Tief bewegt erfuhren wir vom Tode des Musikwissenschaftlers und Regisseurs Peter P. Pachl, der am 15. November 2021 im Alter von nur 68 Jahren verstarb. Pachl ist ja operalounge.de-Lesern absolut kein Unbekannter, haben wir doch immer wieder seine hochinteressanten Siegfried-Wagner-Produktionen besprochen und häufig seine klugen Texte zu seinen CD-Projekten übernommen. Der gebürtige Bayreuther leitete Opern an vielen Häusern, einschließlich der English National Opera, lehrte an zahlreichen Universitäten und war kurzzeitig auch Intendant der Berliner Symphoniker. Zudem gründete er eine Siegfried-Wagner-Gesellschaft, um den Sohn Richard Wagners neu zu entdecken. Ein ausführlicher Nachruf von Roland Dippel folgt nachstehend, aber wir beklagen den Verlust eines liebenswürdigen Freundes und auch Kämpfers für ein sonst vernachlässigtes Repertoire der Musikgeschichte. r. i. p. G. H.
Bei den Vorbereitungen zur von ihm seit 10 Jahren betriebenen Uraufführung von Anton Urspruchs „Die heilige Cäcilia“ ging es Peter P. Pachl mit seinen langjährigen begeisterungsfähigen Mitstreitenden in erster Linie um das Bekanntmachen eines vergessenen Werks als dringliche Signalfunktion für Theater- und Konzertleitungen. Aber diese Arbeit konnte er nicht vollenden. Am 15. November 2021 verstarb Peter P. Pachl (geb. 24. April 1953 in Bayreuth) nach kurzer, schwerer Krankheit in Bochum. Die wegen zahlreicher Beeinträchtigungen zu „Jüdisches Leben in Deutschland 2021“ entstandene Produktion wurde von Pachls Regieassistent Chang Tang in der Henrichshütte Hattingen bis zur Premiere am 21. November begleitet.
Der Gründer des pianopianissimo musiktheater, Dramaturg, Intendant und Musikwissenschaftler wurde nur 68 Jahre alt. Die Internationale Siegfried Wagner Gesellschaft, ihr Geschäftsführer Achim Bahr und ihr Präsident Frank Strobel beraten im Dezember, wie die geplanten Projekte ihres Vizepräsidenten Pachl – „Herzog Wildfang“ in der Bayreuther Kulturbühne Reichshof im Sommer 2022 und „Der Bärenhäuter“ in Odessa 2023 – weitergeführt werden.
An dem leidenschaftlichen Siegfried-Wagner-Entdecker Pachl rieben sich, wenn er Regie führte, immer wieder die Geister. Er brachte genau jene künstlerische Polarität auf die Bühne, in welcher er lebte: Ein riesiger Kosmos zwischen Kunstreligion und Kalauer. Die Grenzen waren überraschend fließend und schöpften aus Pachls bewundernswert weitem Horizont in den Geistes- und Grenzwissenschaften. Pachls Spannweite zwischen großen und intimen Projekten, zu denen Arbeiten wie die Bühnenfassung von Richard Wagners Singspiel „Männerlist größer als Frauenlist oder Die glückliche Bärenfamilie“ für die Pocket Opera Nürnberg (2013) gehörte, geriet oft faszinierend und frivol. Die Schauplätze seiner Inszenierungen und deren spartenübergreifender Impetus machten Reiselust: Im Pflaums Posthotel Pegnitz brachte Pachl Kammeropern zum Beispiel von Judith Weir. Die Berliner Symphoniker spielten unter seiner Intendanz Engelbert Humperdincks Originalpartitur mit Max Reinhardts Stummfilm „Das Mirakel“.
Wo es Unbekanntes, Außergewöhnliches und Fremdartiges aus dem Musikschaffen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu entdecken galt, wurde Pachl fündig: Das war so bei „Flammen“ lange vor einer Renaissance von Franz Schreker, Opern von Ludwig Thuille, Anton Urspruch und im Fall von E. T. A. Hoffmanns „Der Trank der Unsterblichkeit“ eine Uraufführung 204 Jahre nach Entstehung am Theater Erfurt (2013). Zum Beispiel die Inszenierung von Hoffmanns Oper „Undine“ bewies, dass der freche Pachl auch anders konnte. Am Theater Koblenz wurde die hochromantische Rarität zu einer dreidimensionalen Verlagerung von Bildern Ludwig Richters und Moritz‘ von Schwind auf die Bühne.
Vor allem Siegfried Wagner, mit dem Pachl sich in seiner Dissertation (1979), einer stattlichen Biographie (1988) und in Myriaden von Fachtexten auseinandersetzte, hatte es ihm angetan. Pachl initiierte, kuratierte, inszenierte oder koordinierte wirklich alle Siegfried-Wagner-Produktionen der letzten vierzig Jahre – als Intendant bei den von ihm in den 1990er Jahren gegründeten Rudolstädter Festspielen, als Chefdramaturg und stellvertretender Intendant des Theater Hagen und an zahlreichen anderen Orten. Drei Siegfried-Wagner-Opern gelangten durch Pachls Enthusiasmus und Beharrlichkeit zur Uraufführung: „Das Flüchlein, das jeder mitbekam“ (Kiel 1984), „Wahnopfer“ (Rudolstadt 1994) und „Die heilige Linde“ (Kölner Philharmonie 2001). Neben langjährigen Operngefährten wie Rebecca Broberg und Volker Horn konnte er zum Beispiel international renommierte Sängerpersönlichkeiten wie Dagmar Schellenberger und Roman Trekel langfristig für Siegfried Wagner begeistern.
Als ich ihn ca. 2012 nach weiteren Siegfried-Wagner-Aktivitäten fragte, meinte er lakonisch. „Momentan nichts, es liegt ja fast alles auf Tonträgern vor.“ Wenig später setzte er in Bayreuth zu einer zweiten Runde an. Während der Festspielzeit sollten in den nächsten Jahren der Reihe nach alle Opern Siegfried Wagners zur Aufführung gelangen. Nicht nur aufgrund der Pandemie, sondern auch wegen der wegen Sanierung nicht bespielbaren Stadthalle, war der Start nicht frei von Komplikationen. Für das Markgräfliche Opernhaus sind Siegfrieds Opern zu groß besetzt, das „digitale Orchester“ Ulrich Leykams ist die Alternativlösung bis zur Ermöglichung physischer Orchesterauftritte.
Diesen enormen Einsatz würdigte Katharina Wagner: „Peter P. Pachl hatte eine Zielstrebigkeit in der Umsetzung seiner Visionen wie wenige. Sein Brennen für die Kunst war frei von Ehrgeiz und Eitelkeit. Das habe ich in den vielen Jahren unserer Bekanntschaft und der unter Corona erschwerten Umsetzung des Bayreuther Siegfried-Wagner-Zyklus an ihm bewundert.“
Die Niederschwelligkeit zwischen Hochkultur und Off-Theater beflügelte Pachl auch als Rezitator. In den letzten Jahren nahm er zahlreiche Melodramen aus den Jahren um 1900 für CD auf. Mit Ernst, Ironie und manchmal der angemessenen Derbheit widmete Pachl sich Stücken von den experimentellen Spielwiesen ernstzunehmender Komponisten und Überbrettl-Vertonungen. Es ist wahrscheinlich auch diese gleichgewichtige Leidenschaft zwischen Pathos und Priapus, die ihm manche übelnahmen. Dabei steckte in jeder von Pachls Produktionen ein zutiefst humanes, manchmal mit Galgenhumor überlagertes Plädoyer für freie Liebe, freie Spiritualität und ein von böswilligen Aggressionen freies Leben. Um ihn trauern mit seiner Frau Angelika Pachl-Mix viele Freund*innen und Menschen, die von ihm immer wieder überraschende andersartige Impulse zu einer staubfreien Beschäftigung mit der musikalischen Hoch- und Spätromantik empfangen hatten. Davon zeugen auch zahlreiche Texte Pachls und von ihm wie nebenbei eingeleitete Noteneditionen zum Beispiel von Clement Harris‘ „Paradise Lost“ und verschiedener Einlage-Arien des jungen Richard Wagner für andere Bühnenwerke. Roland H. Dippel