Bernard Herrmanns „Wuthering Heights“

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Fast jeder Kinogänger der älteren Generation kennt den wunderbaren amerikanischen Spielfilm Wuthering Heights (Sturmhöhe in der deutschen Synchronisation) in strengem Schwarz-Weiß mit dem hinreißenden, selbst heute noch extrem sexy englischen Schauspieler Laurence Olivier und der betörenden Merle Oberon als das unglückliche Liebespaar Heathcliff (der Name ist schon Indikation) und Catherine, 1939 von William Wyler so grandios in Szenen gesetzt, dass man die Figuren auch nach langer Zeit immer noch plastisch vor sich sieht. Der renommierte Fimkomponist Alfred Newman schrieb die Musik dazu, die er später zu einer Wuthering Heights Suite konzertant verarbeitete. Emily Brontés Roman von 1847 hat viele Adaptionen inspiriert, und bereits 1920 gab es den ersten Stummfilm mit Milton Rosmer, Ann Trevor und Colette Brettel als britischen Beitrag. In der Folge finden sich rund 15 weitere Verfilmungen (darunter auch einige für die BBC), und Popfreunde werden sich vielleicht auch an Cliff Richards Album von 1995, Songs of Heathcliff,und an Kate Bushs Erfolg damit erinnern. Der emigrierte deutsche Komponist Bernard Herrmann(immer mit zwei n, was für Emigranten in den USA eher ungewöhnlich war) schrieb sodann von 1943 bis 1951 seine eigene Oper Wuthering Heights auf das Libretto seiner ersten Frau Lucille Fletcher. Das Werk erlebte erst 1982 seine (von Julius Rudel gekürzte) konzertante Uraufführung in Portland. Vorher hatte Hermann seine Oper für eine Gesamtaufnahme in London eingespielt. 2010 gab es eine ungekürzte Version ebenfalls konzertant beim Radio Festival Montpellier unter Alain Altinoglu (die dann bei Accord als CD herauskam). Am Staatstheater Braunschweig nun hat Bernard Hermanns Bronté-Oper ihre deutsche und szenisch europäische Erstaufführung.

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"Wuthering Heights" in Braunschweig 2015/ Szene/ Foto Volker Beinhorn

„Wuthering Heights“ in Braunschweig 2015/ Szene/ Foto Volker Beinhorn

Und nun erst mal einen Bericht über die Braunschweiger Premiere von Gerhard Eckels: Da haben es doch das Staatstheater und sein Operndirektor Philipp Kochheim tatsächlich geschafft, die Europäische Erstaufführung der hierzulande nur Kennern bekannten Oper Wuthering Heights von Bernard Herrmann nach Braunschweig zu holen! Die umjubelte Premiere des nach Dominick Argentos Reise des Edgar Allan Poe zweiten Beitrags für die kleine Reihe The American Way of Opera zeigte, dass es sich gelohnt hat: Es gab in jeder Phase der Oper spannendes Musiktheater. (…) Musikalisch knüpft Herrmanns Oper mit ausgeprägter Spätromantik an die italienische Oper des ausgehenden 19. Jahrhunderts an; aber auch typisch filmische Sequenzen illustrieren in lautmalerischer Manier die Szene; wenn sich die Dramatik zuspitzt – und das geschieht häufig – erklingt auch manch Neutönerisches. (…)  Das fabelhafte Staatsorchester erfüllte unter der temperamentvollen Leitung des Gastdirigenten Enrico Delamboye die auch technisch hohen Anforderungen der vielschichtigen, kontrastreichen Partitur in allen Instrumentengruppen mit Bravour. Dem weitgehend schwelgerischen Impetus aus dem Graben setzte die Bühne (Thomas Gruber) eine mit rechteckig verschachtelten, hellgrauen bis weißen Wänden versehene, geradezu sterile Halle von Wuthering Heights entgegen. Im Haus Edgars wurde es farbiger und atmosphärischer, wenn auch dies ebenso wie durch Edgars Hobby, tote Vögel zu präparieren, eine kalte, leere Ruhe ausstrahlte. Schnell wurde durch den Flachbildschirm im Schlafzimmer im Hintergrund und die Benutzung von Handy und Notebook sowie die moderne Bekleidung (Kostüme: Gabriele Jaenecke) deutlich, dass Regisseur Philipp Kochheim die hochemotionale Story in die Jetztzeit verlegt hatte, was angesichts der gesellschaftlichen Strukturen des 19.Jahrhunderts in der Romanvorlage eher problematisch war – jedenfalls wurden die Beziehungen der handelnden Personen zueinander, die alle pathologische Auswüchse zeigen, dadurch nicht verständlicher. Allerdings sorgten Kochheim durch ausgezeichnete Personenführung und das spielfreudige Ensemble mit intensiver Darstellung dafür, dass man durchweg von dem Geschehen auf der Bühne gepackt war.

"Wuthering Heights" in Braunschweig 2015/ Szene/ Foto Volker Beinhorn

„Wuthering Heights“ in Braunschweig 2015/ Szene/ Foto Volker Beinhorn

Die Besetzung der beiden Hauptpartien mit Solen Mainguené und Orhan Yildiz war ein Volltreffer: Die junge französische Sopranistin ist eine wahre Entdeckung: Wie sie die jugendliche Verliebtheit, die Launen der gelangweilten Frau und die Besessenheit Cathys in der Beziehung zu Heathcliff gestaltete, hatte bereits jetzt hohes Format. Dazu kam ihre farbenreiche Stimme, die sie sicher und intonationsrein durch alle Lagen zu führen und alle Facetten der anspruchsvollen Partie auszukosten wusste. Beim türkischen Sänger ist eine beeindruckende Entwicklung zu beobachten: Sehr überzeugend war sein zunächst als Outlaw daherkommender Heathcliff, der später nur äußerlich überlegen wirkte, bis ihn die ergreifend gestaltete Verzweiflung über Cathys Tod niederwirft. Sein durchgehend prägnanter Bariton gefiel durch ausdrucksstarke Leidenschaftlichkeit, wenn auch anfangs der Dirigent dem Orchester an manchen Stellen zu viel Raum gab. Darstellerisch und stimmlich fiel einmal mehr Matthias Stier als Edgar positiv auf; besonders in dessen schwärmerischem Liebeslied im zweiten Teil glänzte er mit seinem schönen lyrischen Tenor. Als dem Außenseiter Heathcliff verfallene Isabella begeisterte Milda Tubelytė durch glaubwürdiges Spiel und charaktervollen Mezzo. Die immer um Ausgleich bemühte Nelly, die Heathcliff heimlich zugetan ist, war Anne Schuldt, die wie immer darstellerisch und mit kultiviertem Mezzosopran gefiel. Als herrschsüchtiger, dem Alkohol verfallener Hindley trat Oleksandr Pushniak auf, der wieder etwas unbeholfen wirkte, was er diesmal auch nicht stimmlich ausgleichen konnte, da ihm die kleinere Partie zu tief zu liegen schien. Solide ergänzte Rossen Krastev als frömmelnder Joseph; mit einem süßlichen Weihnachtslied erfreute der von Tadeusz Nowakowski einstudierte Kinderchor Begeisterter lang anhaltender Beifall, der sich bei Solen Mainguené, Orhan Yildiz und dem Orchester zu Ovationen steigerte, beendete den denkwürdigen Opernabend. Gerhard Eckels 

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"Wuthering Heights": Laurence Olivier und Merle Oberon/Screenshot

„Wuthering Heights“: Laurence Olivier und Merle Oberon/Screenshot

Dazu nachstehend einen Text zum Werk und dessen Genesis von Christian Steinbock. Ein (fast) singuläres Phänomen in der Opernliteratur: Bernard Herrmann fand immer klare Worte für seine Forderung nach allerhöchsten Ansprüchen in der Kunst: »Die vornehmste Aufgabe des Komponisten ist es, sich in die Dramatik hineinzuversetzen. Wenn ihm das nicht gelingt, sollte er es überhaupt lassen, Musik zu schreiben.« Deutlicher geht es kaum. (Und für diese Deutlichkeit wurde er von seinen Kollegen nicht nur geliebt.) Dabei sollte Herrmanns Postulat nicht ausschließlich für den Film gelten, sondern für alle musikalischen Genres, auch für seine einzige Oper »Wuthering Heights« nach dem gleichnamigen Roman von Emily Brontë.

Emily Brontë schrieb den Roman "Wuthering Heights"/musirony.de.tl

Emily Brontë schrieb den Roman „Wuthering Heights“/musirony.de.tl

Offiziell begonnen hat Herrmann das Werk 1946 auf ein Libretto von Lucille Fletcher, mit der der Komponist in erster Ehe verheiratet war. Er befand sich zu dieser Zeit in England, um Konzerte des Hallé Orchestra zu dirigieren, und besuchte im Zuge dieses Aufenthalts auch das Haus der Familie Brontë in Haworth/Yorkshire, in dem Emily Bronte ihr Buch zwischen 1845 und 1847 zu Papier gebracht hatte. Zweifellos ließ sich Herrmann von dem Ort und der rauen und unwirtlichen Umgebung der Yorkshire Dales beeindrucken und inspirieren. Doch die Beschäftigung mit der Lektüre und damit auch der Wunsch, aus ihr eine Oper zu machen, schien schon einige Jahre früher eingesetzt zu haben, das verrät zumindest ein Eintrag Herrmanns auf einer Notenskizze von 1943. In diesem Jahr war Herrmann für Igor Strawinsky eingesprungen und hatte die Musik zu der Verfilmung von Charlotte Brontës Jane Eyre übernommen. Auch dies könnte sich inspirierend ausgewirkt haben. Möglicherweise hatte aber auch die letzte Verfilmung von Wuthering Heights 1939 mit Merle Oberon als Catherine und Laurence Olivier als Heathcliff auf das gesamte Vorhaben bereits Einfluss genommen, denn der Film behandelt wie auch die Oper nur den ersten Teil des Buches (Kap. 1 – 16) – die Liebesgeschichte zwischen Catherine und Heathcliff steht deutlich im Vordergrund – und endet anders als der Roman: Catherine stirbt in Heathcliffs Armen, ohne dass zuvor ein Kind (mit Edgar als Vater) geboren wurde. Diesen Schluss hat auch Herrmann gewählt und es war nicht die einzige Änderung, die das Libretto vorsah. Lucille Fletcher  verwendet in ihrer Textfassung auch einzelne Passagen aus dem zweiten Teil des Romans und ließ überdies Zeilen aus Gedichten von Emily Brontë mit einfließen. Am 30. Juni 1951 – „pünktlich um viertel vor vier in der Nacht“, wie Herrmann auf der Partitur vermerkte – war das Werk fertig gestellt.

Poster zu "Wuthering Heights", 1939/OBA

Poster zu „Wuthering Heights“, 1939/OBA

Dass Wuthering Heights zu Lebzeiten des Komponisten nie eine szenische Aufführung erfuhr, hatte verschiedene Gründe. Der wesentlichste war der, dass Herrmann keine Striche zulassen wollte, obgleich in Frage kommende Dirigenten von Weltruhm das gesamte Werk als zu lang und zu schwergewichtig empfanden. Herrmann lehnte jeden Vorschlag brüsk ab, woraufhin sowohl Julius Rudel als auch Sir John Barbirolli eine Uraufführung unter ihrem Dirigat verweigerten. Warum auch die Opernhäuser von San Francisco (hier unter Leopold Stokowski) und Heidelberg das Werk trotz regen Interesses am Ende ablehnten, lässt  sich  nicht  mehr  eruieren.  So  spielte  Herrmann sein Werk 1966 konzertant in London auf Schallplatte ein – ungeschnitten! Szenisch gelangte Wuthering Heights erst am 6. November 1982  in  Portland  im  US-Bundestaat Oregon auf die Bühne, sieben Jahre nach Herrmanns Tod. Die  Verantwortlichen hatten hier rund 40 Minuten der Musik gestrichen und auch das Ende abgeändert, was im Großen und Ganzen dem entsprach, was Julius Rudel einige Jahre zuvor bereits gefordert hatte. (Als kleine  Randarabesque  sei  bemerkt,  dass  Orson  Welles,  durch den Herrmann in den 1940er Jahren nach Hollywood gekommen war und für dessen berühmten Film Citizen Cane er die Musik komponiert hatte, die Regie übernehmen sollte, was am Ende aber – aus welchen Gründen auch immer – scheiterte.) Ungeschnitten gelangte Wuthering  Heights  zunächst  2010  als  Radio-  und  CD-Einspielung im französischen Montpellier unter dem Titel Les Hauts de Hurlevent ins Bewusstsein der Musikwelt zurück. Im Jahr darauf  fand  schließlich  die  szenisch  vollständige  und vom Publikum enthusiastisch beklatschte Uraufführung durch die Minnesota Opera in Minneapolis  (USA)  statt.

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Bei Unicorn erschien der Londoner Mitschnitt von Wuthering Heights" unter Bernhard Hermann, hier die Rückseite des Booklets (Unicorn 2050-52)

Bei Unicorn erschien der Londoner Mitschnitt von Wuthering Heights“ unter Bernard Herrmann, hier die Rückseite des Booklets (Unicorn 2050-52)

Was Herrmanns Musik zu Wuthering Heights betrifft, so befand Lucille Fletcher, dass es wahrscheinlich dasjenige der Werke ihres Mannes sei, das seinem Talent am ehesten entspräche und daher auch am vertrautesten sei. Herrmann komponierte in der gleichen Manier wie viele seiner US-amerikanischen Kollegen zu dieser Zeit – so etwa Robert Ward, Gian Carlo Menotti oder Samuel Barber –, was ihnen allen ein ums andere Mal den Vorwurf des „Eklektizismus“ einbrachte: Sie pflegten einen Stil, der der europäischen Spätromantik verpflichtet ist – vor allem dem des „Verismo“ – und trotz manch tonaler Grenzwertigkeit hie und da deutlich an Richard Strauss, Giacomo Puccini oder Sergej Rachmaninow erinnert. Bei Herrmann flossen zudem seine Erfahrungen mit dem Film-Business deutlich hörbar mit ein. So ist die musikalische Textur immer wieder mit Zitaten aus seinen früheren Soundtracks gespickt, etwa aus den Orson Welles-Filmen Citizen Kane und Der Glanz des  Hauses  Amberson,  aus  Jane  Eyre  (Catherines Arie aus dem 3. Akt »I am burning«) oder auch aus Der Geist und Mrs. Muir. Zugleich legte Herrmann mit dieser Komposition wiederum den Grundstein für so manche Filmmusik, in dem sich einzelne Themen aus der Oper dort wiederfinden, so u. a. in den Hitchcock-Filmen Vertigo, Der unsichtbare Dritte und Marnie.

Lee Poulis and Sara Jakubiak in 'Wuthering Heights."/ Minnesota Opera/ Photo by Michal Daniel /Courtesy of the Minnesota Opera

Lee Poulis and Sara Jakubiak in ‚Wuthering Heights.“/ Minnesota Opera/ Photo by Michal Daniel /Courtesy of the Minnesota Opera

Herrmann selbst sagte über die Musik zu Wuthering Heights: »Es ist wichtig zu wissen, dass diese Oper als lyrisches Drama angesehen wird und dass dem gesanglichen Ausdruck die größte Aufmerksamkeit zukommt. Hier findet man nur sehr wenig Rezitative, dafür aber eine Fülle an lyrischem Parlando [= Sprechgesang]. Solches kann als Neo-Romantik angesehen werden und damit als ein Ausdrucksmittel, das mir als ideal für eine Geschichte wie »Wuthering Heights« erschien. Die Oper ist zwar für volles Sinfonieorchester geschrieben, doch ich war bemüht, bestimmte Stellen für die Gesangslinie durchlässiger zu gestalten und die volle Kraft des Orchesters für die Momente zu nutzen, wo ein eigenständiger orchestraler Kommentar vorgesehen ist. Das Orchester beschreibt in jedem Akt Landschaft und Wetter. Der Roman selbst basiert ja auf der Identifizierung der Charaktere mit der Atmosphäre und der Farbigkeit der näheren Umgebung. Vielfach ist jeder Akt eine Art sinfonisch-poetisches «Landschaftsgemälde«, die die handelnden Personen einhüllt.« Des Weiteren beschrieb Herrmann drei kurze Hauptthemen, die sich durch die gesamte Oper ziehen und leicht wiederzufinden seien, da sie kaum verändert würden: Gleich nach dem tumultartigen Beginn folgen zwei dieser Themen im Adagio tenebroso schlagartig aufeinander: Ein kurzes durch Holzbläser angestimmtes düsteres Motiv, das für Catherines gequälte Seele steht, sowie eine von Celli und Kontrabässen dominierte ebenso kurze Phrase, die dem Ort Wuthering Heights entspricht. Das dritte Thema erscheint erst etwas später: ein ebenfalls nur aus wenigen Tönen bestehendes klagendes Motiv (cis-e-d bzw. in der Variante c-es-des), das in der Soloklarinette zu finden ist und abermals Catherines Schicksal beschreibt. In jedem Fall ist die Musik auf die einzelnen Charaktere, auf den Verlauf der Handlung sowie auf die gesamte Atmosphäre genaustens abgestimmt.

"Wuthering Heights" in Braunschweig 2015/ Szene/ Foto Volker Beinhorn

„Wuthering Heights“ in Braunschweig 2015/ Szene/ Foto Volker Beinhorn

Emily Brontë hatte mit Wuthering Heights eines der bedeutendsten literarischen Zeugnisse der frühviktorianischen Epoche in England vorgelegt. Zugleich wurde sie für den teils brutalen Inhalt des Romans auch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein aufs Schärfste kritisiert. Doch die hier beschriebene Liebe zwischen Catherine und Heathcliff – mit all den damit verbundenen psychischen und physischen Gewaltexzessen – hatte es der Kunstwelt angetan. Die bildende Kunst sog sie begierig auf; ebenso der Film, was die Anzahl von 17 Verfilmungen zwischen 1920 und 2011 eindrucksvoll beweist. Auch in der Musik war Herrmann nicht der einzige, der sich zur Vorlage einer eigenen Interpretation des Brontë-Roman berufen fühlte. 1958 gelangte Carlisle Floyds Oper Wuthering Heights an der Santa Fe Opera zur Uraufführung (das Werk setzt im Gegensatz zu Herrmanns Version allerdings textlich wie auch musikalisch andere Schwerpunkte) und auch der Franzose Frédéric Chaslin vertonte erst kürzlich den Roman unter dem selben Titel für die Opernbühne. (Eine Uraufführung scheint hier noch auszustehen.) In der Popmusik zeigte sich das gleiche Interesse: Ob Genesis, John Ferrara, Kate Bush, Cliff Richard oder Jim Steinman mit seinem Song »Its all coming back to me now«, der unter anderem von Céline Dion und Meat Loaf interpretiert wurde – sie alle ließen sich von Wuthering Heights  hinreißen.

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"Wuthering Heights"/ Minnesota Opera/ Photo by Michal Daniel /Courtesy of the Minnesota Opera

„Wuthering Heights“/ Minnesota Opera/ Photo by Michal Daniel /Courtesy of the Minnesota Opera

In der gesamten Opernliteratur scheint Wuthering Heights als Stoff ein (fast) singuläres Phänomen zu sein. Keine historisch brisanten Ereignisse treiben hier die Handlung voran, keine Chortableaus, keine Erlösungsmomente, keine individuellen Schicksale oder Liebesgeschichten im herkömmlichen Sinne bestimmen die Szene. Es wird auch nicht geliebt, gehasst, betrogen oder gemordet, wie man es von der konventionellen Opernbühne der deutschen oder italienischen Romantik her kennt (vielleicht mit Ausnahme von Strauss’ Salome und Elektra). Vielmehr wird in Wuthering Heights die Liebe in ihren dunkelsten Facetten gezeigt: ein Konglomerat aus Hass, Manipulation, Schuldimplikation, Erniedrigung, Verletzungen und Selbstverletzungen. Im Mittelpunkt steht die Beziehung zwischen Catherine und Heathcliff, die zweifellos pathologische Züge trägt und die stets darauf ausgelegt ist, Gefühlsgrenzen weit zu überschreiten. Auch wenn Heathcliff in der Literatur immer wieder als das personifizierte Böse betrachtet und Catherine überwiegend von aller Schuld freigesprochen wird, so stehen sich beide in Sachen Impulsivität, innerer Zerrissenheit und ausschließlich selbstbezogener Empathie in nichts nach. Zwischen beiden entsteht ein negativer emotionaler Sog, der alle anderen Figuren – allen voran Isabella und Edgar – ungebremst mitreißt. Ein Entrinnen ist unmöglich. Und doch: In Catherines und Heathcliffs Verhalten liegt zugleich der Reiz für dependente Persönlichkeiten wie Isabella und Edgar, sich emotional auszuliefern und sich zu Spielbällen zu machen. Das Hoffen auf eine glückliche Beziehung auf Augenhöhe avanciert für beide – je mehr sie ihnen verweigert wird – zum größten Wunsch auf Erden aber auch zur bittersten Illusion, was sie viel zu spät realisieren. »Gerade weil das Böse so bedrückend und bedrohlich, so unbegreiflich und schwer beschreibbar, so weit weg und doch jedem so nah ist, übt es eine starke Faszination aus«, so beschreibt der Psychologe Reinhard Haller diese fatale Wechselbeziehung.

Wuthering Heights Montpellier AccordDoch Catherine und Heathcliff sind in ihrer Hassliebe nicht nur darauf erpicht, sich gegenseitig oder andere zu verletzen, etwa durch die Heirat mit einem ungeliebten Partner. Catherine treibt den pathologischen Liebesreigen am Ende des 3. Aktes durch selbstverletzendes Handeln auf die Spitze, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, um Schuld von sich abzuweisen und anderen zuzuschieben, um Rache zu üben – »Oh Heathcliff, du hast mich betrogen. Und jetzt werde ich dein Herz brechen, indem ich das meine breche« – ohne dabei auch nur den geringsten Gedanken daran zu verschwenden, dass sie selbst diese Situation, sprich: die Ehe zwischen Heathcliff und Isabella, möglich gemacht hat. Catherine wählt den eigenen Tod, um Heathcliff zu bestrafen. Am Ende weiß auch Heathcliff keinen anderen Ausweg mehr, als Catherine im Moment ihres Ablebens zu verfluchen – »Sie soll Qualen leiden. […] Catherine Ernshaw, solange ich lebe sollst du keine Ruhe finden!« – nur um im nächsten Moment herauszuschreien, dass er ohne sie nicht weiterzuleben vermag.

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Steven Smiths Biography von Bernhard Hermann bei der University Of California Press

Steven Smiths Biography von Bernard Hermann bei der University Of California Press

Emily Brontë hat die pathologischen Auswüchse in der Beziehung zwischen Catherine und Heathcliff in all ihrer Grausamkeit bis ins kleinste Detail hinein skizziert und beschrieb doch nur psychische Phänomene, die selbstverständlich auch in der frühviktorianischen Gesellschaft zu beobachten waren. Nur wusste man etwas mehr als ein halbes Jahrhundert vor Siegmund Freud solche Zustände noch nicht exakt zu benennen. Falls englische Ärzte nicht Aussprüche wie „Er oder sie hat den Teufel im Leib“ parat hatten, bezeichneten sie emotional überschäumendes Verhalten schlicht als „hystericks“. Heute wissen wir diese Pathologie genauer zu benennen und dass impulsives, manipulatives, empathieloses, verletzendes und selbstverletzendes Handeln in den Bereich der Persönlichkeitsstörungen fallen – die Ursachen dafür werden immer wieder kontrovers diskutiert und reichen von frühkindlich erlernten Verhaltensmustern bis hin zu bloßem Endorphinmangel. Würde man Catherines und Heathcliffs Persönlichkeiten nach heutigen psychologischen Parametern analysieren wollen, so könnten moderne Begriffe wie Borderline oder – in Heathcliffs Falle – Maligner Narzissmus oder Psychopathie fallen, für deren Auffälligkeiten klar definierte Beschreibung existieren. Und doch muss man mit solchen Diagnosen vorsichtig sein. Persönlichkeitsstörungen lassen sich nur schwer erkennen und begreifen, passen nur selten in vorgefertigte Schemata und sind in ihren Ausprägungen stets einem sozialgesellschaftlichen Wandel unterzogen. Nicht umsonst stellte der Schweizer Psychiater Carl Gustav Jung schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts fest: »Unwissenheit ist gewiss nie eine Empfehlung, aber auch das beste Wissen ist oft nicht genug. Es möge darum kein Tag vergehen, an dem der Psychotherapeut sich nicht demütig daran erinnere, dass er noch alles zu lernen hat.«  Christian Steinbock

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Der Autor, Christian Steinbock, ist Dramaturg am Staatstheater Braunschweig; seinen  Artikel entnahmen wir mit freundlicher Genehmigung dem Programmheft zur deutschen Erstaufführung der Oper am 11. April 2015 

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.