Lortzings Oper Regina ist ein Zwitter zwischen dem üblichen Lortzing-Idiom und einem ambitionierten Sozialdrama – in gesetzten Arien und aufbrausenden Chören (namentlich der Einleitung, die mehr verspricht, als die Oper halten kann) verbreiten sich Solisten und Massen, Lortzing-Style, wenig überzeugend, aber doch spannend zu erleben, wie der Komponist der eher gutmütigen Erfindungen sich der Sache es von der frühen Industrie ausgebeuteten Volkes annimmt.
Lortzing, der hier wie immer sein eigener Textdichter ist, versucht, eine Art Aktualitätsdrama zu schreiben. Da ist die Tochter eines Industriebosses, Regina, sie steht zwischen zwei Männern: Der eine ist, heute würden wir sagen, ein gemäßigter Gewerkschafter, den liebt sie, der andre ist ein verkrachter Adliger, der zum Radikalen wird, weil er Regina nicht bekommt und sich mit einer linken Terrorgruppe zusammentut. Die entführt Regina, aber die ist ziemlich zäh und erschießt den Geiselnehmer bei einem neuen Terror-Anschlagsversuch auf einen strategisch wichtigen Turm. Starker Tobak und nichts weniger als der modernste deutsche Opernstoff des 19. Jahrhunderts.
ABER – die Oper war natürlich kein Erfolg, denn das Establishment, das in die Oper ging, wollte das nicht sehen, die postnapoleonischen Regierungen fürchteten sich vor Märzaufstand und Pariser Commune, und das Werk blieb in der Schublade. Erst 1899 gab´s eine gemeine Neuauflage, kastriert und entzahnt, eine DDR Version nach dem krieg wurde noch im Radio in der Masurenallee gesundet und erschüttert durch ihre Schnitte und Umstellungen, dann gabs immer wieder Anläufe in Karlsruhe, bei der italienischen RAI und in Gelsenkirchen, alle behaupteten, dem Komponisten ganz nahe zu sein und ihn authentisch aufzuführen. Nun also ist es Ulf Schirmer, der außerordentlich verdienstvoll sich an die Noten gemacht hat und sozusagen die Urfassung ins Tageslicht gehoben hat. Auch mit ernüchternden Resultaten. Dass diese konzertante Aufführung im Münchner Prinzregententheater überhaupt mitgeschnitten wurde für die CD, das ist verdienstvoll – eine unverstümmelte Regina war längst überfällig. Und Ulf Schirmer ist genau der Richtige dafür; er nimmt seinen Lortzing ernst und schafft es, dieses nervöse Werk genau zu temperieren und anzusiedeln zwischen Spieloper und neurotischem Psychodrama.
Der musikalische Lortzing-Baukasten wird nicht erweitert in diesem Spätwerk, es sind die üblichen Mittel der Spieloper – aber was mich doch beeindruckt hat, ist, wie Lortzing hier fast am Ende seines Lebens alles, was er kann, sehr souverän zusammenfasst. Fast ausschließlich Ensemble, drei gewaltige Finali von je 20 Minuten – Lortzing drängt immer mehr zur durchkomponierten Oper, will in seinem wilden Revolutionsepos die Hände frei haben für jede mögliche musikdramatische Nuance. Andrerseits kann er eben diese großen szenischen Entwürfe oft nur mit kleiner Musik füllen. Das heißt, sie ist immer etwas hausbacken, wenn er tragische Töne anschlägt. Lyrische oder burleske Szenen gelingen ihm mit gewohnter Delikatesse – ja das zweite Finale nimmt schon Offenbach vorweg. Da versuchen die Gefangenen aus dem nächtlichen Lager der Terroristen zu fliehen – und nach einem innigen Ensemble glüht in der Flöte Reginas Liebesthema auf, während die dösenden Bösewichter halblaut ein Lied murmeln. Solche Einfälle sind unbezahlbar und gehören schon in Offenbachs Welt.
Leider ist die Vokalbesetzung nicht wirklich überzeugend, denn allein die Titelfigur bedarf einer grösseren, lyrischen Stimme, eine Art Elsa für Arme. Johanna Stojkovics Sopran ist so säuerlich und schlicht überfordert, dass Regina hier zu sehr die höhere Tochter mit gequälten Höhen in den Salons der Gründerzeit erscheint. Auch Daniel Kirchs Tenor ist für die Rolle zu klein – er scheitert an den heroischen Stellen, die wirklich eine expressive glanzvolle Tenorleistung verlangen. Und mit diesen zu kleinen Hauptprotagonisten ist uns der Hauptspaß am Werk fast zerstört, trotz des noblen und würdigen Baritons Detlef Roth, der den Bösewicht so edel gibt und damit die Balance der Sympathie eindeutig zu seinen Gunsten verlagert, was Lortzing sicher nicht so beabsichtigt hatte. Die übrigen, einschließlich Papa Simon (Albert Pesendorfer) sind mehr als anständig, aber man hätte sich doch eine grössere Besetzung namentlich in den beiden leads gewünscht. Ulf Schirmer musiziert wie gewohnt klangschön und flott.
G.H./M.K.
Albert Lortzing: Regina mit Johanna Stojkovic/Regina, Detlef Roth/Stephan, , Albert Pesendorfer/Simon, , Daniel Kirch/Richard u. a.; Prager Philharmonischer Chor, Münchner Rundfunkorchester, Dirigent – Ulf Schirmer; 2CD cpo 777 710-2