Zumindest die Ouvertüre kennen wir. Sie hat Rossini noch in Elisabetta und im Barbiere recycled. Erstmals verwendete er sie bei seinem zu Weihnachten, am 26.12., 1813 in Mailand uraufgeführten Aureliano in Palmira. Zum ersten und einzigen Mal setzte Rossini auch einen Kastraten ein, was angesichts der Tatsache erstaunen mag, dass Meyerbeer noch zehn Jahre später den Kreuzritter Armando in Il crociato in Egitto in Venedig mit einem Kastraten besetzte; auch angesichts Rossinis oftmals fioriturenreichem wie aus der Kastratenzeit stammenden Stil. Auch Palmyra kennen wir, da das heutige Weltkulturerbe nach der Eroberung durch den IS und dessen Drohung, die antike Stätte zu zerstören, traurige Gegenwart geworden ist. Giuseppe Felice Romanis Libretto repetierte die vielmals erzählte Geschichte vom Krieger, der sich vom Brutalo zum mildtätigen und gütigen Monarchen wandelt wie aus dem vorausgegangenen Jahrhundert. Der Mann mit dem schönen Namen Aureliano ist der römische Feldherr Aurelian, der im späten dritten nachchristlichen Jahrhundert die kaiserliche Macht im Osten des Reiches wiederherstellen will, die Stadt Palmyra unterwirft und sich auch Zenobia, die Witwe des einstigen Herrschers, gefügig machen will. Sie liebt inzwischen den persischen Prinzen Arsace, den Aureliano in den Kerker wirft, ihm aber schließlich in einem Akt ungemeiner Läuterung zusammen mit Zenobia die Herrschaft über Palmyra übergibt, worauf sie den Römern Treue schwören. Wahrscheinlich war das Publikum solche Opern leid, weshalb der 22jährige mit seinem zweiten Auftrag für die Scala nicht sonderlich erfolgreich war, was er nach den Triumphen mit der Italiana und dem Tancredi im gleichen Jahr leicht verschmerzen konnte.
In unseren Zeiten wurde der arg konventionelle und schablonensteife Aureliano erst 1980 in Genua wieder ausgegraben. Doch ganz so unbekannt ist er auch in der Folge nicht geblieben: in Lucca wurde die Oper 1991 mit Denia Mazzola als Zenobia und Luciana D‘ Intino als Arsace gegeben, Rossini in Wildbad spielte das Dramma serio 1996, es folgte 2011 Martina Franca (beide Mal mit einem Countertenor als Arsace) und schließlich Pesaro, wo 2014
Will Crutchfield die von ihm eingerichtete Kritische Edition dirigierte. Der Trumpf dieser Aufführung im Teatro Rossini ist zweifellos Michael Spyres, der nicht nur die Schärpen, die ihm Ursula Patzak über seine Rüstung geworfen hat, mit großer Selbstverständlichkeit und lässiger Eleganz trägt, sondern sich auf ebenso natürlich Weise die Partie zu eigene gemacht hat, die er psychologisch erfasst und stimmlich mit seinem stets ausgeglichen und rund klingenden Baritenore glaubwürdig umsetzt. Es gelingt Spyres sogar, die steifen Rezitative geschmeidig klingen zu lassen. Sein eigentlicher Widersacher Arsace bleibt ein rechtes Leichtgewicht, da die völlig unbeteiligt spielende usbekische Mezzosopranistin Lena Belkina zwar recht hübsch, aber auch pauschal singt (interessant neben weiteren Barbiere-Vorwegnahmen Arsaces Una voce poco fa-Adaption). Raffaella Lupinacci ist eine gut aussehende Publia. Jessica Pratt, die ich erstmals in Wildbad hörte und die seither in Italien gerne als Gilda, Amina und Lucia verpflichtet wird, singt die Zenobia mit einem sehr wackeren, auch höhenstarken Sopran, manchmal klingen die Koloraturen gestanzt und ein wenig leiernd und nicht sehr involviert, doch vieles macht sie wirklich sehr gut; das Publikum liebt sie. Darstellerisch lässt die Australierin gesteigertes Engagement vermissen. Eine Hilfe war ihr auch nicht der Filmemacher Mario Martone, der Aurelianos Feldzug mit klassizistischen Säulen, einem Thron und einem kleinen Irrgarten aus durchscheinenden Tuchwänden und Patzaks Kostümfest-Überwürfen dekorativ hilflos auf die kleine Bühne brachte. Ein paar Spaziergänge um den Orchestergraben und die Einbeziehung der Proszeniumslogen helfen nicht gegen die aufkommende Langeweile, auch nicht Cruchtfields sorgfältiges und kundiges Dirigat (Arthaus Blu-Ray 109074). Rolf Fath