Die Rappresentatione di Anima et di Corpo von Emilio de Cavalieri wurde im Jahre 1600 in Rom uraufgeführt und gilt als eine der Urformen am Beginn der Operngeschichte. Es handelt sich um eine religiös-erbauliche Erörterung zwischen allegorischen Figuren wie bspw. Seele, Körper, Verstand, Vergnügen, Welt und Schutzengel. Ein Aufeinandertreffen, das in einem sakralen Umfeld entstand und aufgeführt wurde – eine religiöse Frühoper, die innovative Lösungen mit Folgen für die Operngeschichte fand. Laut Booklet „der erste dokumentierte Versuch, Handlung und Musik zu verknüpfen“ – gesungen wird dabei italienisch, nicht in Latein. Die vorliegende Studioaufnahme aus dem Jahr 2014 ist eine Folge der szenischen Produktion der Berliner Staatsoper im Schillertheater (Premiere 2012) von Regisseur Achim Freier und Dirigent René Jacobs.
Musikalisch ist die Rappresentatione für heutige Ohren einfach komponiert. Jacobs soll in einem Interview eingeräumt haben, dass sie ihm selber sogar zu Beginn primitiv erschien. Umso erstaunlicher, was Jacobs daraus zu machen verstand – originell orchestriert, federnd und farbig musiziert und motivisch beredt, ergänzt durch instrumentale Zwischenspiele zweier anderer Komponisten – es ergeben sich kurzweilige 93 Minuten voller Phantasie und instrumentaler Ideen. Abwechslungsreichtum prägt bereits Cavalieris Werk: er kontrastiert Stimmungen, Sänger, Ensembles und Chöre. Das mag manchen schematisch erscheinen, erfüllt aber auch beim heutigen
Zuhören noch seinen Zweck. Die Sänger lösen ihre Aufgaben bei diesem singenden Sprechen – dem recitar cantando -, bei dem der erforderliche Stimmumfang aber gering bleibt, durchweg sehr gut und ausdrucksstark und werden vom Chor auf hohem Niveau ideal ergänzt. Musiker und Sänger überbrücken die über 400 Jahre Zeitdifferenz und erschaffen mit dieser Aufnahme eine lebendiges Plädoyer für eine alte Kunst. Es ergibt sich ein suggestives Hörerlebnis, dass dieses durchaus für heutige Ohren spröde Frühwerk zu einem spannenden akustischen Erlebnis macht, bei dem es sich unbedingt lohnt, im ausführlichen Booklet (mehrsprachig, mit Aufsätzen der renommierten Musikwissenschaftlerin Silke Leopold und René Jacobs sowie Libretto) die gesungenen Texte mitzulesen und sich ihre intelligente akustische Umsetzung auch vor Augen zu führen. Jacobs gelingt hier eine weitere Referenzaufnahme. René Jacobs verbindet eine umfangreiche Aufnahmen-Diskographie von Opern und anderen frühen Werken mit dem Label harmonia mundi. Er schafft es nun schon über vier Jahrzehnte, ungewöhnliche und beachtenswerte Aufnahmen mit Referenzcharakter vorzulegen, wobei die Besonderheiten überwiegend bei der Orchesterbehandlung zu suchen ist. Jacobs erweist sich stets als einfallsreich und Aufnahmen wie bspw, Händels Giulio Cesare (1991), Cavallis La Calisto (1993), Keisers Croesus (1999) oder mehrere eingespielte Mozart-Opern gewannen hohe Aufmerksamkeit und oft begeisterte Rezensionen.
In der Reihe hmHeritage veröffentlicht harmonia mundi nun besondere Aufnahmen erneut und legt in diesem Zusammenhang die hochgelobte und als Referenzwerk betrachtete Aufnahme von Georg Friedrich Händels Frühwerk Rinaldo vor, die auch heute noch ihren musikalischen Rang behauptet. Die Meriten dieser außergewöhnlichen Aufnahme sind unbestritten – die Neuauflage wird dem weniger gerecht. Die Box ist vom Umfang auf die Hälfte geschrumpft, das Libretto gestrichen und René Jacobs´ Einführung unverständlicherweise ebenfalls. Musikalisch und sängerisch bleibt die klare Empfehlung bestehen – wer Rinaldo hören will, kommt an Jacobs nicht vorbei. Wer die alte Box im Laden findet, ist mit dieser besser bedient.
Marcus Budwitius
Emilio de Cavalieri: Rappresentatione di Anima et di Corpo mit Marie-Claude Chappuis (Anima), Johannes Weisser (Corpo), Gyula Orendt (Tempo, Consiglio), Mark Milhofer (Inteletto, Piacere), Marcos Fink (Mondo, Secondo Compagno di Piacere, Anima dannata); Staatsopernchor Berlin, Concerto vocale, Akademie für Alte Musik Berlin, René Jacobs (Dirigent); harmonia mundi, 2CDs, HMC 902200.01
Georg Friedrich Händel: Rinaldo mit Vivica Genaux (Rinaldo), Inga Kalna (Armida), Miah Persson (Almirena), Lawrence Zazzo (Goffredo), James Rutherford (Argante), Christophe Dumaux (Eustazio), Dominique Visse (Mago cristiano); Freiburger Barockorchester, René Jacobs (Dirigent)
hmHeritage, 3 CDs, HMY 2921796.98