Ein Leben an der Met

 

An die berühmte Mezzosopranistin Rosalind Elias  (* 13. März 1930 in Lowell, Massachusetts; † 3. Mai 2020 in New York City, New York) und das nachstehende  Gespräch zwischen ihr und meinem Freund und Kollegen Thomas Voigt erinnere ich mich ganz genau. Im eleganten Hotel-Foyer nahe der Oper von Monte-Carlo, 2001 zwischen den Aufführungen zu Barbers Vanessa, hatten wir einen Mordsspass bei der Begegnung mit dieser lebensfreudigen, ausserordentlich humorvollen und typisch amerikanischen Sängerin. Weitgereist und dennoch eine nicht fortzudenkende Säule des New Yorker Met-Opernbetriebes plauderte sie – mit raumgreifenden Gesten und durchaus auch die Gold-geschmückte Hand über das Mikrophon haltend bei den weniger öffentlich gedachten Bemerkungern über manche Kollegen – über ihr Leben, die Kunst und über die realistischen Seiten des Sängerberufes.

Rosalind Elias: Künstlerfoto (als Carmen)/ Foto Herbert Barrett Management

Sie war damals immer noch eine flamboyante Person mit schönen rotbraunen Haaren und jener typisch-lässigen  American-Upper-Class-Garderobe, eine ganz beeindruckende elegante Frau, wie man sie im New York jener Jahre häufiger antraf, eben Met-Kaliber.

 

Es ist uns eine Freude, dass Thomas Voigt (operalounge.de-Lesern absolut kein Unbekannter und selber renommierter Opern-Fachjournalist) uns an dieser nunmehr historische Begegnung von 2001 noch einmal teilhaben lässt. Er hatte seine Eindrücke für die renommierte Zeitschrift Fono Forum niedergeschrieben, dessen Inhaber und Chefredakteur Rainer H. Nitschke wir ebenfalls für die sehr liebenswürdige Überlassung danken. Es wärmt mir das Herz, dass wir Kollegen im Dienste der Musik so zusammen halten. Nun also ein historisches Gespräch mit der jüngst verstorbenen Mezzospranistin Rosalind Elias, deren Einspielungen in keiner Opernsammlung fehlen.

 

Gibt es in der Geschichte der Metropolitan Opera einen ähnlichen Fall von Langlebigkeit? 1954 debütierte Rosalind Elias dort als eine der acht Walküren, und noch vor kurzem sang sie die Alte Priorin in Poulencs Dialogues. Thomas Voigt traf die Mezzosopranistin nach einer Vorstellung von Barbers Vanessa in Monte Carlo.

Rosalind Elias und Nicolai Gedda 1958 in der „Vanessa“-Uraufführung an der Met/ Photo: Courtesy of the Metropolitan Opera Archives

Mit Vanessa schließt sich ein Kreis: Bei der Uraufführung des Stücks, 1958 an der Met, sang Rosalind EIias die Partie der jungen Erika. 43 Jahre später, im Februar 200 l, ist sie in demselben Stück als Alte Baronin zu erleben. Viel zu singen hat sie in dieser Partie nicht, aber sie singt es mit erstaunlich voller Stimme. Und sie hat die Art von Bühnenpräsenz, die alle Blicke auf sieht zieht, ohne sich in Szene zu setzen. Sie kann zehn, zwanzig Minuten unbeweglich dastehen, ohne dass die Spannung einen Moment nachlässt. Wie sagte Anja Silja? Es ist ein großer Unterschied, ob man „rumsteht“ oder „dasteht“. Die Elias steht da, und das Standbild ihrer geheimnisvollen, still dominierenden Baronin kontrastiert mit zahlreichen Bildern der Erinnerung, Bilder einer fünfzigjährigen Laufbahn, eines Bühnenlebens, das sich hauptsächlich an der Metropolitan Opera New York abspielte.

 Es begann im Frühjahr 1954. Laut The New Grove Dictionary of Opera war Rosalind Elias zu diesem Zeitpunkt 25, hatte eine solide Ausbildung am New England Conservatory, vier Jahre Bühnenpraxis mit der New England Opera Company und zwei Studienjahre in Italien hinter sich. An der Met herrschte seit vier Spielzeiten Rudolf Bing, und bei ihm gaben sich die Stars die Klinke in die Hand: Björling, Milanov, Warren, Tucker, Peerce, de los Angeles, Barbieri, Siepi, London, Hotter, Welitsch, Steber, Varnay, Della Casa, Bastianini … in dieser Umgebung bewegte sich Rosalind Elias, als sie als Grimgerde in der Walküre debütierte und ihre Ochsentour begann. Kaum eine Solistin in der Geschichte der Met war so oft angesetzt wie sie in ihren beiden ersten Spielzeiten. Was sie rückblickend nur positiv sieht: „Es gab mir eine solide Basis, und dafür bin ich sehr dankbar. Ich sehe mich heute noch, wie ich durchs Haus gehe, schwer bepackt mit Klavierauszügen von den Knien bis zum Kinn. Da kommt Fernando Corena vorbei und fragt entsetzt: ‚Rosalind, was willst du mit all den Noten?‘ – ‚Das sind meine Stücke für die nächste Saison!‘ Ich habe sehr viel gelernt in diesen Jahren. Außerdem hatte ich die Naivität, die Unschuld und die Nerven, die man braucht, um durchzukommen. Wenn man das bloß für immer behalten könnte!“

 

Rosalind Elias: als Meg Page in der Zeffirelli-Produktion des „Falstaff“ an der Met 1964, mit Gabriella Tucci, Regina Resnik und Anselmo Colzani/ Foto Melancon/ Met Opera Archive

Was Mezzosoprane betrifft, so dominierten an der Met in jenen Jahren dramatische Kaliber à la Barbieri. Das lyrische Fach war zu erobern, und so bekam die Elias nach den „Wurzen“ immer häufiger ordentliche Partien: Siebel, Olga, Cherubin, Dorabella, Rosina, Hänsel, Maddalena und Nancy in Martha. Von Rise Stevens übernahm sie Carmen und Octavian, und als Laura, Preziosilla, Azucena und Amneris machte sie schließlich auch den dramartischen Mezzos Konkurrenz. Wobei die Elias immer so vorsichtig war, ihr Potential nie ganz auszureizen. Hört man beispielsweise ihre Azucena in der Trovatore-Aufnahme mit Price und Tucker, so wird klar, dass sie nie versuchte, größer und dramatischer zu klingen, als ihre lyrisch fundierte Stimme es von Natur aus erlaubte. Sie blieb im Rahmen ihrer Mittel und ging auch nach großen Verdi-Partien immer wieder zurück zu Mozart. Vor diesem Hintergrund berichtet sie von einem Schlüsselerlebnis in ihrer Studienzeit: „Ich hatte gehört, dass Toscanini eine Aufführung von Verdis Ballo in maschera plante. Also besorgte ich mir die Noten und brachte sie zur nächsten Gesangsstunde mit. ‚Was soll denn das?‘ fragte meine Lehrerin. Und naiv, wie ich war, erzählte ich ihr, dass ich die Partie der Ulrica studieren wollte, um sie Toscanini vorzusingen. Da nahm sie den Auszug, warf ihn quer durchs Zimmer und meinte: ‚Vergiss es. Wir beginnen mit Mozart.’“

Rosalind Elias: „Werther“-Szenen mit Cesare Valetti unter René Leibowitz bei RCA – eine der schönsten Aufnamen meiner Sammlung/ G. H.

Dem italienischen Maestro ist sie nie begegnet, aber sonst hat sie mit nahezu allen großen Dirigenten ihrer Zeit gearbeitet. Lebhaft erinnert sie sich an ihr erstes Verdi-Requiem mit Bruno Walter. Und an die Aufnahme desselben Stücks mit Fritz Reiner (eine Produktion, die nach wie vor als Referenz-Aufnahme gelten kann). „Ich hatte große Angst vor Reiner, weil alle sagten, dass er ein Tyrann sei. Aber er war ganz lieb, es gab überhaupt keine Probleme. Seine Bewegungen waren auf ein absolutes Minimum reduziert, nur ganz kleine Bewegungen mit den Fingern, selbst bei den Fortissimo-Schlägen im Dies irae. Dann Björling mit „Ingemisco“ und Leontyne Price mit „Libera me“ – das sind Momente, die ich nie vergessen werde.

Rosalind Elias gehört zu den Sängern, die sich rückhaltlos für ihre Kolleginnen begeistern können. Sie schwärmt von der raumgreifenden Stimme der Rysanek und der Schönheit der Schwarzkopf („Wenn ich Fotos von Marlene Dietrich sehe, denke ich immer an die Schwarzkopf und umgekehrt“), von den Aufnahmen der Muzio („Die haben mich zu Tränen gerührt“) und der legendären magischen Piano-Phrase der Milanov als Gioconda („Ah, come t’amo“). Mit Milanov, di Stefano und Warren hat sie Ende der 50er Jahre in Rom La Gioconda und La forza del destino aufgenommen. Als Mozart-Sängerin ist sie neben Lisa Della Casa und George London in Leinsdorfs Figaro-Aufnahme dokumentiert sowie in einem Salzburger Mitschnitt von Così fan tutte mit ihrer Freundin Teresa Stratas (Despina) und ihrer Rosenkavalier-Partnerin Anneliese Rothenberger (Fiordiligi). Mit ihrem warmen, sinnlichen Mezzosopran und einer prägnanten, sinnerfüllten Diktion hat die Elias auch kleinere Partien in Plattenproduktionen deutlich aufgewertet. Dazu zählen die Mary im Holländer neben dem Idealpaar Rysanek/London, die Meg in Soltis erster Falstaff-Aufnahme, die Maddalena im Rigoletto unter Solti und die Suzuki neben der Butterfly von Leontyne Price. Der Met-Mitschnitt ihrer sensibel gestalteten Charlotte (neben dem allzu robusten Werther von Franco Corelli) ist leider seit Jahren vergriffen. Nach wie vor verfügbar ist gücklicherweise ein Klassiker des RCA-Katalogs: Berlioz‘ Roméo et Juliette, dirigiert von Charles Munch.

Rosalind Elias: als Contessa di Coigny in „Andrea Chénier“ an der Met 1966/ Foto Winnie Klotz/ Met Opera Archive

Eine besondere Trouvaille, die bislang nicht veröffentlicht wurde, kursiert seit Jahren auf Bändern in Sammler-Kreisen: Salome aus Cincinnati mit Malisa Galvany in der Titelrolle  und Rosalind Elias als Herodias. Da findet sich eines der extremsten Beispiele in der Geschichte der „Opern-Schreie“ (vgl. Fono Forum 1/01), nämlich bei der zentralen Phrase: „Er soll schwaaaaigen!“ Dieser lang gezogene, mit einem Röcheln endende Schrei klingt bei der Elias so grausig echt, dass man noch nachträglich um ihre Stimme bangt. Sie lacht und winkt ab: „Ich war nie heiser danach. Wer so lange singt wie ich, hat Stimmbänder aus Leder!“ Deshalb hatte sie auch keine Mühe mit dem hysterischen Lachen und den Todesschreien der Klytämnestra.

Zwei weitere Charakterpartien aus späteren Jahren sind glücklicherweise auf Video dokumentiert: die Hexe in Hänsel und Gretel (in einer Met-Aufführung mit Judith Blegen und Frederica von Stade) und die Türken-Baba in der exemplarischen, von David Hockney, ausgestatteten Glyndebourne-Produktion.

Was in der Galerie ihrer Rollen-Portraits (2001!/ G. H.) noch fehlt, ist die Gräfin in Pique Dame. Und Menottis Medium. Wenn sie über ihre Pläne spricht, hat man den Eindruck, dass sie offen für vieles ist, die Dinge eher auf sich zukommen lässt, statt sie zu beeinflussen. Und man spürt auch, dass sie zu der Spezies von Bühnentieren gehört, die ihre Batterien nicht in Ruhephasen aufladen, sondern bei der Arbeit im Theater.

Thomas Voigt, renommierter Gesprächspartner vieler Diven, Musikjournalist, Musikmanager und bekannter Autor /Foto: Facebook

Bei den Proben zur Neuproduktion der Vanessa in Monte Carlo wurden natürlich auch Erinnerungen an die Uraufführung wach. Die Titelpartie (bei Kiri Te Kanawa in Monte Carlo eher ein Vorwand für samtige Töne, gutes Aussehen und schicke Kostüme) war 1958 mit Eleanor Steber besetzt, Gedda sang den Anatol, Mitropoulos dirigierte, Menotti führte Regie. Auch wenn sich Rudolf Bing zu dieser ersten Uraufführung seiner Amtszeit in seinen Memoiren eher ironisch geäußert hat („Cocktailparty-Erfolg“) – für Rosalind Elias sind es Erinnerungen an eine große Zeit. Sie sieht sich die alten Fotos an, blickt dann auf und lacht: „Dabei schaue ich nur selten zurück. Teresa Stratas und ich haben uns immer vorgestellt, dass uns eines Tages ein paar Opernfans zusammen in der Hotelhalle sitzen sehen und sagen: ‚Schaut, die schwelgen jetzt in alten Zeiten!‘ Und in Wirklichkeit reden wir über Kochrezepte!“ Thomas Voigt

 

(Texterfassung Daniel Hauser; Dank nochmals an den Autor und Rainer H- Nitschke vom Foto Forum, wo 2001 der Artikel von Thomas Voigt erschien; Foto oben Rosalind Elias als Amneris an der Met/ Foto Louis Melancon/ Met Opera Archive mit Dank!).