The Art of Noel Mewton-Wood: Das Label Heritage gibt sich nicht mit Mainstream ab. Es ist in den Nischen zu Hause. Die Erinnerung an den australischen Pianisten (1922 bis 1953) ist typisch für dieses Label und ein Gewinn für den Musikmarkt. Das Programm wirkt eigenwillig. Es enthält die Sonaten Nummer 1 und 2 von Weber, die Tarantella in As-Dur von Chopin, Schuberts Lied Auf dem Strom und den Liederzyklus An die ferne Geliebte von Beethoven. Gesungen werden die Lieder von Peter Pears. Beim Schubert-Lied bläst Dennis Brain das Horn und drängt das Klavier etwas ins Abseits. Solcherlei Unausgewogenheit könnte auch schon von den Aufnahmebedingungen herrühren. Diese scheinen nicht die besten gewesen zu sein. Die Lieder wurden 1953 bei der BBC eingespielt. Es gibt bessere Aufnahmen aus dieser Zeit. Insofern ist es gar nicht so einfach, sich an Hand dieser CD (HTGCD 269) ein genaues Bild von den Fähigkeiten des Pianisten zu machen. Für meinen Eindruck ist der Klang etwas stumpf. Bei den Klavierstücken erklärt sich eine Neigung zu solcher Einschränkung tatsächlich aus deren Alter. Sie entstanden bereits 1941 mitten im Zweiten Weltkrieg, als deutsche Bomben auf England fielen. Der 1922 in Melbourne geborene Pianist war damals keine Zwanzig.
Mewton-Wood stand am Beginn einer großen aber kurzen Karriere. Gerade mal vierzehn Jahre alt, war er nach England gekommen, um an der Königlichen Academy zu studieren. Seine Heimat Australien gehört zum Commonwealth. In Italien vervollkommnete er seine Fähigkeiten, nahm zwischenzeitlich Privatunterricht bei dem legendären Pianisten Artur Schnabel. Nach dem Krieg machte er sich auf Konzertreisen in Europa und darüber hinaus einen Namen. Der Dirigent Thomas Beecham musizierte mit Mewton-Wood. Von seinem Spiel zeigte sich auch der britische Dirigent Sir Henry Wood noch kurz vor seinem Tod tief beeindruckt. Er fühlte sich durch an Liszt, Anton Rubinstein und Busoni erinnert. Sein Pianissimo sei so schön wie sein Fortissimo. Der aufstrebende Pianist kannte keine Grenzen, er warf sich mit der gleichen Leidenschaft auf Beethoven wie auf Bartók, Hindemith oder Busoni, dessen gewaltiges Klavierkonzert mit abschließendem Männerchor er auch eingespielt hat. Mewton-Wood galt als äußerst feinsinnig, sammelte Bücher und Kunstwerke. Gustav Mahler erklärte er zu seinem Lieblingskomponisten, noch bevor der wiederentdeckt worden ist.
In England war er auch mit dem Komponisten Benjamin Britten und dessen Lebensgefährten Peter Pears bekannt geworden. Dieser Freundschaft sind auch die Liedaufnahmen auf der CD zu verdanken. Sie entstanden 1953 an nur einem Tag, nämlich am 28. Januar. Am Beethoven-Zyklus fällt die große Ruhe auf. Pears lässt sich sehr viel Zeit. Er braucht mehr als vierzehn Minuten, andere Sänger kommen mit weniger aus. Mir sagt diese Ausbreitung zu. Sie lässt viel Raum für Darstellung und Tiefe. Es ist erstaunlich, wie selbstverständlich und genau Pears mit dem deutschen Text umgeht. Jedes – oder fast jedes – Wort ist zu verstehen. An seinem eigenwilligen Timbre, das den Vorteil hat, sofort erkannt zu werden, wurde von der Kritik oft eine gewisse Trockenheit ausgemacht. Ein Urteil, dem ich mich nicht anschließen kann. Ich würde von Sanftheit sprechen. Die kommt diesen Liedern sehr entgegen. In der Begleitung kann Mewton-Wood seine expressives Talent nur bedingt ausleben. Er hält sich zurück, tritt hinter dem Sänger in die zweite Reihe. Das wirkt sehr sympathisch – und kollegial.
Das Leben von Noel Mewton-Wood endete tragisch. Er vergiftete sich mit Blausäure, weil er sich die Mitschuld am Tod seines geliebten Lebensgefährten gegeben haben soll. Dieser war an einem Blinddarmdurchbruch gestorben. Die Symptome sollen nicht frühzeitig genug entdeckt worden sein. Oder war es nicht vielmehr so, dass er ohne ihn nicht weiterleben konnte? Die CD ist eine schöne Erinnerung an einen ungewöhnlichen Pianisten und Menschen.
Rüdiger Winter