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Genau vor einem Jahr war in Prag ein wichtiger Beitrag des deutsch-tschechischen Kulturaustauschs zu erleben. Gefördert vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds erklang im September 2014 Antonin Dvořáks einzige original deutsche Oper Alfred – aufgeführt von deutschen und tschechischen Musikern. Ein Erstlingswerk. Aber nicht immer gelingt es, eine Wiederentdeckung auch adäquat umzusetzen.
Zum ersten Mal zu hören: Der junge Dvořák war ein flammender Wagnerianer. Als Wagner 1863 in Prag Konzerte gab, hat Dvořák sogar unter seiner Leitung im Orchester gespielt, er war begeistert von dessen Ideen, und so vertonte er 1870 als 29jähriger ein altes Heldendrama von Theodor Körner. Das gilt bis heute als absolute Schreibtischtat. Kurt Honolka, der Dvořák-Biograph, spricht es offen aus: „Alfred ist ein Beispiel perfekter Naivität, ohne jede Chance, je aufgeführt zu werden.“
Dennoch gab es einen Versuch, Dvořáks erste Oper zu reanimieren. Die Aufführungsserie Ende 1938 in Prag (auf Tschechisch) fand durch den Einmarsch der Nazis ein schnelles Ende, es kam nur zu 6 Vorstellungen. Und so ist der originale Alfred in Deutsch hier nun wirklich zum ersten Mal zu hören, denn bei der konzertanten Aufführung im Prager Rudolfinum 2014 handelte es sich um die Uraufführung der Originalfassung.
Ein sozialistisch angehauchter König: Es ist die etwas „tastende“ Musik eines aufsteigenden Genies. Alfred hat die typischen Kinderkrankheiten der meisten Erstlingsopern. Ähnlich wie bei Verdis Oberto oder Straussens Guntram hat man das Gefühl: da hat sich jahrelang Schaffensdruck aufgebaut, und nun entlädt er sich in einem wüsten Gewitter. Um das genießen zu können, braucht es eine Prise Humor. Ein Kuriosum, das der Oper unfreiwillig einen komischen Anstrich verleiht, ist die Tatsache, dass Alfreds Leitmotiv klingt wie die ersten Takte der Internationale – das konnte Dvořák natürlich nicht wissen; die Assoziationen stellen sich trotzdem ein. Ausgerechnet das Leitmotiv eines britischen Königs des 9. Jahrhunderts! Denn zelebriert wird hier vor allem das martialische Hin- und Her-Gestapfe dänischer und englischer Krieger im 9. Jahrhundert mit ein ganz bisschen Liebesgeschichte dazwischen, die auch Kerkerszenen und Befreiungsphantasien nicht ausspart. Das Ganze erinnert ein wenig an Dalibor von Smetana, auch dies Werk wurde übrigens ursprünglich auf ein deutsches Libretto komponiert.
Doch anders als Smetanas Meisterwerk hätte eine Übertragung ins Tschechische dem Alfred zu Dvořáks Lebzeiten nichts genützt. Denn dieses Körner-Drama war 1870 schon fast 60 Jahre alt, die heroisch-abgenutzte Sprache damals schon angestaubt. Hier, im öden dramatischen Aufriss, merkt man ganz deutlich: So spannend der frühverstorbene Körner als Freiheits- und literarische Figur im napoleonischen Krieg als Lyriker auch war – er ist eben kein Kleist. Und Heines Spott auf den jungen Möchtegernchauvinisten, der gern und oft metaphorisch in Franzosenblut watete, war wohl berechtigt. Dennoch, und das ist ein wichtiges Trotzdem, springt einfach immer wieder die jugendliche Begeisterung des Komponisten Dvořák auf den Hörer über. Wunderbar, diese jungenhafte Freunde am Bombast, die unwiderstehliche Lust an der großen Operngeste! Hier probiert sich wie im Labor der Opernkomponist aus, viele Details erinnern schon angenehm an die späteren großen Opern-Schlachtschiffe wie Dimitrij und denJakobiner.
Miserabel präsentiert – für viel Geld: Leider ist die Präsentation vom kleinen CD-Label arco-diva erbärmlich. Ein böses Wort, gewiss, das aber besonders angesichts eines gepfefferten Preises gerechtfertigt ist. Wir bezahlen den Preis einer Luxus-Opernedition und bekommen den Service einer Billigfirma. Es beginnt schon mit dem Skandal, dass eine deutsche Oper, gefördert vom deutsch-tschechischen Zukunftsfonds (!), auf die CD kommt und der Einführungstext nur auf englisch und tschechisch ist – so als existiere der wichtige deutsche Klassikmarkt (einer der kaufkräftigsten Europas!) gar nicht. Auch die Track-Setzung des Booklets ist hundsmiserabel, man bekommt die Szenen nur durchnummeriert, ohne Angabe, welche Nummern genau zu hören sind. Für das deutsche Libretto wird auf das Internet und die Homepage verwiesen, und, um dem Dilettantismus die Krone aufzusetzen, dann ist das Libretto wiederum ohne Track-Angabe für die CD! Da möchte man die Aufnahme an die Wand werfen.
Ich hab mich aber doch bezähmt – denn abgesehen vom nadelspitzen, schmerzenden Sopran Petra Froeses als Alvina schlagen sich alle Sänger recht wacker, allen voran der helle, agile Bariton Felix Rumpf in der Titelrolle. Weiterhin singen Ferdinand von Bothmer/ Harald, Jörg Sabrowski/ Gothron, Peter Mikulas/ Sieward, Tilmann Unger/ Dorset und Bote sowie Jarmila Baxova/ Rowena und der Tschechische Philharmonische Chor Brünn (Petr Fiala). Das Prager Radiosinfonieorchester ist wie so oft hervorragend, zusammen mit dem Radiosinfonieorchester Warschau das beste osteuropäische Rundfunkorchester überhaupt. Und man spürt bei jedem Takt, dass der Dirigent, Heiko Mathias Förster, das Werk wirklich kompromisslos liebt. Dvořák-Freunde und entdeckungssüchtige Opernfans sollten also zugreifen, trotz der schludrigen Präsentation des Werks. Matthias Käther
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Abbildung oben: Theodor Körner, porträtiert von seiner Tante Dora Stock (nach einer Pastellminiatur von seiner Schwester Emma Sophie Körner), 1813/1814/ Wikipedia. Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.