Gleich könnte Scottie Ferguson, der Mann mit der Höhenangst, um die Ecke kommen. Bei Bernard Herrmann klingt es im Herrenhaus auf dem Hochmoor von Yorkshire so wie auf den Dächern von San Francisco, wo Hitchcocks Vertigo spielt. Immerhin war Herrmann, der von Citizen Cane für Orson Welles bis Taxi Driver für Martin Scorses, für die Hautevolee von Hollywoods Regisseuren arbeitete, so etwas wie Hitchcocks Haus- und Hofkomponist. Aus seiner frühen Zeit stammt die Oper Wuthering Heights nach dem ersten Teil des Romans von Emily Brontë. Aus dem verschachtelten Roman, der über drei Generationen die Begebenheiten auf Wuthering Heights und Thrushcross Grange und die Beziehungen zwischen den Earnshaws und Lintons schildert, hat sich Herrmanns Frau Lucille Fletcher die leidenschaftliche und schicksalhafte Liebesgeschichte zwischen Catherine und Heathcliff ausgesucht. Das Findelkind Heathcliff wurde im Haus der Earnshaws zusammen mit Catherine und ihrem Bruder Hindley aufgezogen. Nach dem Tod des alten Earnshaw wird Heathcliff von Hindley wie ein Knecht behandelt und schikaniert. Catherine und Heathcliff sind sich untrennbar zugetan, dennoch verlässt Heathcliff Wuthering Heights. Catherine heiratet Edgar Linton, Heathcliff kehrt wohlhabend und zu einem Herrn gereift zurück und heiratet Catherines Schwägerin. Dennoch lebt die alte Leidenschaft zwischen Catherine und ihm weiter. Nicht zu verwechseln ist Herrmanns Oper mit Wuthering Heights von Carlisle Floyd, deren endgültigen Fassung 1959 in New York herauskamen und die erst kürzlich im Mittelsächsischen Theater in Freiberg ihre späte deutsche sowie europäische Erstaufführung erlebte.
Warum es um Herrmanns Sturmhöhe noch stiller als um die Version von Floyd blieb, wird bald klar. Herrmann ist offenbar ein phantasievoller Illustrator, der mit dem großen Orchester Atmosphäre und Situationen schafft, die Landschaft beschreibt und den Figuren Themen zuweist, auch ein musikalischer Feinzeichner, der instrumentale Signale in einer schwelgerischen Art einsetzt und in der Salonszene des dritten Aktes mit dem von Yves Saelens mit zartem Tenor berückend schlicht vorgetragenen liedhaften Liebesgeständnis ähnlich spätromantisch herbstliche Wirkungen (neo-Romanticism, laut Herrmann) erzielt. Solche „Inseln“ bewahren die fast dreistündige Oper nicht vor Durstrecken. Die Erwartungen, die das raffiniert kompilierte Vorspiel weckt, werden nur zum Teil eingelöst. Vieles ist Schablone, handwerkliche Fleißarbeit, ariose Plaudereien, trockener Sprechgesang und unimaginatives Singen, vom Komponisten lyric parlando genannt, mit Ausnahme der dramatisch durchorganisierten Szenen zwischen der sich in verbotener Liebe zugetanen Catherine und Heathcliff.
Für die Cathy hat Laura Aikin einen gequetschten, etwas müden und strengen Sopran, der wenig Raum für jugendlich- dramatische Entfaltung lässt, wie ihn die Partie vermutlich braucht, aber den entsagungsvollen Szenen des letzten Aktes zugute kommt. Dem Heathcliff verleiht der israelische Bassbariton Boaz Daniel düstere animalische Wucht. Wie meist macht Vincent Le Texier seine Sache gut, ohne dem tyrannisch-bösen Hindley die Spur einer Physiognomie zu geben. Prägnant und hinreichend geheimnisvoll ist hanna Schaer als alte Haushälterin Nelly. Ungekürzt wurde die 1951 fertig gestellte Oper erstmals zu Herrmanns hundertstem Geburtstag 2011 von der Minnesota Opera gegeben. Nach der von Herrmann 1966 dirigierten Ersteinspielung ist der von accord irritierender weise als „Les Hauts de Hurlevent“ betitelte Konzertmitschnitt vom Festival de Radio France unter Alain Altinoglu nun bereits die zweite CD-Aufnahme des Werkes.
Rolf Fath
Bernard Herman: Wuthering Heights mit Laura Aikin/Cathy, Boaz Daniel/Heathcliff, Vincent le Texier/Hindley u. a.; Alain Antinoglu, Chor und Orchester Radio Festival Montpellier,2 CD accord 476 4653