Kritikerschelte

 

Warum können manche Autoren, Sänger oder Theatermacher so schlecht mit begründeter Kritik umgehen? Natürlich ist es schmerzhaft, wenn ein Objekt, in das der Betreiber so viel Arbeit gesteckt hat, sich ganz sicher in langer Vorarbeit etwas gedacht, Zeit und Geld darauf verwendet hat, nun lesen muss, dass dieses Objekt nicht auf allgemeine Zuneigung trifft. Das ist gewiss schmerzhaft, aber eben doch auch normal, weil sich nun herausstellt, ob ordentlich gearbeitet, gut recherchiert und die Hausaufgaben gemacht wurden.

Große Geister und ihre Kritiker: Richard Wagner und Eduard Hanslick/ OBA

Große Geister und ihre Kritiker: Richard Wagner und Eduard Hanslick/ OBA

Es geht hier nicht ums Geschmackliche – de gustibus…., sondern es geht ums Nachprüfbare, um Fakten und deren Interpretation (und da fängt sicher die Domäne der Projektion und der unterschiedlichen Meinungen an, ganz sicher). Über Inszenierungen selbst kann man trefflich streiten und sich erhitzen, weil die etwas mit Ästhetik und dem Gelernten zu tun haben. Wenn Regisseure – wie so oft heute – ihre Kindheitsschäden abarbeiten, mag man sich verschließen und sich langweilen. Oder zustimmen, weil man Vertrautes entdeckt, Plausibles, Erhellendes.

Aber Fakten in einem neuen Buch (zumal Fachbuch oder Biographie) zum Beispiel sind eben Fakten, unumstößlich. Jahreszahlen, Standesamtsbelege, Hausnummern sind unwiderlegbare Belege für etwas. Rollen in Opern auch. Prozessakten und Todesmeldungen ebenfalls. Daran ist nichts herum zu ändern, bestenfalls zu unterschlagen. Was sich wie vieles in dieser Richtung rächt.

Warum also recherchieren Autoren nicht besser? Warum fragen sie nicht Zeitzeugen, wenn sie historische Untersuchungen anstellen? Warum nutzen sie nicht die Betrachtungen und Forschungen anderer anerkannter Fachleute? Warum nicht die Meinung anderer zu den zugänglichen Quellen und Dokumenten (z. B. Schallplattenaufnahmen) für eine eigene Wertung?

Dafür kritisiert zu werden und dann übel zu nehmen ist doch keine souveräne, wenngleich nachvollziehbare Reaktion. Es ist jedoch unser Beruf als langgediente Journalisten, Fakten und deren Verwendung auf die Spur zu kommen. Recherche ist da A und O unseres Berufes. Das lernt man als junger Journalist in seinen ersten Berufsjahren: Quellen auswerten, recherchieren, an den Fakten bleiben. Das ist heute so viel einfacher als noch zu Beginn meiner Laufbahn, als man sich in Bibliotheken einmieten musste und sich bei den Notizen die Handgelenke wund schrieb. Heute bietet das Netz so unendlich viele Möglichkeiten der Information (wenngleich Vorsicht geboten ist und Wikipedia nicht das Ende aller Dinge ist). Warum also schauen Autoren nicht genügend ins Netz, um Dinge abzuklären? Von Fachliteratur in jedweder Sprache ganz abgesehen?

Große Geister und ihre Kritiker: Johannes Brahms und Eduard Hanslick/ OBA

Große Geister und ihre Kritiker: Johannes Brahms und Eduard Hanslick/ OBA

Vielleicht weil sie so von jerglichem Zweifel unangefochten nur mit ihrem Objekt beschäftigt sind, dass sie nicht in genügend Richtungen  denken? Weil sie verbohrt um jeden Preis nur eine Fährte verfolgen und der alles andere, Logische oder Offensichtliche, opfern? Weil sie mit aller Macht etwas herstellen wollen, dem zu wenig Material zu Grunde liegt? Gerade historische Themen sind da schwierig, wenn die Informationen nicht ausreichen oder gesucht werden.

Kein Journalist verreißt gerne und willentlich eine seriöse Aufführung oder ein dto. Buch. Verrisse sind anstrengend, weil sie gut untermauert werden müssen. Es ist leicht, zu sagen „Das gefällt mir nicht!“ Daran ist ja kaum etwas auszusetzen, wenn das Urteil im rein Geschmacklichen bleibt. Aber ein Buch oder einen Auftritt sehr kritisch zu sehen, Belege für Fehler und Unregelmäßigkeiten zu benennen, erfordert seitens des Kritikers eine gute Recherche, ist anstrengend, zeitraubend. Und wenn er Ungereimtheiten entdeckt sollte er diese auch benennen, sonst fallen sie auf ihn selbst zurück. Da hat man Verantwortung. Und das ist keine Frage der Eitelkeit, sondern der eigenen Kenntnisse und Gründlichkeit. Die man den Autoren und Machern oft wünscht.

Wenn man so viel geschrieben und gesehen hat wie wir hier bei operalounge.de, bleibt jede Eitelkeit der Selbstdarstellung auf der Strecke. Man muss sich nicht beweisen, wie toll man ist. Man muss nicht der Welt zeigen, was man alles weiß. Das erledigt sich in den ersten Jahres des Berufes und weicht – in unserem Fall – der Liebe zur Musik. Journalisten sind keine Götter und irren auch, zweifellos – wie jeder Mensch. Aber der, der sich mit einem Projekt  an die Öffentlichkeit wagt, muss eben auch gewärtig sein, beurteilt zu werden, bleibt nicht mehr privat. Und sollte eine ernst gemeinte, seriöse und im Detail akribische Kritik auch ernst nehmen, nicht dagegen pöbeln oder schimpfen. Ich selber habe in den letzten vierzig Jahren schon viel Herbes als Reaktion gehört, sogar eine Morddrohung von einem betrunkenen Fan einer Provinzdiva erhalten. Aber uns nun – wie kürzlich in einer Autorenreaktion – mit  „Eunuchen“ gleichzusetzen, „die wollen, aber nicht selber können“, war schon eine Überraschung. Zumal aus dieser Ecke…

In den 68ern hieß das in West-Berlin: „Geht doch in den Osten, wenn´s euch hier nicht passt!“, die Abwandlung für einen Kritiker ist heute: „Schreiben Sie doch selber ein Buch!“. Und dazu fällt mir in Abwandlung ein: „Ich lege zwar selber keine Eier, aber ich weiß, wie sie schmecken…!“ Geerd Heinsen

 

Bild oben: Lecomte du Nouy: „Der Traum des Eunuchen“, 1773/ Wikipedia

  1. Kevin Clarke

    Zum Thema Kritker und Autoren gäbe es hier sicher viel zu sagen. Aber an dieser Stelle nur dies: Die Wagner-Karikatur zeigt nicht Hanslick, sondern Daniel Spitzer, den Herausgeber der Briefe Wagners an eine Putzmacherin. Diese Karikatur wurde in einer späten Ausgabe auf dem Deckblatt von „Richard Wagner und die Homosexualität“ von Hanns Fuchs gezeigt (in der Ausgabe vom Janssen Vlg.)

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