Sandor Konya

 

Diese Folge unserer Serie Meine geliebte Stimme hat der Bremer Musikliebhaber Wolfgang Denker dem Tenor  Sándor Kónya gewidmet. Sie ist sehr persönlich gehalten, und sie berichtet nicht nur von seiner Bewunderung für diesen  großen Sänger, sondern auch von seiner  Freundschaft mit einem wunderbaren Menschen.

Meine allererste Opernschallplatte überhaupt war ein Querschnitt durch Verdis Troubadour bei der Deutschen Grammophon. Gloria Davy sang die Leonora, Cvetka Ahlin die Azucena, Raymond Wolansky den Luna und Sándor Kónya den Manrico – alles in deutscher Sprache wie damals üblich.  Kónyas Stimme hat mich sofort mitten ins Herz getroffen. Es heißt ja, dass man seiner ersten Liebe treu bleibt. In diesem Fall trifft das uneingeschränkt zu. Dabei gab es in den 60er Jahren durchaus auch andere Tenorstimmen, die mich begeisterten: Fritz Wunderlich,  Rudolf Schock oder Giuseppe di Stefano und Franco Corelli gehörten dazu. Aber von keiner war ich so berührt wie bei der von Sándor Kónya. Kein Wunder, dass bei der Anschaffung neuer Opernplatten immer Kónya für mich die erste Wahl war.

Sándor Kónya/Foto Denker privat

Sándor Kónya/Foto Denker privat

Kónya war damals Exklusivkünstler bei der Deutschen Grammophon Gesellschaft. Die produzierte zu der Zeit hauptsächlich für den deutschen Markt. So sind viele Querschnitte wie Aida und Cavalleria rusticana (beide ebenfalls mit Gloria Davy), Der Bajazzo (mit Anny Schlemm), Hoffmanns Erzählungen (mit Gladys Kuchta) und Nabucco (mit Thomas Stewart) in deutscher Sprache aufgenommen. Das gilt auch für die drei Puccini-Gesamtaufnahmen: Tosca (nut Stefania Woytowicz), Madame Butterfly (mit einer eindrucksvollen Anny Schlemm in der Titelpartie) und La Boheme. Gerade die Boheme ist für mich bis heute eine der schönsten Aufnahmen dieser Oper geblieben – nicht nur wegen Sándor Kónya, sondern auch wegen der unvergessenen Pilar Lorengar, die als Mimi wie kaum eine andere bezaubert. Und auch die weitere Besetzung mit Dietrich Fischer-Dieskau und Rita Streich ist erstrangig. Überhaupt Puccini! Geradezu sensationell ist das Puccini-Recital, das Sándor Kónya 1962 in Florenz mit dem Maggio Musicale unter Altmeister An­tonino Votto für die Deutsche Grammophon aufgenommen hat. Was Kónya in diesen Aufnahmen an Farbenreich­tum, lyrischem Schmelz, dramatischer Wucht und einfach berückendem Wohlklang zeigt, dürfte wohl von keinem Tenor überboten werden. Kónyas Stimme klingt in allen Lagen rund und voll, da gibt es auch in der extremen Höhe keine Verengung oder Verfärbung. Er singt mit Gefühl und Herz; kleine Schluch­zer, wohldosiert und geschmackvoll eingesetzt, verstärken die emo­tionale Kraft dieser Aufnahmen. Sie sind erst kürzlich bei DGG/Eloquence (2 CD DGG 4807096) als „The Art of Sándor Kónya“ zusammen mit weiteren Arien von Donizetti, Verdi, Wagner und anderen sowie Liedern von Verdi und Wagner wieder auf den Markt gekommen.

Sándor Kónya im "Troubadour"-Querschnitt bei DG

Als ich Kónya Anfang der 60er Jahre für mich entdeckte (bei einer ZDF-Verfilmung von Lehars Paganini, bei der Kónya aber nur zu hören war. Den Paganini spielte Walter Reyer.), steckte er bereits mitten in seiner internationalen Karriere, die seit seinem sensationellen Bayreuther Debüt als Lohengrin (1958) ordentlich an Fahrt aufgenommen hatte. Ich selbst konnte ihn zweimal auf der Bühne erleben: 1971 in Bayreuth als Parsifal und 1972 bei einem Gastspiel in Hannover als Cavaradossi. Es waren unvergessliche Eindrücke. Wie sein großartiger Aufschrei „Amfortas! Die Wunde“ in den Raum brach, habe ich noch heute im Ohr.

Ein Sängerleben und Etappen – von Sarkad nach Steinhude: Sándor Kónya wurde am 23. September 1923 in Sarkad, einem kleinen ungarischen Städtchen, geboren, wo er auch seine Kindheit und Jugend verlebte. Ein berühmter ungarischer Gesangslehrer hörte damals den Schüler Kónya und empfahl ihn an die Franz-Liszt-Akademie in Budapest. 1944 wurde er jedoch zum Militär eingezogen und kam Ende des Krieges in Deutschland in englische Kriegsgefangenschaft. Dort blieben seine gesanglichen Fähigkeiten nicht lange unentdeckt; und so wurde er von den Engländern zur Truppenbetreuung in Bunten Abenden eingesetzt. Mit Hilfe von Freunden konnte er aus dem Gefangenenlager fliehen und kam schließlich 1946 zu Frederick Husler in Steinhude, einem der anerkanntesten Gesangspädagogen seiner Zeit. Im Jahr 1949 heiratete Kónya die Steinhuderin Anneliese Block, die ihn während der gesamten Karriere immer begleitet hat.

Sándor Kónya und Ehefrau Anneliese/Foto Denker

Sándor Kónya und Ehefrau Anneliese/Foto Denker

Die sängerische Karriere Kónyas begann 1951in Bielefeld und währte gut 25 Jahre.  Er hat dabei mit den bedeutendsten Sängerinnen und Dirigenten der damaligen Zeit zusammengearbeitet. Kónyas Partnerinnen waren u.a. Licia Albanese, Lucine Amara, Victoria de los Angeles, Martina Arroyo, Inge Borkh, Grace Bumbry, Fiorenza Cossotto, Regine Crespin, Eileen Farrell, Mirella Freni, Elisabeth Grümmer, Marilyn Horne, Gwyneth Jones, Dorothy Kirsten, Gladys Kuchta, Pilar Lorengar, Christa Ludwig, Eva Marton, Martha Mödl, Anna Moffo, Melitta Muszely, Birgit Nilsson, Roberta Peters, Leontyne Price, Regina Resnik, Anneliese Rothenberger, Leonie Rysanek, Elisabeth Schwarzkopf, Renata Scotto, Anja Silja, Rita Streich, Joan Sutherland, Renata Tebaldi, Gabriella Tucci, Astrid Varnay, Felicia Weathers u.v.a. Kónya sang u.a. unter den Dirigenten Karl Böhm, Richard Bonynge, Pierre Boulez, Andre Cluytens, Oliviero de Fabritiis, Carlo Maria Giulini, Eugen Jochum, Herbert von Karajan, Rudolf Kempe, Otto Klemperer, Hans Knappertsbusch, Erich Leinsdorf, Ferdinand Leitner, Alain Lombard, Lorin Maazel, Kurt Masur, Zubin Mehta, Francesco Molinari-Pradelli, Georges Pretre, Nello Santi, Wolfgang Sawallisch, Hermann Scherchen, Horst Stein, Silvio Varviso, Antonino Votto, Heinz Wallberg u.v.a. Ihre Stationen und Höhepunkte seiner Karriere sollen hier chronologisch nachgezeichnet werden.

Sándor Kónya: die letzte Autogrammkarte/Foto Denker

Sándor Kónya: die letzte Autogrammkarte/Foto Denker

Von Bielefeld bis Edinburg: Ein Vorsingen in Bielefeld fiel so überzeugend aus, dass der damalige Intendant Herrmann Schaffner und der Generalmusikdirektor Bernhard Conz ihn sofort engagierten. Er debütierte 1951 als Turiddu in Cavalleria rusticana, damals noch unter dem Namen Alexander Kónya. Bis zu 200 Abende stand er in großen und kleineren Partien damals auf der Bühne. Schon im zweiten Jahr wurde Kónya häufig zu Gastspielen eingeladen. Bonn, Köln und Hamburg holten ihn; in Kassel sang er sogar neben dem berühmten Willi Domgraf-Fassbaender in Rigoletto. Schon 1953 nahm Herbert von Karajan Kontakt zu Kónya auf und wollte ihn als Manrico an die Mailänder Scala verpflichten. Doch Kónya entschied sich, noch ein weiteres Jahr in Bielefeld zu bleiben und weiter Repertoire zu erarbeiten. Später sang er unter Karajan Mahlers „Lied von der Erde“ in Berlin und die 9. Symphonie von Beethoven in New York.Gustav Rudolf Sellner holte ihn für die Spielzeit 1954/55 fest nach Darmstadt. Umfangreiche Gastverträge banden ihn da schon an die Opernhäuser in Stuttgart und Hamburg. Mit der Hamburgischen Staatsoper gastierte er 1956 auch als Nureddin zusammen mit Melitta Muszely und Arnold van Mill im Barbier von Bagdad bei den Edinburgher Festspielen. Auch dem NDR war Kónya aufgefallen: 1957 nahm er dort, wieder neben Muszely und dem großartigen van Mill, den Max im Freischütz auf. Die Aufnahme ist beim Hamburger Archiv für Gesangskunst (hafg 30057) und bei Cantus erschienen. Dirigent war Willhelm Brückner-Rüggeberg

Carl Ebert holte Kónya 1955 an die Städtische Oper Berlin, wo er hauptsächlich das italienische und französische Fach sang, aber auch den Hüon in Webers Oberon.Ein sensationeller Erfolg war die Premiere von Un ballo in maschera mit Leonie Rysanek und Dietrich Fischer-Dieskau unter Wolfgang Sawallisch. Kónya trat auch in moderneren Werken auf: So war er etwa der Boris in Katja Kabanowa von Janácek oder der Michele in der deutschen Erstaufführung der Oper Die Heilige der Bleeckerstreet von Gian-Carlo Menotti.  Auch moderneren Partien näherte sich Kónyadabei immer mit den Mitteln des Belcanto. Ein besonderes Ereignis war die Uraufführung der Oper König Hirsch von Henze am 23. September 1956, also an Kónyas 33. Geburtstag – damals ein großer Theaterskandal.

Sándor Kónya als Dick Johnson/Met Opera Archive/Mélancon/Foto Denker

Sándor Kónya als Dick Johnson/Met Opera Archive/Mélancon/Foto Denker

Von Bayreuth nach Amerika: Sándor Kónyas Bayreuther Debüt als Lohengrin 1958 ist legendäre Operngeschichte. Wieland Wagners blau-silberne Inszenierung erwies sich als Sensation. Sie ist bis heute ein Markstein in der Geschichte der Bayreuther Festspiele geblieben. Und Sándor Kónya wurde als der neue Wagner-Tenor gefeiert, dem nun eine Weltkarriere offenstand. Bei den Festspielen 1959, 1960 und 1967 sang Kónya wieder den Lohengrin. Der Bayreuther Lohengrin aus dem Jahr 1959 gilt als die perfekteste, homogenste Einspielung des Werkes, die von Orfeo im Rahmen ihrer Bayreuth-Edition in hervorragender Mono-Qualität veröffentlich wurde (Orfeo C691063D). Elisabeth Grümmer ist hier als die ideale Elsa zu hören – zusammen mit Kónyas Lohengrin einfach traumhaft. Zudem Franz Crass als König, Rita Gorr als Ortrud und Ernest Blanc als Telramund. Dirigent ist Lovro von Matacic.Lohengrin gibt es auch in der Studio-Aufnahme von 1965. Sie ist bei RCA mit dem Boston Symphony Orchestra unter der Leitung von Erich Leinsdorf erschienen und zeichnet sich durch hervorragende Klangqualiät aus. Ursprünglich war Leontyne Price als Elsa vorgesehen; nach ihrer Absage übernahm Lucine Amara die Partie. Kónya singt hier die Gralserzählung in der vollständigen Fassung.  Weitere Mitwirkende sind Rita Gorr, William Dooley und Jerome Hines.1958 war Kónya in Bayreuth auch als Froh („Rheingold“) und junger Seemann („Tristan“) zu hören. 1964 kam der Stolzing unter Karl Böhm und 1966 der Parsifal unter Pierre Boulez hinzu. Den Parsifal sang er unter Eugen Jochum auch 1971, seinem letzten Bayreuther Jahr.Kónyas Lohengrin-Darstellung war in ganz Europa begehrt und führte ihn u. a. an die Grand Operá Paris (unter Knappertsbusch), an die Covent Garden Opera (unter Klemperer), nach Lyon, Barcelona, Lissabon, Catania, Palermo und Rom. In Italien sang er den Lohengrin in italienischer Sprache –  so auch  in der 1959 unter Ferdinand Leitner entstandenen Rundfunkaufnahme mit Marcella Pobbe und Aldo Protti. Sie ist bei Myto  erschienen und offenbart, wie viel Belcanto besonders im Lohengrin enthalten ist. Sándor Kónya genoss nun auch in Italien den Ruf, der weltbeste Lohengrin zu sein. Und so holte man ihn 1963 in dieser Partie in die Arena di Verona.

Sándor Kónya: Don José an der Deutschen Oper Berlin/Foto Buhs/Denker

Sándor Kónya: Don José an der Deutschen Oper Berlin/Foto Buhs/Denker

Aber vor allem sang Kónya weiter an den großen Opernhäusern in Deutschland. Berlin und Hamburg waren Schwerpunkte, aber auch in Stuttgart und München trat er regelmäßig auf. Nicht nur in der Oper, auch im Konzertsaal war Kónya zu erleben, etwa mit dem Verdi-Requiem oder bei den Münchner Sonntagskonzerten. Am 18. September sang er (wieder einmal mit Gloria Davy) in Bonn die Missa solemnis zur Wiedereröffnung der Beethovenhalle. An der Mailänder Scala, wo Kónya später auch Calaf, Radames und Stolzing (auch dies ein Rollendebüt) sang, sollte er 1960 as Parsifal debütieren. Was niemand an der Scala wusste: Den Parsifal hatte Kónya noch nie gesungen, und den 3. Akt musste er auf der nächtlichen Autofahrt nach Mailand studieren. Aber es ging alles gut und wurde ein Riesenerfolg. Von der Premiere am 2. Mai 1960 gab es einen Schallplatten-Mitschnitt; Geerd Heinsen schrieb in der damalitgen Opernfachzeitschrift „Orpheus“ darüber: „Unter den Neuveröffentlichungen nimmt eine wichtige Stelle der Parsifal von Sándor Kónya aus der Scala di Milano von 1960 ein, wo der strahlende Tenor mit der betörenden, italienisch geschulten Stimme dem Parsifal eine beinahe belcantistische Glut und Süße verleiht, ohne den heldischen Aspekt des dritten Aktes zu vernach­lässigen. Diese Aufnahme steht in würdiger Nachbarschaft zu Kónyas Lohengrin aus Bayreuth.“ Die Besetzung dieses Parsifal war in­ternational: Rita Gorr war die Kundry, der große bulgarische Bas­sist Boris Christoff sang den Gurnemanz, Gustav Neidlinger den Amfortas; der Dirigent war André Cluytens. Und eine der Soloblumen war eine damals noch völlig unbekannte Sängerin, die sich später zum Weltstar entwickeln sollte: Montserrat Caballé. Die Aufnahme ist inzwischen bei Andromeda in bester Rundfunkqualität auch auf CD erschienen.

Sándor Kónya: Parsifal an der Mailänder Scala/Foto Denker

Sándor Kónya: Parsifal an der Mailänder Scala/Foto Denker

Nun wurde es Zeit für den Sprung über den großen Teich. 1960 sang Kónya den Lohengrin in Barcelona. Kurt Herbert Adler, der musikalische Leiter der San Francisco Opera, war ebenfalls dort und packte die Gelegenheit beim Schopf: Auf einem Briefbogen des Hotel Oriente schloß er am 13. Januar 1960 mit Kónya einen Vertrag für die San Francisco Opera ab. Dort debütierte Kónya am 23. September 1960 – wieder ein bedeutender Auftritt genau an sei­nem Geburtstag – als Dick Johnson in Puccinis La Fanciulla del West. Die war der Beginn einer intensiven, vierzehn Jahre andau­ernden Karriere in Amerika. In San Francisco ist Kónya über viele Jahre immer wieder gastweise aufgetreten. Auch an den Tourneen der Oper, nach Los Angeles, San Diego und San Jose, nahm Kónya teil. Hier, wie auch später an der Metropolitan Opera, war er im italienischen, deut­schen und französischen Fach zu Hause. La Bohème, Tosca und Madama Butterfly, Mefistofele, Pagliacci und Carmen sowie Lohengrin und Parsifal waren seine wichtigsten Opern in San Francisco. Auch den Siegmund in der Walküre hat Kónya hier kon­zertant gesungen. Was die Attraktivität der Besetzungen angeht, konnte San Francisco durchaus mit der Metropolitan Opera mithal­ten. Wenn man eine Bohème mit Victoria de los Angeles, Marilyn Horne (als Musetta!), Sándor Kónya, Ettore Bastianini, Geraint Evans und Giorgio Tozzi besetzen kann, dann spricht das für sich…

Sándor Kónya: Calaf an der Met/Foto Met Opera Arcive/Foto Denker

Sándor Kónya: Calaf an der Met/Foto Met Opera Archive/Mélancon/Foto Denker

New York: Wenn es für Sándor Kónya so etwas wie ein Stammhaus gab, dann war es die Metropolitan Opera New York.  Ein Streit zwischen dem Orchester und der Direktion der Met gefährdete die gesamte Spielzeit 1961/62 und damit auch Kónyas Debüt. In dieser Situation schloss Kónya einen Vertrag für sechs Aufführungen von Cherubinis Medea an der Mailänder Scala ab; seine Partnerin sollte Maria Callas sein. Inzwischen konnte aber in New York eine Einigung erzielt werden, und die Met war Kónya in diesem Moment wichtiger als die Medea an der Scala, wo Jon Vickers für ihn einsprang.Sándor Kónyas Debüt an der Metropolitan Opera erfolgte am 28. Oktober 1961 als Lohengrin. Gleich in seiner ersten Spielzeit sang er so verschiedene Rollen wie Lohengrin, Dick Johnson, Radames und Calaf. Seine Partnerinnen waren Ingrid Bjoner, Leontyne Price, Galina Vishnevskaya, Birgit Nilsson und Dorothy Kirsten. Von den vielen Höheponkten seiner New Yorker Zeit seien stellvertretend Die Meistersinger von Nürnberg und Lucia di Lammermoor genannt. Für Sándor Kónya war der Stolzing ein besonders großer persönlicher Erfolg. Die Ehre der „Opening Night“ sollte ihm in der Saison 1964/65 als Edgardo in Lucia di Lammermoor mit Joan Sutherland zuteil werden.  Allerdings hatte er bereits für die Bayreuther Festspiele 1964 einen Vertrag als Tannhäuser. Das wäre stimmlich mit dem Edgardo unvereinbar gewesen. Doch Wieland Wagner zeigte viel Verständnis – und Kónya sang dafür an Stelle des Tannhäuser 1964 in Bayreuth den Stolzing.Die Metropolitan Opera sollte für Sándor Kónya das zentrale Opernhaus seines künstlerischen Wirkens werden. Mitte der sechziger Jahre war er dort der höchstbezahlte Tenor. Als Stewa in Janáceks Jenufa, gesungen in englischer Sprache, hatte er am 12. Dezember 1974 seinen letzen Auftritt an der Met; Astrid Varnay sang die Küsterin.

In vierzehn Spielzeiten hat er dort 22 verschiedene Partien gesungen. In chronologischer Reihenfolge waren das: Lohengrin / Lohengrin (31)/ La Fanciulla del West / Dick Johnson (10)/ Aida / Radamés (17)/ Turandot / Calaf (13)/ Madama Butterfly / Pinkerton (35)/ La Forza del Destino / Alvaro (1)/ Die Meistersinger von Nürnberg / Stolzing (37) / Der Rosenkavalier / Sänger (7)/ Der fliegende Holländer / Erik (18)/ Ariadne auf Naxos / Bacchus (8)/ La Traviata / Alfredo (3)/ La Bohème / Rodolfo (11)/ Lucia di Lammermoor / Edgardo (26)/ Tosca / Cavaradossi (27)/ Carmen / Don José (7)/ Parsifal / Parsifal (7)/ Martha / Lionel (4)/ Un Ballo in Maschera / Riccardo (3)/ Don Carlo / Don Carlo (2)/ Cavalleria rusticana / Turiddu (3)/ Der Freischütz / Max (9)/ Jenufa / Stewa (2)

Sándor Kónya als Don Carlo mit Gwyneth Jones/Elisabetta in Tokyo/Foto Denker

Sándor Kónya als Don Carlo mit Gwyneth Jones/Elisabetta in Tokyo/Foto Denker

Von Budapest nach Tokyo und Buenos Aires: Bereits 1955 bekam Kónya eine Einladung an die Ungarische Staatsoper in Budapest. Doch er zögerte. Ein Gastspiel in seiner Heimat Ungarn war etwas Besonderes, was gut vorbereitet sein wollte.  Aber 1964 – Kónya sang gerade in Turandot an der Wiener Staatsoper – war es dann endlich soweit. Kónya sang bei diesem ersten Besuch in Budapest den Lohengrin und den Calaf. Aber er hatte bei keinem Auftritt, weder in Bayreuth noch an der Scala oder der Metropolitan Opera, soviel Lampenfieber wie hier in Budapest. Er sagte: „In der Budapester Oper, wo ich als Student immer von den Stehplätzen aus zugehört habe, jetzt selber vor den eigenen Landsleuten zu singen, war schon eine besondere Situation.“  Sogar die New York Times berichtete über Kónyas ersten Auftritt in Ungarn: „Als Kónya in Budapest sang, mußte die Polizei Menschenmengen von Kartensuchenden unter Kontrolle bringen. Im Publikum waren Kónyas Mutter, seine neunzigjährige Großmutter und Verwandte aus ganz Ungarn.“ Im Herbst 1967 kam eine Einladung der Römischen Oper  zur Teilnahme an einem Gesamtgastspiel in Tokyo mit Verdis Don Carlo. Es war die japanische Erstaufführung dieser Oper – ein großer Erfolg, der auch im japanischen Fernsehen übertragen wurde. Sándor Kónyas Partnerin war sie damals dreißigjährige Gwyneth Jones. Die musikalische Leitung hatte Oliviero de Fabritiis. Kónya hat besonders gern unter ihm gesungen, weil er ein typischer Sängerdirigent war. Ein Mitschnitt dieses Don Carlo (angereichert mit Otello-Ausschnitten) ist bei On Stage erschienen (3 CD OS 4714/3).In zwei ganz unterschiedlichen Rollen seines Repertoires ist Sándor Kónya in Buenos Aires am Teatro Colon aufgetreten: 1968 war es der Stolzing unter Ferdinand Leitner, ein Jahr später der Hoffmann unter Peter Maag. Auch hier gibt es Mitschnitte: Die Meistersinger sind bei Living Stage erschienen und bieten zudem die seltene Gelegenheit, Gustav Neidlinger als Sachs zu hören. Les contes d’Hoffmann gibt es bei Opera d’Oro..In seinen letzen Karrierejahren hatte sich Kónya eine neue Rolle erarbeitet: Verdis Otello, der als eine der schwie­rigsten Partie im italienischen Fach gilt. Der Dirigent Alain Lom­bard war von Kónyas Fähigkeit, mit heldenteno­raler Kraft bei gleichzeitiger Beherrschung eines lyrischen Pianos und einer perfekten Mezzavoce zu singen. Er drängte Kónya, diese Partie zu studieren. Er sang ihn erstmalig 1973 in Straßburg unter Lombard und später in Budapest. Und in Budapest stand er auch 1976 als Don Carlo und Otello letztmalig auf der Bühne.

Sándor Kónya/Pressefoto/Foto Denker

Sándor Kónya/Pressefoto/Foto Denker

Ausklang – von Stuttgart nach Ibiza: Nach dem Ende seiner aktiven Karriere hatte Kónya schnell ein neues Aufgabengebiet gefunden. Wolfgang Gönnenwein holte ihn als Gesangsprofessor an die Musikhochschule in Stuttgart. Dort unterrichtete Kónya bis 1988, bis zu seinem 65. Geburtstag.Danach siedelte Kónya mit seiner Frau nach Ibiza über. Ich habe ihn dort als liebevollen Katzenfreund, als reizenden Gastgeber und faszinierenden Gesprächspartner erlebt, wenn er mit vielen Anekdoten aus seinem Sängerleben erzählte. Er war auch in seinen letzten Lebensjahren noch voller Aktivitäten: So hat er nicht nur immer wieder junge Gesangsschüler unterrichtet, es kam auch oft vor, dass etablierte Kollegen bei ihm Rat suchten.Unvergesslich ist mir unser Besuch in seinem Geburtsort Sarkad, wo er 1996 mit diversen Empfängen im Rathaus, einem Ehrenkonzert mit Sängern der Ungarischen Staatsoper und der Verleihung der Ehrenbürgerwürde geehrt wurde. Zudem hat ihm die Stadt eine kleines „Museum“ mit vielen Fotos, Programmheften,  Originalkostümen und Partituren eingerichtet.Im Jahr 2001 war er in New York einer der Gäste eines großen Treffens vieler ehemaliger Stars der Metropolitan Opera, dass zum 100. Todestag von Giuseppe Verdi veranstaltet wurde. Und er hatte noch viele Pläne, zog u. a. die Gründung eines Gesangswettbewerbs in Erwägung und wollte gern noch mal eine ausgedehnte Reise in seine Heimat Ungarn unternehmen, Mit großer Freude verfolgte er, wenn alte Aufnahmen von ihm wieder- oder erstmalig veröffentlicht wurden, etwa die grandiose und mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnete Meistersinger-Aufnahme unter Rafael Kubelik, die ursprünglich für die Deutsche Grammophon geplant war und 1997 zuerst bei Calig (50971/74) und dann bei Arts (Arts Archives 43020-2) erschien.1999 starb seine Frau, am 20. Mai 2002 verstarb Sándor Kónya auf Ibiza. Aber seine Stimme, meine „Geliebte Stimme“,  lebt in vielen Aufnahmen und Erinnerungen weiter (Foto oben: DG/ Cover/ Ausschnitt). Wolfgang Denker.

  1. Henk Blankenstein

    Darf ich noch hinzufügen, dass die erwähnte Fernsehproduktion von „Paganini“ nicht vom ZDF, sondern vom WDR stammt? Dirigent war der „Grandseigneur der Operette“ Franz Marszalek. Die Partnerin von Sándor Kónya war Herta Talmar.

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  2. Ekkehard Pluta

    Vielen Dank für diese ausführliche und sehr informative Würdigung des bedeutenden Tenors, der mir heute fast etwas unterschätzt scheint. Ein kleiner Appendix: Konya war in den späten 50ern und in den 60ern bei uns fast so populär wie Rudolf Schock und hat auch in zahlreichen Operetten-Produktionen mitgewirkt, die als Querschnitte bei Polydor erschienen sind. Zu meinen Lieblingsaufnahmen der „Fledermaus“ zählt die damals bei RCA (komplett, aber ohne Dialoge) erschienene unter Oscar Danon mit Eberhard Wächter, Adele Leigh, George London, Anneliese Rothenberger und Erich Kunz. Ich erinnere mich auch noch an einen Auftritt im Fernsehen (beim „Blauen Bock“, damals noch mit Otto Höpfner), wo er „Freunde, dass Leben ist lebenswert“ schmetterte.

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