Das Theater, vor allem das unterhaltende, durch das Lachen befreiende, hat den Literaturwissenschaftler Volker Klotz ein Gelehrtenleben lang begleitet. Sein konzises, Gattungen übergreifendes Standardwerk Das bürgerliche Lachtheater hat mehrere Neuauflagen erfahren, ebenso wie seine umfassende Untersuchung über die „Operette“, die auch für den Kenner eine wahre Fundgrube bietet. Sein jüngstes, epochengeschichtlich aufbereitetes Kompendium über die Komödie (Komödie: Etappen ihrer Geschichte von der Antike bis heute) hat ihren Ursprung in einer mehrsemestrigen Vorlesungsreihe des Autors, die er in Stuttgart gemeinsam mit Schauspielern des dortigen Staatstheaters durchgeführt hat. Das war etwas Neuartiges, denn Universität und Theater begegneten sich vorher „ähnlich schreckhaft wie Papageno und Monostatos“ (Klotz).
Wie die anderen Theaterbücher von Klotz ist auch dieses nicht für die Fachkollegen an den Universitäten, sondern für den praktischen Gebrauch, für Theatermacher und Theatergänger, geschrieben. Das heißt nicht, dass es Theoriedefizite gäbe. Einleitend wird erklärt, was die Komödie von anderen Dramenformen und von anderen literarischen Formen der Komik unterscheidet; Aristoteles, Bergson und Bachtin werden als Kronzeugen des Komik-Begriffs angerufen. Aber im Zentrum steht die Frage: Wie funktioniert Komik auf dem Theater, was wird dem öffentlichen Gelächter ausgesetzt und mit welchen Mitteln? Da gibt es Konstanten von Aristophanes über Molière bis in die Neuzeit, aber auch viele historische, geographische und gesellschaftliche Unterschiede. Jede Stückanalyse macht die politischen und sozialen Hintergründe deutlich, ordnet das Stück im Gesamtwerk des Autors ein und präzisiert das Komische – nach dem Prinzip: pars pro toto – an längeren Dialogpassagen.
Klotz ist in diesem neuen Kompendium zum ersten Mal nicht der alleinige Autor, wenn er auch mit 31 Beiträgen den Hauptteil des Buches bestreitet, von denen acht auf frühere Veröffentlichungen zurückgehen. Bereits emeritiert, war er
mit vielen Projekten gleichzeitig beschäftigt, als Produktionsdramaturg und Co-Regisseur am Theater, als Gastdozent an ausländischen Universitäten und mit dem Verfassen der Bücher über das Erzählen und über die Verskunst. Er mußte deshalb irgendwann einsehen, dass er dieses lange geplante große Buch über die Komödie alleine nicht würde zuende führen können, und suchte sich Mitstreiter, die bereit waren, sich auf sein Konzept und die Methode der Stückanalysen einzulassen. Es waren dies der Anglist Andreas Mahler, die Romanisten Wolfram Nitsch und Hanspeter Plocher sowie der Theaterkritiker und Feuilletonredakteur Roland Müller, der zugleich Koordinator und Redaktor war und die nötige Homogenität der Beiträge sicherzustellen hatte, was mir als gelungen erscheint.
Die spannende Lese-Zeitreise durch die Epochen der Gattung führt von der griechischen und römischen Komödie bis Dario Fò und Yasmina Reza. Dabei folgt das Buch nicht durchweg strikter Chronologie. Es gibt Länder-Schwerpunkte: die Elisabethanische Komödie, die Komödie im „goldenen Zeitalter“ Spaniens, die Komödie in Frankreich, die commedia dell’arte und die „Irische Komödien-Invasion“. Deutsche und Russen werden unter einem Dach als Nachzügler in der Geschichte der Gattung zusammengefaßt. Je näher wir der Neuzeit kommen, läßt sich der Gegenstand nur noch unter sehr weit gefassten thematischen Oberbegriffen subsumieren. Im Abschnitt „Farce, Satire, Melodrama“ kommen nicht nur Labiche, Feydeau und Schönthan zu Ehren, sondern auch so unterschiedliche Autoren wie Sternheim, Hofmannsthal und Rostand, dessen Cyrano de Bergerac ohne Zweifel einen Grenzfall der Gattung darstellt. Wie sich die Komödie mit der szenischen Avantgarde der jeweiligen Zeit verbindet, wird an Stücken von Molnár, Brecht, Valle-Inclán, Dürrenmatt, Fò und Tabori exemplifiziert.
Ein sehr weites Feld wird da auf 800 Seiten ausgeschritten. Als „Komödien-Führer“ dient der umfangreiche Band gleichwohl nicht. Die Vielfalt des Gegenstands, die Fülle des Materials und die Gründlichkeit der Analyse zwangen den Herausgeber zu rigoroser Auswahl, die auch Mut zur schmerzlichen Lücke zeigt. Die Kriterien waren programmatischer Natur: Unverwechselbares Eigenprofil, Einfluss auf die weitere Entwicklung der Gattung, paradigmatische Bedeutung im Werk des Autors und im heiteren Theater seiner Zeit. Reine Literaturkomödien fehlen deshalb ebenso wie schwerrmütige Seelenfarcen, etwa Schnitzlers Professor Bernhardi oder Tschechows Kirschgarten. Wir finden Kotzebues Die deutschen Kleinstädter, aber nicht Büchners Leonce und Lena, Schönthans Der Raub der Sabinerinnen“, aber nicht Hauptmanns Biberpelz und Zuckmayers Hauptmann von Köpenick.
Also: kein Buch zum Nachschlagen, sondern zum Lesen, von vorne bis hinten, und zum Mehrmals-Lesen einzelner Kapitel. Und um wirklich davon zu profitieren, sollte man sich auch noch die Zeit nehmen, die besprochenen Stücke zu lesen oder wiederzulesen. Mich begleitet dieser anregende Wälzer schon ein dreiviertel Jahr, ich habe die Lektüre zum Anlass genommen, mir einige der besprochenen Komödien erneut vorzunehmen und sie unter anderem Blickwinkel auch neu zu erkennen. Aber ich habe auch Entdeckungen gemacht. In einem Fall handelt es sich um eine Wieder-Entdeckung: die Komödie Der Ritter von der flammenden Mörserkeule des elisabethanischen Autoren-Tandems Beaumont & Fletcher habe ich vor einem halben Jahrhundert als Gymnasiast im damaligen Ulmer Behelfstheater gesehen – sie gehörte zu einem Zyklus von Stücken, die der findige Chefdramaturg Claus Bremer quasi ausgegraben hatte – und ich war damals stark beeindruckt. Roland Müllers einlässliche Beschreibung des Stücks hat mir jetzt auch Einzelheiten wieder in Erinnerung gerufen.
Drei Dramen werden hier in einem gegeben. Ein Gewürzkrämer „entert“ mit seiner Frau die Bühne, wo das Stück Der Kaufmann von London gespielt werden soll und verlangt stattdessen ein Drama, in dem ein Krämer einen Löwen mit einer Mörserkeule tötet; sein Gehilfe Ralph scheint ihm die richtige Besetzung für diese Rolle zu sein. Tatsächlich werden nun beide Stücke gleichzeitig gespielt und durch die ständigen Interventionen der Krämersleute kommt noch eine dritte Dimension ins Spiel. Diese Dramaturgie hat noch in späteren Jahrhunderten Autoren fasziniert, das prominenteste Beispiel ist Ludwig Tiecks Gestiefelter Kater. Ein Fundstück ist auch die Komödie Ulysses von Ithacia des norwegisch-dänischen Autors Ludvik Holberg, der bei uns mehr durch die ihm gewidmete Suite von Edvard Grieg bekannt ist als durch seine Bühnenwerke. Anderthalb Jahrhunderte vor Offenbachs Schöne Helena wird hier der trojanische Krieg parodistisch durch den Kakao gezogen und gleichzeitig eine durchgängige Desillusionierung des Theaterspiels betrieben. Am Ende wird Held Ulysses von den Kostümverleihern bis aufs Hemd ausgezogen. Theaterspiel ist auch ein Thema in Ferenc Molnárs (von Klotz hoch geschätzter) Komödie Spiel im Schloss, in dem sich Muster der französischen Farce à la Labiche mit Stilmitteln Pirandellos mischen. Da wird von einem findigen Autor ein Eifersuchtsdrama abgewendet, indem er ein belauschtes kompromittierendes Gespräch zur nächtlichen Probe eines Bühnendialogs umfunktioniert. In der Parlamentssatire Der verlorene Brief (1884) des rumänischen Autors Ion Luca Caragiale scheint ein Vertreter der konservativen Partei Loriots berühmte Bundestagsrede schon vorwegzunehmen.
Ekkehard Pluta
Volker Klotz – Andreas Mahler – Roland Müller – Wolfram Nitsch – Hanspeter Plocher/ Komödie: Etappen ihrer Geschichte von der Antike bis heute; 816 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013; ISBN 978-3-10-039330-2