Nicht einmal der kluge Opera Groves widmet dem italienischen Tenor Gianni Poggi mehr als 13 Zeilen Eintrag (von Elizabeth Forbes), was die ungeliebte Situation dieses ebenso tüchtigen wie wenig attraktiven Tenors widerspiegelt. Er stand in den Fünfzigern neben buchstäblich jeder Sopranistin auf den Brettern Italiens und machte kurze Ausflüge ins Ausland, so nach London, aber eigentlich zählte er zu den No-Names.
Er war tüchtig, aber nicht wirklich berühmt. Er sang die großen Tenorpartien von Verdi, Ponchielli, Leoncavallo und Puccini, aber sein hartes, flaches Timbre und seine früh einsetzende Korpulenz, verbunden mit nicht gerade mimischer Brillanz, ließen ihn stets einen Tenor der dritten Reihe sein, trotz seiner Allgegenwärtigkeit. Im Grunde genommen ist er durch die vielen, vielen Livemitschnitte und die relativ großen Anzahl von Philips-, Cetra- und DG-Aufnahmen heute bekannter außerhalb Italiens als damals. Umso erstaunlicher ist es, dass sich die Decca genötigt sieht, seine beiden (einzigen?) Recitals bei ihr, italienische Canzoni (als Italian Songs und Italian Melodies/480 8170), im Rahmen ihrer geschätzten Remake-Serie „Most wanted recitals“ zu veröffentlichen. Ob nun Poggi most wanted ist? Sehr zweifelhaft. Aber gerade auf diesen beiden Wiederveröffentlichungen (erstmals auf CD) hört man Poggi in Bestform (mehr als auf seinen beiden Decca-Gesamtaufnahmen), ohne Drücker, ohne diesen sonst auch ziemlich gemeinen trocken Ton der fahlen, gequetschten Höhe.
Hier singt er frei heraus, hat sogar schöne Momente und macht viel aus dem Wort der zum Teil bezaubernden, schlichten Lieder, die das italienische Lebensgefühl des 19. Jahrhunderts widerspiegeln. Dauerbrenner wie „Torna a Surriento“ oder natürlich „O sole mio“ haben alle Tenöre aufgenommen, aber Poggis robuste Wiedergabe von 1953 (mono) erinnert an Weinflaschen im Bastrock, an bunte Märkte mit Kopftüchern und Zoccoli, an überfüllte Touristen-Tavernen und eben an das angeblich so fröhliche Italien der Nachkriegszeit, wie es sich die Amis, Engländer und vor allem Deutschen erträumten, wenn sie die heimgenommene Chiantiflaschen in ihren Partykellern bei einer tropfenden Kerze erinnerungsvoll betrachteten. Poggi erfüllt alle diese nostalgischen Gefühle, und dafür wurden die beiden 25er ja auch aufgenommen.
Gianni Poggi wurde 1921 (oder 1922) in Piacenza geboren und starb ebendort 1989. Er studierte in Mailand und machte 1947 in Palermo sein Debüt als Rodolfo (und hat etwas sehr Sizilianisches im ganzen an sich). Sein Scala- Debüt kam 1948, und danach waren ihm Italiens Bühnen offen, einschließlich Rom und Florenz, wo er die Titelrolle im italienischen Don Sebastiano/Donizetti 1955 sang (Cetra). Er machte – wie der anglolastige Groves sich beeilt anzumerken – sein Londoner Debüt (nicht in Covent Garden ,sondern im Prince´s Theatre) 1960 als Duca. Sein Repertoire umfasste das klassische wie Edgardo, Enzo (mit der Cerquetti), Fernando, Riccardo (Ballo), Alfredo, Boitos Faust, Maurizio (Adriana Lecouvreur), Turiddu, Canio oder Cavaradossi. Und auch der Groves merkt an, dass die Stimme zwar kraftvoll war, aber doch im Ton zu Härte und Fahlheit neigte. Eine Aussage, die sich beim Anhören seiner offiziellen Aufnahmen bestätigt. Poggi schaffte es aber durchaus nicht nur nach London (da ist Groves wirklich zu mager in den Angaben). Er sang mit Erfolg viel an der Metropolitan Opera New York in den großen Partien seines Fachs mit illiustren Kollegen der Zeit, er sang in Wien, (laut Wikipedia) an der Berliner Staatsoper und Monte-Carlo, auch Lohengrin in Italienisch in Verona 1949 und Piacenza 1963. 1969 zog er sich von der Bühne mit Boitos Faust/Mefistofele zurück.
Denn erstaunlicherweise gibt es manche Industrieaufnahmen mit ihm, was angesichts von z. B. Raimondi oder Limarilli verwundert – beide haben entschieden schönere Stimmen und wurden so gut wie gar nicht von der Plattenindustrie berücksichtigt. Mit Poggi gibt’s eine Tosca mit der Stella bei Philips. Ebendort auch Cav (mit der späten, aber immer noch fulminanten Mancini – nicht als CD wiederaufgelegt, was schade ist) & Pag (Foto oben im Ausschnitt), eine Bohème (dto. Stella); bei Cetra erschienen die Callas-Gioconda und eine frühe Tosca mit der Guerrini. Eine Lucia mit Dolores Wilson trieb sich bei Urania herum (sicher amerikanische mitgenommene Raubkunst von der RAI). Decca nahm die Traviata mit der Tebaldi mit ihm auf und auch die wirklich fürchterliche, korrupte Favorita mit der Simionato (eine der gemeinsten Einspielungen aller Zeiten). Die Deutsche Grammophon versuchte die Callas-Scala-Erfolge der EMI zu simulieren, als sie ihre späte Scala-Verdi-Serie auflegte: Ballo mit Poggi und Stella.
Und schließlich gibt es, dto. DG, eine noch spätere Bohème mit der jungen Scotto 1961 unter Votto. Und live? Tosca mit Stella unter Mitropoulos an der Met, Bohème unter Schippers, Gioconda mit Milanov – live gibt es zu viel, um es hier aufzuzählen.
So kommt den der solide mittelklassige Gianni Poggi noch einmal bei Decca zu Ehren, vielleicht mit seinen schönsten, druckfreiestren und gelöstesten Aufnahmen stimmungsvoller italienischer Lieder: „Non t´odio no!“ Geerd Heinsen