Dramatische Szenen im Konzertsaal

In schöner Regelmäßigkeit veröffentlicht BERLIN Classics/EDEL Aufnahmen mit der Sopranistin Christiane Karg – seien es Lieder oder Opernarien und nun auf dem neuen Album SCENE! Konzertarien von Haydn bis Mendelssohn (BC 03006488C). Fast alle dieser Szenen sind Vertonungen von Texten Metastasios, was für die starken Emotionen spricht, die in diesen Kompositionen stecken. Die Zusammenstellung der sechs Titel zeigt den Mut der Interpretin, ihr Fach des leichten lyrischen Soprans zu erweitern in Richtung von jugendlich-dramatischen Aufgaben mit heroischer Emphase. Beethovens „Ah. perfido“ op. 65 als Eröffnung des Programms ist solch ein Beispiel. Freilich ist es keine Interpretation in der Art des Fidelio oder der Isolde, aber eine, die erfüllt ist von der Intensität der lyrischen Stimme, einem eloquenten Vortrag mit intelligenter Wortbehandlung und klugem Aufbau der  dreiteiligen Szene mit gebührender Steigerung am Schluss. Mozarts „Ch’io mi scordi di te“ KV 505 (auf einen Text von Gianbattista Varesco), seiner ersten Susanna Nancy Storace aus Anlass ihres Wiener Abschiedskonzertes 1786 in die Kehle geschrieben, lässt die Stimme träumerisch und mit feinen Valeurs ertönen. Malcolm Martineau am Hammerflügel ist ein mitatmender Begleiter. Von Mozart folgt später noch die früher komponierte Szene „Misera dove son“ KV 369, welche den existentiellen Zustand der römischen Adelstochter Fulvia beschreibt, die wegen ihres toten Geliebten beinahe den Verstand verliert. Karg findet für das Rezitativ sensible Nuancen, welche die Kostbarkeit des Soprans herausstellen. Auch die Arie „Ah! non son’io che parlo“ ist in ihrem innigen Fluss ein berührendes Porträt. Berenice, die weibliche Hauptrolle in Metastasios Drama Antigono, scheint in ihrer seelischen Verwirrung eine Verwandte Fulvias zu sein. Haydn hat sie in das Zentrum seiner mehrteiligen „Scena di Berenice“ gerückt. Sie gibt der Interpretin Gelegenheit, Emotionen von vielerlei Arten auszudrücken. Sie hält dafür ein reiches Farb- und Ausdrucksspektrum bereit, gipfelnd im aufgewühlten Schluss „Perchè se tanti siete“. Vom selben Komponisten erklang vorher die Konzertarie „Miseri noi“, ebenfalls von Nancy Storace (1790 in London) kreiert. Die im Text geschilderten Schrecken des Krieges mit Tod und Zerstörung wurden vom Komponisten eher verhalten in Töne gesetzt, entsprechend introvertiert ist Kargs Gestaltung des Rezitativs mit nobler Tongebung. Die folgende Arie „Funesto orror“ zeigt die Stimme in ihrer lyrischen Kultur und bravourösen Flexibilität.  Mendelssohns „Infelice pensier“ in der 1. Fassung von 1834 beschließt die Auswahl. Maria Malibran sollte das Stück aus der Taufe heben (weshalb das anspruchsvolle Geigensolo für ihren Liebhaber und späteren zweiten Ehemann, den belgischen Geiger Charles-Auguste de Bériot, geschrieben wurde), doch wurde die Uraufführung von Maria Caradori-Allan wahrgenommen. Das begleitende Ensemble Arcangelo unter Jonathan Cohen leitet die Szene mit dramatischem Impetus ein, welchen die Solistin in einem vehementen Rezitativ aufgreift. Die Arie „Ah ritorna“ wird von einem schwebenden Violinsolo (Alina Pogostkina) eingeleitet und gibt der Sopranistin Gelegenheit, die Stimme träumerisch-entrückt fließen zu lassen, bis die Cabaletta „D’amor nel regno“ das Stück energisch pulsierend beschließt.  Bernd Hoppe