Nicht die elektronische Steuererklärung verursacht im Melodramma La gazza ladra die Turbulenzen, welche die arme Ninetta an den Rand des Schafotts führen, sondern der Vogel, der sich besonders von glänzenden Gegenständen angezogen zeigt, eine Eigenschaft, die Rossini in eben jener „Diebischen Elster“ sozusagen als Hobby-Ornithologe auf die Bühnenbühne brachte. Die Elster musste Federn lassen, übrig geblieben ist nur die schmissige Militärouvertüre. Als das Rossini Opera Festival 1980 ausgerechnet mit der 1817 uraufgeführten Oper seine Tätigkeit ausnahm, hätte man dem Unternehmen in Rossinis Geburtsort an der Adria kaum Erfolg vorhergesagt. Schienen nicht die bald folgenden La donna del lago, Tancredi, Mosè in Egitto, Maometto Secondo, Bianca e Falliero, Ermione und Otello wichtiger? Ähnliches Erstaunen löste nur der Viaggio aus, die sich fast zu einem Repertoirestück entwickelt hat. Der nachhaltige Einfluss des Stückes ging erst später auf. Ich brauchte auch zwei Anläufe, um mich mit der Gazza ladra anzufreunden, mit der Länge und der unentwegten Folge von Arien und Ensembles, die dem wagnerlangen Zweiakter den gewichtigen Umfang einer Seria geben. Im zweiten Pesaro-Jahr hatte Alberto Zedda, damals quasi noch ein Youngster, die Leitung des Werkes übernommen (die Produktion von 1989 unter Gelmetti wurde dann von Sony mitgeschnitten), und als kundiger Stratege durch das Dorf und den sonderbaren Justizfall geführt, der die ländliche Heiterkeit und Komödiantik mit einen Trauerrand versah, eine echte Semiseria, in der ein unschuldig des Diebstahls bezichtigtes Mädchen zur tragischen Heldin wird und die Mechanismen der Buffa und Seria und Gesellschaftsschranken aufgehoben werden: Die einfachen Menschen, die bislang komisch zu sein hatten, erleiden tragische Schicksale, die Menschen von Stand können hinterhältig und böse sein.
Zum 20jährigen Bestehen schenkte sich Rossini in Wildbad 2009 auch diese Diebische Elster und holte sich für die etwas prominenter aufpolierte und klanglich ausgezeichnete CD-Einspielung (Naxos 8.660369-71) den zuvor schon mehrfach ins Schwarzwaldtal gekommenen Alberto Zedda. Altmeister Zedda, Geburtsjahr 1923, erzählt die harmlose Begebenheit mit der ihm eigenen liebevollen Eloquenz, dass die nach der von den Virtuosi Brunensis hinreichend prickelnd gespielten Sinfonia schablonenhafte Introduzione bereits zu einem Dorffest gerät. Elegant verflechten sich die Ensembles, die Solopassagen und Chornummern, dabei leicht und gewitzt, wie in einem Ballett von Bournonville, in dem Luisa Islam-Ali-Zade mit ihrem tiefdunkel runden, lebensprallen Mezzosopran als Mutter Lucia gleich zu Begin Akzente setzt.
Es braucht seine Zeit, bis Nanetta vom Vorwurf des Diebstahls freigesprochen wird. Das ganze Dorf ist in dieser angeblich auf einer wahren Begebenheit basierenden Geschichte eingespannt, bis alle vom fahrenden Händler Isacco (Stefan Cifoletti), dem als Hosenrolle angelegten Bauernburschen Pippo (Mariana Rewerski), dem Pächterehepaar Lucia und Fabrizio und deren Sohn und Ninettas künftiger Gatte Giannetto bis zu Ninettas desertiertem Vater Fernando und dem fies-lüsternen Bürgermeister ihre Arien gesungen haben. Kenneth Tarver wirkt als Kriegsheimkehrer Giannetto in „Vieni fra queste braccia“ noch etwas befangen, die schöne Tenorstimme etwas grobkörnig, doch bereits im ersten Finale verzaubert er durch federnde Leichtigkeit. Bruno Pratico singt den zerlumpten Soldaten Fernando, Ninettas Vater, mit akzentuierter Wortbehandlung, wenn auch nicht mehr mit früherer Tonfülle, Lorenzo Regazzo ist als Podesta Gottardo, für den ihm eine bisschen die runde Tiefe fehlt, ohne Fehl und Tadel; freilich sollte man nicht an Furlanetto und Ramey bei Gelmetti denken, wie denn überhaupt damals einige Partien einfach glanzvoller besetzt waren, doch wie schließlich Ninettas Unschuld über alle Intrigen und Unterstellungen triumphiert, zählt letztlich der glückliche Gesamteindruck, das Lächeln, das Zedda allen Mitwirkenden in die Stimme zaubert. Natürlich auch María José Moreno, die in ihrer Auftrittsarie noch etwas unpersönlich wirkt, doch bereits im Duett mit dem Vater voll zarter Sopranfülle agiert und unter den Klängen des Trauermarschs glaubwürdig vermittelt, wie aus der zwitschernden Dienstmagd eine würdevoll das Schafott beschreitende Königin wird. Rolf Fath
Regelmäßig veröffentlicht die Frankfurter Oper Aufnahmen aus ihrem Repertoire, mal als CD und DVD wie den Ring, ansonsten lediglich als CD, allerdings stets ausgestattet mit einem reichhaltigen Booklet, das auch viele Farbfotos enthält. Ersetzen können die natürlich den optischen und damit den Gesamtgenuss an einer Oper nicht, vor allem dann nicht, wenn man dort zwar eine zweisprachige Inhaltsangebe findet, nicht aber ein Libretto, das gerade bei weniger bekannten Werken wie bei der vorliegenden La gazza ladra von Rossini unverzichtbar erscheint. Irreführend ist auch, dass bei den einzelnen Tracks fast immer nur der als Erster seine Stimme Erhebene genannt wird, da tröstet es auch nicht, dass die Sängerbiographien sehr ausführlich sind. Man hätte die Oper auch auf zwei CDs unterbringen können, ist mit drei Silberscheiben also großzügig verfahren, da hätte doch auch eine DVD möglich sein müssen. Die CD stammt von der Premierenserie im April 2014.
So recht bekannt, ja wunschkonzertverdächtig, ist nur die Sinfonia, die unter Henrik Nánási, zur Zeit noch Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlin, soviel militärische Straffheit wie graziöse Gewandtheit hören lässt, elegant auf den Höhe- und Schlusspunkt hin voran getrieben wird, was jeweils auch in den Finali aufs Beste gelingt. Ausgerechnet der Sänger mit dem bekanntesten Namen erweist sich dann als der Schwachpunkt de insgesamt guten Besetzung. Jonathan Lemalu, den man als samtweichen, tiefschwarzen Bass einst kennen gelernt hatte, tritt hier als Fernando Villabella, Vater der als ladra beschuldigten Ninetta mit dumpfer, belegt klingender und schwergängiger Stimme auf. Die Tochter hingegen, weitaus weniger bekannt, kann mit der lyrischen Sopranstimme von Sophie Bevan vom ersten Ton an für sich und ihre Partie einnehmen, geschmeidig und sanft auch in der Höhe klingend, vermag sie die jeweilige Gemütslage zwischen Verzweiflung und Freude, Erschrecken und Erleichterung allein durch den Stimmklang deutlich machen. Ein Gewinn für die Aufführung ist auch Katarina Leoson, die mit sattem Mezzo ihre schöne Arie fast am Schluss der Oper als Lucia für einen glanzvollen Auftritt nutzt und sich auch gegenüber dem Chor behaupten kann. Einen angenehm timbrierten Bass hat Federico Sacchi für den Fabrizio, ihren Gatten, während der Sohn Giannetto von Francisco Brito mit recht weißem Tenor und zum Falsettieren neigend, aber mit guter Technik vor allem im Finale des 1. Akts gefallen kann. Ein jungenhaftes Timbre besitzt Alexandra Kadurina für den hilfsbereiten Pippo, einen gern zum Chargieren eingesetzten Charaktertenor Nicky Spence für den Händler Isacco. Der Ninetta nachstellende Gottardo Podestà wird von Kihwan Sim mit farbigem, gut konturiertem Bass gesungen, so wie auch der Giudice von Carlos Krause markant genug für sein Amt klingt. Für die kleine Partie des Kerkemeisters hat Miachael McCown einen hübschen Tenor (Oehms OC 961). Ingrid Wanja