„Im Angedenken an Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch“ lautet die Zugeignung auf dem Klavierauszug von Mieczyslaw Weinbergs 1994 im Druck erschiener Oper Der Idiot. Weinberg setzte damit seinem 13 Jahre älteren und 1975 verstorbenen Kollegen und Förderer ein Denkmal, indem er Dostojewskis aufrechten, liebeswerten, gegen Konventionen verstoßenden Fürsten Myschkin, den angeblichen „Idioten“, mit dem sensiblen, Demütigungen erleidenden und illusionslos die Situation des Künstlers in einer Diktatur thematisierenden Schostakowitsch in Verbindung brachte. Zugleich schlug Weinberg einen Bogen zu Mussorgsyks Boris Godunow und dessen Figur des Gottesnarren, der als einziger dem Zaren die Wahrheit entgegenschleudert, sagt doch Myschkins Gegenspieler Rogoschin „Wahrhaftig, Fürst, du bist ja ganz und gar ein Jurodivyi“ – also Gottesnarr – „Und solche hat Gott der Herr lieb!“.
Weinberg gehört zu den großen Entdeckungen der Opernbühne, die auf den 1919 in Warschau geborenen und über Minsk und Taschkent nach Moskau gelangten Komponisten erst zehn Jahre nach seinem Tod stieß. Teilweise erst Jahrzehnte nach ihrer Entstehung erlebten seine Opern ihre posthume Uraufführung, darunter 2010 Die Passagierin. 2013 führte Mannheim den Idioten auf: Die Uraufführung des Jahres, deren Mitschnitt nun auf CD vorliegt (Pan Classics PC 10328) und den großen Eindruck, den das Werke seinerzeit machte, nochmals bestätigt. Der Idiot ist ein gewaltiges Stück, ein Literaturoper, die die Linien von Mussorgsky über Tschaikowsky und Prokofjew fortsetzt und, trotz ihrer Schostakowitsch-Assoziationen, von originär funkelnder Vielgestaltigkeit ist.
Das Stück ist lang, sehr lang, dreieinhalb Stunden, und die Anfangsszenen sind etwas hären. Natürlich fehlt der vielschichtigen Romanvertonung die Szene. Doch Thomas Sanderling, dessen Vater sich bereits in der Sowjetunions für Weinbergs sinfonisches Schaffen eingesetzt hat, gelingt es, eine soghafte Wirkung zu erzielen. Es entstehen plastische Szenen von ausgelassenen Festen und philosophischen Exkursionen, getragen von einer gestischen Bravour und Klangsprache, in der sich illustrative Konversationsbilder und bizarre Tanzszenen, grelle Fanfaren und romantisch satter Streicherklang, ironischer Witz und sinnlich arioser Tonfall durchdringen und leitmotivisch ergänzen. Dmitry Golovin war der der Uraufführung ein noch pointierter Myschkin, doch Juhan Tralla singt den Fürsten mit runderem Tenor. Den Mörder Rogoschin, den der Fürst am Ende in Armen hält, gestaltet Steven Scheschareg mit gegerbtem Bassbariton. Der von beiden geliebten Nastassja verleiht Ludmila Slepneva ordinäre Sinnlichkeit, dazu ein rundum stimmiges, intensiv agierendes Ensemble mit Anne-Theresa Möller als Aglaja, Bartosz Urbanowicz und Elzbieta Ardam als General Jepantschin und Gattin (irritierend die unterschiedlichen Schreibweisen der russischen Namen im Textheft und auf der Rückseite des 3 CD-Schubers), Lars Möller als Lebedjev und Bryan Boyce als Totsky. Rolf Fath