Leo Fall gehört zu den großen Operetten-Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts und ist berühmt geworden durch Werke wie Die Rose von Stambul und vor allem Madame Pompadour. Beim Label cpo ist nun seine Oper Paroli erschienen. Ein erstaunliches Frühwerk – das viel Talent beweist. Leo Falls Paroli ist seine allererste gedruckte musikdramatische Partitur – ein Frühwerk von 1902, ein einstündiger heiterer Einakter, aber keine Operette.
Paroli wurde in Berlin uraufgeführt (obwohl man in manchen Quellen falsch Hamburg als Premierenort angibt). Fall lebte damals in Berlin und versuchte, als Komponist Fuß zu fassen; er schlug sich als dritter Kapellmeister am Metropoltheater durch, komponierte Couplets für die aufstrebende Kabarett-Szene. Leider fand er keinen guten Librettisten für seine ehrgeizigeren Projekte. Text und Handlung von Paroli sind derart schlecht, dass schon 1902 die nicht sehr verwöhnte Kritik völlig fassungslos über den gestelzten Unsinn und vor allem die schlechten Witze und Verse war, die da in einem kleinen Theater am Alexanderplatz geboten wurden.
Es geht um einen abgehalfterten Adligen, der einer schönen Müllerin nachstellt, die aber einen einfachen Burschen liebt. Beide überlisten den Mann am Schluss und verpassen ihm einen Denkzettel. Warum klingt so ein Plot bei Offenbach immer geistreich und im deutschen Schwank meist peinlich? Tragikomisch wirkt auch heute noch die Fallhöhe von Wort und Musik. Der Text zieht einem die Schuhe aus, und vertont wird er von einem jungen Mann, der jede Note originell, ambitioniert und hochintelligent setzt. Da gibt es raffinierte Taktwechsel, sublime Melodik und harmonische Frechheiten – das bewegt sich weit über Niveau des üblichen Singspiels –, mitunter ist sogar schon der musikdramatische Drive Künnekes vorweggenommen. Der Effekt ist etwa so, als würde Richard Strauss eine Folge von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ vertonen.
Für Ausgrabungen soll man ja immer dankbar sein. Bin ich auch. Danke, WDR! Dennoch irritiert mich hier die Unwichtigkeit des Werks in Relation zum noch nicht Aufgenommenen. Da gäbe so viel Wichtigeres aus Falls Reifezeit zu entdecken – und auch neu einzuspielen, da das Wenige, das auf alten Bändern vorliegt, oft gekürzt, verstümmelt, neu instrumentiert wurde. Die Spanische Nachtigall könnte man ausgraben, den Nachtschnellzug, auch eine Neufassung der Geschiedenen Frau wäre erfreulich. Warum muss es ein musikalisch zwar interessantes, aber eben doch recht entlegenes und Fall-untypisches Frühwerk sein?
Musikalisch umgesetzt wurde das Ganze jedenfalls in großen Teilen mit vom WDR gewohnter Liebe und Seriosität; ich vermute, das WDR-Funkhausorchester Köln klingt sogar besser als das magere Orchesterchen der Uraufführung. Dirigent Axel Kober macht keinen Versuch, die so vielschichtige, kluge Musik in die Operettenecke zu schieben; der Opern-Ton bleibt gewahrt, und die Sänger sind ausgezeichnet (Anke Krabbe) bis passabel (Andrea Böning). Der Versuch, das Stück selbst zu retten, ist leider gescheitert, trotz der beim WDR seit den 50er Jahren in Funkoperetten so bewährten Hörspiel-Technik, Dialog und Erzähler zu verbinden. Ich jedenfalls habe beim Anhören der CD kein Wort verstanden von dem, was da grade passiert. Ist vielleicht auch besser so. Schade, dass das Libretto so miserabel ist (Leo Fall: Paroli mit Anke Krabbe, Andrea Bönig, Jörn Dürmüller, Ralf Lukas; WDR Rundfunkchor Köln; WDR Funkhausorchester Köln, Dirigent Axel Kober; cpo 777 899-2). M. K.