Ein echter Coup der Baden-Badener Festspiele, eine rundum gelungene Produktion. Le nozze di Figaro. Die renommiertesten internationalen Opernstars singen Mozart – das Musikfestival in Baden-Baden macht‘s möglich. Seit Jahren versammeln sich viele prominente Sänger dort, um unter Leitung von Yannick Nezet-Seguin die wichtigsten Mozart-Opern konzertant in einer Gala zu präsentieren. Nach schwächelnden Produktionen der letzten Jahre ist Baden-Baden 2015 nun ein echter Coup geglückt: eine rundum gelungene Produktion des Figaro. Die Deutsche Grammophon hat mitgeschnitten.
Furioser Figaro: Im Mittelpunkt der rebellischen Intrige von 1786 steht natürlich Figaro selbst, hier gesungen vom Bass-Bariton Luca Pisaroni, schon bei der Don Giovanni-Produktion in Baden-Baden 2012 ein furioser Leporello. Und diesmal ein noch besserer Kammerdiener!
Alte und junge Stars: Umrahmt wird er von einem Ensemble alter und junger Stars. Sein adliger Widersacher ist niemand geringeres als Bariton-Legende Thomas Hampson. Seit seiner Almaviva-Partie in Harnoncourts Aufnahme vor 22 Jahren hat er vielleicht an jugendlicher Frische verloren, aber das macht er durch gestalterische Tiefe wett. Er findet traurige und bittere Nuancen für seine Grafenrolle, gibt ihn als verzweifelten Möchtegern-Schürzenjäger in der Midlife-Crisis. Gräfin und Susanna werden von zwei Stars der jungen Sängergarde gegeben – Sonya Yoncheva und Christiane Karg. Grade die Gegensätzlichkeit der beiden Sopranistinnen macht den aparten Reiz der Kombination aus. Sonya Yoncheva: Schwerblütig, mit einem Hang zum melancholischen Belcanto als verlassene Gräfin, Christiane Karg: federnd, präzise und kess als knallwaches Kammermädchen Susanna. Ein wunderbares Paar!
Sänger-Ikonen: Ein besonders witziger Einfall ist die Besetzung der beiden fiesen Rollen mit Sänger-Ikonen, die wir eher mit strahlenden Helden in Verbindung bringen: Rolando Villazón schlüpft in die kleine Rolle des intriganten Dottore Basilio und kann hier sein komisches Talent endlich einmal voll entfalten. Und Anne Sophie von Otter gibt mit viel Selbstironie die boshafte Matrone Marcellina.
Reine Spielfreude: Wie bei allen Mozart-Opern der Reihe in Baden-Baden wird das turbulente Team zusammengehalten vom Dirigenten Yannick Nezet-Seguin, der mit dem Chamber Orchestra of Europe eine scharf akzentuierte, aggressive und trotzdem sinnliche Interpretation der Oper liefert. Und wieder einmal beweist, dass es nicht immer historische Instrumente sein müssen, die einen guten Figaro ausmachen. Manchmal macht auch einfach die reine Spielfreude eines guten Orchesters glücklich (mit Luca Pisaroni, Christiane Karg, Sonya Yoncheva, Rolando Villazón, Thomas Hampson; Chamber Orchestra of Europe; Yannick Nezet-Seguin; 3 CD Decca 4795945). Matthias Käther