polternd – im Gegenteil, sie klingt sanfter und betörender denn je. Das überrascht nach seinem Wotan, den er konzertant in Hong Kong gesungen hat und der durchaus eine stimmliche Veränderung hätte nach sich ziehen können. Seine Neuaufnahme beweist das Gegenteil – das Organ wirkt voluminös und dunkel, nicht aber grobkörnig oder strapaziert. Sogleich das erste Lied des Programms, „Meine Rose“ aus Sechs Gedichte und Requiem op. 90, trägt der Sänger geradezu zärtlich wie eine Liebeserklärung vor und lässt dabei träumerische piani hören. Die Titel dieser Sammlung erklingen fast vollständig – „Kommen und Scheiden“ mit leiser Wehmut, die in sanfte Klänge gefasste „Sennerin“, die geheimnisvoll raunende „Einsamkeit“, der düster dräuende „Schwere Abend“ und schließlich das „Requiem“, wo die Stimme den Hörer mit tröstlichen Tönen einhüllt.
Von den 26 Liedern nach verschiedenen Dichtern, die in den 1840 entstandenen Myrthen zusammengefasst sind, erklingen drei, welche zu den Höhepunkten der CD zählen. Selten hat man die „Lotosblume“ so kosend und duftig (mit herrlichem Aufschwung am Schluss) gehört. Und die sonore untere Lage der Stimme kommt hier zu starker Geltung. Ähnlich zart und fein gesponnen ertönen in purer Reinheit „Du bist wie eine Blume“ und „Was will die einsame Träne?“.
Abschied ist ein häufiges Thema dieser Anthologie – so in „Heimliches Verschwinden“, wo das Kommen und Vergehen des Frühlings besungen wird: heiter, aber nicht ohne Traurigkeit. Eine andere Jahreszeit wird mit entsprechender Melancholie im „Herbstlied“ thematisiert. Und im „Abschied vom Walde“ klingt gleichfalls die Wehmut der Vergänglichkeit an. All diese Lieder stammen aus den Gesängen op. 89 auf Gedichte des Dresdner Theologen Wilfried von der Neun, wie auch „Ins Freie“, das in seinem energischen, kraftvoll-männlichen Duktus einen starken Kontrast einbringt und dem Interpreten markante, in dramatische Gefilde führende Aufschwünge abverlangt. Matthias Goerne bewältigt sie imponierend.
Töne voller Magie sind im „Nachtlied“ zu hören, das der Sänger wie ein Hauch beginnt und es mit entrücktem, jenseitigem Ausdruck konsequent im Schweben hält. Mit seinem tröstenden Ausdruck könnte es einen Sterbenden in den Tod begleiten. Eines von Eichendorffs typischen Gedichten in ihrer Wander- und Lebensmüdigkeit (man denke nur an „Im Abendrot“) ist „Der Einsiedler“. Goerne lässt in seiner Gestaltung aber auch hier hilfreichen Trost vernehmen. Schließlich ist der letzte Titel der Sammlung, das „Abendlied“ op. 107/6, als Gruß zur Nacht gleichfalls ein tröstlicher Beistand. Die neue CD von Matthias Goerne darf man schon jetzt zu den gelungensten Lied-Veröffentlichungen des Jahres zählen. Bernd Hoppe
Kompositionen von Franz Schubert und Johannes Brahms nehmen im Liedgesang des Baritons Matthias Goerne einen gewichtigen Raum ein. Bereits bei seiner früheren Stammfirma Decca hatte er mehrere CDs mit Schubert-Liedern aufgenommen. Nach seinem Wechsel zu hmf startete er 2007 das gewichtige Projekt der Einspielung von 12 CDs mit den Liedzyklen und etwa 150 Titeln des Komponisten, bei denen er von insgesamt sieben Pianisten (darunter Elisabeth Leonskaja, Helmut Deutsch, Christoph Eschenbach und Eric Schneider) begleitet wurde. Die zunächst in Einzelausgaben veröffentlichten CDs hat das Label nun als preiswerten Schuber mit informativem Begleitheft herausgegeben (HMX 2908750.61). Ungewöhnlich war die Konzeption dieser Edition, denn jede CD-Ausgabe erschien unter einem programmatischen Motto, dem die Auswahl der Lieder entsprach. Den Beginn machte 2007 „Sehnsucht“, es folgten solche Titel wie „An mein Herz“, „Heliopolis“, „Nacht und Träume“ oder „Wanderers Nachtlied“. Die Sammlung demonstriert eindrucksvoll Goernes singuläre Stimme mit ihrem unverwechselbaren, warmen Timbre und dem voluminös-resonanten Klang sowie seine enorme Gestaltungskunst. Nicht immer makellos ist die Diktion – es scheint, dass der Sänger gelegentlich dem Klang dem Vorzug gibt gegenüber dem Wort. Aber insgesamt ist die Ausgabe für Freunde der Liedkunst eine immense Bereicherung ihrer Sammlung.
Interessant ist eine CD mit Werken von Brahms, die der Bariton 2013 mit Christoph Eschenbach am Klavier eingesungen hat (HMC 902174). Sie enthält die Lieder und Gesänge op. 32, Lieder nach Gedichten von Heine und die Vier ernsten Gesänge op. 121. Die neun Lieder op. 32, entstanden im Sommer 1864 auf Gedichte von Platen und Daumer, erklingen zu Beginn und markieren einen Wandel im Liedschaffen des Komponisten. Es sind melancholische, fatalistische, abgründige Schöpfungen, welche Todessehnsucht und Hoffnungslosigkeit ausdrücken. Einen wirklichen Zyklus bilden sie nicht, im Gegensatz zur im selben Jahr entstandenen Schönen Magelone (die Goerne im Sommer dieses Jahres bei den Salzburger Festspielen interpretierte), doch sind sie in ihrer inhaltlichen Dramaturgie durchaus als eine Einheit zu verstehen.
Düster und lastend beginnt „Wie rafft ich mich auf“ und Goerne malt hier fast dem „Erlkönig“ verwandte gespenstische Stimmungen. Erneut fällt auf, wie die Stimme des Baritons sich im Volumen und Farbspektrum weiter entwickelt hat. Von tiefer Traurigkeit erfüllt ist „Nicht mehr zu dir zu gehen“, von trotzigem Grimm erfüllt sind „Der Strom“ und „Wehe“. Lichtere Momente weisen „Du sprichst“ und „Bitteres zu sagen“ auf, doch kippt die Stimmung auch hier um in Wehmut. Von stiller Zärtlichkeit wird „So stehn wir“ getragen, aber alles übertrifft das letzte Lied der Gruppe, „Wie bist du, meine Königin“, welches der Sänger in einen betörenden, sanft kosenden Wohllaut bettet und mit der Formung des Wortes „wonnevoll“ den Himmel aufgehen lässt.
Die Lieder nach Heine-Gedichten tragen die Opuszahlen 85 und 96. Die beiden ersten, „Sommerabend“ und „Mondenschein“, lassen in romantischstem Empfinden Traum und Wachheit verschmelzen, was der Bariton in somnambulem Klang und entrückten piani einfängt. Dem entspricht auch „Der Tod, das ist die kühle Nacht“ in seiner visionären Stimmung. „Es schauen die Blumen“ ist im Tempo bewegter und im Ausdruck emphatischer, das abschließende Lied der Gruppe, „Meerfahrt“, im Rhythmus einer Barkarole zunächst von Hoffnung erfüllt, die sich freilich bald als trügerisch erweist.
Die Vier ernsten Gesänge sind ein reifes Alterswerk des Komponisten und Zeugnis seiner zunehmenden Vereinsamung. Goerne gelangt hier zu einem Gipfel seiner Liedkunst. Die Vielzahl von Empfindungen in diesen Texten wie Resignation, Aufbegehren, Todessehnsucht, Hoffnung und Liebe fängt er mit bewundernswert plastischem Ausdruck ein, der mit einer reichen stimmlichen Farbpalette korrespondiert. Eine solche bietet auch Eschenbach am Klavier, der dem Sänger seit vielen Jahren seit vielen Jahren eng verbunden ist und die Zusammenarbeit mit ihm in zahlreichen Liederabenden immer mehr vertieft hat.
Lieder aus finsteren Zeiten: Der Vielseitigkeit von Matthias Goernes künstlerischer Arbeit trägt seine Plattenfirma hmf dankenswerter Weise in hohem Maße Rechnung. Nach einigen Veröffentlichungen mit romantischem Liedgut legt sie nun eine CD mit Kompositionen von Hanns Eisler vor, die der Bariton 2012/13 aufgenommen hat (HMC 902134). Die Auswahl umfasst die Ernsten Gesänge für Instrumentalensemble & Bariton sowie Lieder mit Klavier auf Gedichte von Brecht, kombiniert mit der Klaviersonate op. 1. Der Sänger wird begleitet vom Ensemble Resonanz, das aus 22 Streichern besteht und in seiner Tätigkeit eine intelligente Gratwanderung zwischen Klassik und zeitgenössischer Musik beschreitet. Die Klaviersonate interpretiert Thomas Larcher, der den Solisten auch bei den Brecht-Liedern begleitet.
Die Ernsten Gesänge vollendete der Komponist im August 1962, wenige Wochen vor seinem Tode. Sie zeugen von Entbehrungen während seiner Exil-Jahre in Amerika, von Zweifeln über das Staatsregime der DDR, unter dessen Repression er zu leiden hatte. Komponiert auf Texte verschiedener Dichter, ist ihnen die Verbindung von Tonalität und Atonalität gemeinsam. Goerne erweitert seine Farb- und Ausdruckspalette hier in bedeutendem Maße, bezieht agitatorische Elemente in seine Interpretation ein, so in „Verzweiflung“ oder „An die Hoffnung“. Es gibt auch spätromantische und impressionistische Stimmungen, in denen die Sanftheit der Stimme zu schöner Wirkung kommt („Epilog“). Der warme Klangteppich des begleitenden Ensembles hebt dies noch hervor.
Die Lieder mit Klavier entstanden in den 1940er Jahren in Los Angeles, wo Eisler mit Brecht zusammentraf, was die gegenseitige künstlerische Produktion befruchtete. Es sind genial hingeworfene Miniaturen („An den kleinen Radioapparat“, „Ostersonntag“, „Vom Sprengen des Gartens“), die der Bariton mit leichtem Ton und wie beiläufig wiedergibt. Diese Schlichtheit brauchen die Stücke, jedes Pathos wäre hier fehl am Platz. Manche Lieder fangen auch das Leid der Nachkriegsjahre ein („Die Heimkehr“ oder „Über den Selbstmord“), was der Sänger in einen schmerzlichen Klang von abgrundtiefer Traurigkeit taucht. Zwei Songs aus Brechts Die Rundköpfe und die Spitzköpfe stehen als Beispiele für die kongeniale Zusammenarbeit von Komponist und Dichter. Das populäre „Solidaritätslied“ im Agitprop-Stil beendet die Sammlung – wie beim „Lied von der belebenden Wirkung des Geldes“ und bei der „Ballade vom Wasserrad“ ist die Diktion in diesen drei letzten Titeln wie gemeißelt, der Ausdruck beim „Solidaritätslied“ beinahe trotzig-aggressiv.
Eingeschoben zwischen die Titel 14 und 15 ist die frühe Klaviersonate von 1922/23 in drei Sätzen, die Eisler seinem Lehrer Arnold Schönberg widmete. Neben der einfühlsamen Begleitung des Sängers kann Larcher sich hier mit expressiv modellierten Tönen und virtuosen Läufen im Finale. Allegro auch solistisch beweisen.
Ergänzt wird das Programm von Berios fünfsätziger Sinfonia, die das BBC Symphony Orchestra, welches bei den Mahler-Liedern nicht nur eine begleitende Funktion ausübt, sondern faszinierende Klangeffekte schafft, bereits 2012 in London einspielte. Das 1968/69 entstandene Werk verstört mit seiner Ballung von Wortfetzen, Vokalisen und Geräuschen (welche von The Synergy Vocals ausgeführt werden), zitiert im 3. Satz Mahlersche „Wunderhorn“-Motive, was die Kombination von Mahler und Berio auf der CD erklärt. Bernd Hoppe