Eine leidenschaftliche Kämpferin

 

Grace Bumbry konnte am 4. Januar 2017  ihren 80. Geburtstag feiern. Und das ist ein schöner Anlass, eine amerikanische Künstlerin zu ehren, die zusammen mit ihren Kolleginnen Leontyne Price, Shirley Verrett und wenigen anderen jener Zeit dem Vorbild Marian Andersons folgte und schwarzen amerikanischen Sängern den Zugang zu den internationalen Opernbühnen ermöglichte.

Das klingt heute nicht so sensationell wie in den Sechzigern (!!!) des letzten Jahrhunderts, als die Bumbry ihr Debüt am Basler Stadttheater machte und am 20. Juli 1961 als „Schwarze Venus“ im Bayreuther Tannhäuser reüssierte – und für Furore sorgte. Vielleicht weniger mit der Stimme als solcher als mit der Tatsache, dass Wieland Wagner in den Heiligen Hallen eine Schwarze singen ließ. Ungeheuer! Wagnerianer tobten. Aber es war ohnehin für schwarze Amerikaner leichter in Europa, namentlich in Deutschland, eine Karriere zu beginnen, als in den USA, wo Rassendiskriminierung bis heute herrscht, weniger als damals, aber doch noch. Viele amerikanische (und besonders viele schwarze)  Soldaten blieben nach dem Krieg eh in Europa, wo die Vorurteile geringer, wenngleich immer noch beträchtlich,  waren.

Grace Bumbry/ grace-bumbry-organisations.com

Der Venus in Bayreuth folgte – als wichtiger Meilenstein – die Eboli in Covent Garden. Auch dort war die Bumbry die erste schwarze Sängerin auf der Königlichen Bühne. Ihre Karriere folgte dem damaligen Muster – erst in Europa sich einen Namen machen und dann in die USA zurückkehren. 1965 erreichte sie die Met, es folgten Salzburg (Carmen und die Verfilmung mit Karajan) und weitere  internationale Häuser. Paris war 1969 eine weitere wichtige Station (Abigaille), und die Eröffnung der Opéra Bastille 1990 vereinte die Bumbry mit ihrer Kollegin Shirley Verrett in den Troyens (wenngleich ich mich da im Saal an ein recht gemischtes Echo erinnere…). 1997 verabschiedete sie sich von der Bühne mit der Klytämnestra in Lyon … und kehrte überraschenderweise mit der Monisha in Joplins Treemonisha an das Pariser Châtelet zurück. Was für eine Frau.

Die Stimme war für mich immer eine Sache für sich, Geschmackssache eben. Zwischen Mezzo und Sopran pendelnd überzeugte sie eher im Mezzofach – ihre Sopran-Ausflüge wie Norma (als die sie mit Shirley Verrett in London alternierte: einen Abend sie als Norma und am anderen als Adalgisa  und vice versa), Gioconda und andere sind für mich ein gemischtes Glück und profitierten von ihren guten Spitzennoten. Aber ihr saftiges, in Teilen „schwarzes“  Timbre (anders als bei der Verrett oder Norman) war durchschlagend für die Eboli, Amneris oder Lady Macbeth (weniger für den Orfeo oder die Medea) . Hier regierten Feuer und Leidenschaft.  Hier kam ihr ungeheures Bühnentemperament durch, das die Rollen mit überdimensionaler Leidenschaft, mit einer überbordenden Persönlichkeit ausstattete. Bei der Bumbry war´s nie langweilig, hier herrschte eine Actrice großen Zuschnitts. Das ließ niemanden kalt. Als Studentin  von Lotte Lehmann und Pierre Bernac hatte sie zudem auch den Zugang zum Lied, das sie bewundernswert neben der Oper pflegte. Ihre guten Deutschkenntnisse waren dabei ein wertvoller Zugang.

Grace Bumbry als Carmen mit Franco Corelli in Chicago 1964/ grace-bumbry-organisations.com/ Chicago Opera

Sie ist auf vielen, vielen Aufnahmen dokumentiert, von den frühen Recitals bei DG und Einspielungen dann bei Philips (eben der Tannhäuser), Decca (auch der Messiah gehört dazu) und EMI/ Eterna (Carmen, Operetten, Orfeo) bis hin zu Gemischtem bei Orfeo. Dazwischen liegt die Türkenbaba bei Erato, Santuzza und mehr bei Melodram live. Die frühe  Norma unter Gabor Halasz in Martina Franca neben Lella Cuberli als Adalgisa in Martina Franca soll nicht vergessen werden. Auch auf DVD ist sie vertreten: von besagter Carmen unter Karajan bis hin zur Eboli und dem Mezzo in Verdis Requiem. In einer TDK-Hommage an Lotte Lehmann spricht sie liebevoll von ihrer einstigen Lehrerin. Und ganz wichtig: Sie ist Teil einer Dokumentation über schwarze Sänger („Aida´s brothers and sisters – black voices in opera and concert“ bei Arthaus), womit sich der Kreis schließt.

Grace Bumbry ist das was man in Amerika ein „role model“ nennt: eine Vorkämpferin, ein Beispiel für andere. Eine Mutmacherin. Ohne Sänger/innen wie sie hätten es Schwarze heute auf der Opernbühne nicht so weit gebracht, weitgehend problemlos akzeptiert zu werden, hätten keine Kathleen Battle, Jessye Norman oder Pretty Yende (eine Südafrikanerin) solche Karrieren gemacht. Nach Sportlern und Musikern öffneten diese starken Frauen die Opern-Tür für die Jüngeren. Deshalb hat sie alle Ehrungen verdient: Grace Bumbry ist seit dem 17. Mai 1992 in den Saint Louis „Walk of Fame“ aufgenommen worden, wurde zur Ehrendoktorin des Ebner-Rust College Holy Springs (Missouri) und der University of Missouri St. Louis ernannt (1980)[  und an UNESCO Projekten beteiligt (Road of Salvery). Grace Bumbry erhielt den Alumna-Preis von der Akademie Musik des Westens, bekam den Premio Giuseppe Verdi von Italien verliehen und wurde 1996 zum Commandeur des französischen Ordens Ordre des Arts et des Lettres durch die französische Regierung ernannt. Im Dezember 2009 wurde ihr von dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama der Preis Kennedy Center Honors (dt. Kennedy-Preis) des Kennedy Centers in Washington D.C. für ihr Lebenswerk verliehen (wie Wikipedia auflistet). Happy Birthday Miss Bumbry! G. H. (Foto oben: Grace Bumbry/ Cover der DG-Lied-LP SLPM 138 826/ Foto Max Jacoby)

 

Dazu auch ein Lebenslauf aus dem unersetzlichen Kutsch/Riemens: Bumbry, Grace, Alt/Sopran, * 4.1.1937 St. Louis; eigentlicher Name Grace Ann Melzia Bumbry. Studium an der Boston University, an der Northwestern University in Evanstown und 1955-58 an der Music Academy of the West in Santa Barbara (Kalifornien). Durch Lotte Lehmann gefördert, studierte sie den Liedgesang in Paris bei Pierre Bernac. Zunächst trat sie als Liedersängerin in Erscheinung. Bühnendebüt 1960 an der Grand Opéra Paris als Amneris in »Aida«. Sie etablierte sich im gleichen Jahr am Stadttheater von Basel, wo sie vier Jahre lang bis 1964 blieb. Aufsehenerregende Gastspiele 1961 in Brüssel als Carmen und seit 1963 immer wieder an der Covent Garden Oper London, wo sie als Eboli in Verdis »Don Carlos«, als Amneris, als Salome (1970) wie als Tosca (1973) auftrat. 1963 gastierte sie an der Oper von Chicago als Ulrica in Verdis »Maskenball«. Als erste farbige Sängerin wirkte sie 1961-63 bei den Festspielen von Bayreuth mit, und zwar als Venus im »Tannhäuser«. Der Erfolg der »Schwarzen Venus« war sensationell. Bei den Festspielen von Salzburg hörte man sie 1964-65 als Lady Macbeth in Verdis »Macbeth«, 1966-67 als Carmen; 1965-67 gab sie dort viel beachtete Liederabende. Große Karriere auch an der Metropolitan Oper New York seit 1965 (Antrittsrolle: Eboli im »Don Carlos« von Verdi). An der  Mailänder Scala bei ihrem Debüt 1966 ebenfalls begeistert gefeiert. Neben den genannten Partien galten als ihre großen Kreationen im Alt-Fach die Dalila in »Samson et Dalila« von Saint-Saëns, die Azucena im »Troubadour«, die Fricka im Nibelungenring und der Titelheld im »Orpheus« von Gluck. 1970 begann die Künstlerin mit der Interpretation von Sopranpartien (Salome, Tosca, Jenufa, Gioconda, Aida, Elisabetta im »Don Carlos« von Verdi, Lady Macbeth). Als erste Sopranpartie sang sie 1970 in Wien die Santuzza in »Cavalleria rusticana«. 1975 zu Gast bei den Festspielen von Verona, 1979 an der Grand Opéra Paris als Abigaille im »Nabucco« von Verdi, 1987 an der Oper von Nizza in der Titelpartie von Massenets »Hérodiade«, 1989 in Marseille als Didon in »Les Troyens« von Berlioz. 1974 erregte ihre Gestaltung der Titelfigur in Janáčeks »Jenufa« an der Mailänder Scala großes Aufsehen, 1975 gastierte sie in Paris als Ariane in »Ariane et Barbe-bleue« von Dukas. 1975 war sie die Bess in der Erstaufführung von Gershwins »Porgy and Bess« an der New Yorker Metropolitan Oper. 1986 sang sie beim Festival von Orange nochmals die Venus im »Tannhäuser«. 1987 wirkte sie in den Aufführungen von Verdis »Aida« vor den Tempeln im ägyptischen Luxor als Amneris mit, die sie im gleichen Jahr auch in der Arena von Verona vortrug.

Grace Bumbry Amneris an der Met / grace-bumbry-organisations.com/ Met Opera Archives/ Melancon

1990 sang sie in der Eröffnugsvorstellung der neu er  bauten Opéra Bastille Paris die Cassandre wie die Didon in »Les Troyens«. 1990 hörte man sie bei den Festspielen von Verona als Carmen, 1991 als Turandot in der gleichnamigen Puccini-Oper, die sie auch 1991 an der Australian Opera Sydney, 1993 an der Covent Garden Oper London übernahm. Bei den Festspielen von Salzburg sang sie 1994 die Türkenbab in »The Rake’s Progress« von Strawinsky. 1995 hörte man sie in der Megaron Mousikis Halle in Athen in der Titelrolle der Oper »Medea« von Cherubini/Lachner, ebenso 1995 in der New Yorker Carnegie Hall in der Titelrolle von Massenets »Hérodiade« (in einer konzertanten Aufführung der Oper). Weltweite Gastspielkarriere mit glanzvollen Auftritten in München, Hamburg, Frankfurt a.M., Zürich, Helsinki, Stockholm, Budapest, Belgrad, Lissabon, Barcelona und in den Musikzentren in Nordamerika. Neben der dramatischen Ausdruckskraft ihrer Stimme bewunderte man auf der Bühne ihre großartige schauspielerische Begabung. Ihre voluminöse, dunkel timbrierte Stimme konnte nicht zuletzt auch im Lied- Vortrag große Leistungen erbringen. Verheiratet mit dem Tenor Andreas Jaeckel (* 1930), von dem sie sich aber wieder trennte Sie wurde zum Ehrendoktor des Ebner-Rust College Holy Springs (Missouri) und der University of Missouri St. Louis ernannt. Schallplatten: Westminster (»Israel in Egypt« aus Salt Lake City), Decca (»Messias«, »Don Carlos« von Verdi), Philips (Venus im »Tannhäuser«). DGG, RCA (»Aida«), Morgan Records (»Jenufa« in Italienisch), Legendary Recordings (Abigaille in Verdis »Nabucco«), Orfeo (»Macbeth«, Salzburger Festspiele 1964), Lévon (Amneris in »Aida«), CBS (»Le Cid« von Massenet), Eurodisc (»Orpheus« von Gluck) und Columbia (»Carmen«). Der denkwürdige Bayreuther »Tannhäuser« von 1961 ist auf Melodram erhalten.

[Nachtrag] Bumbry, Grace; 1997 hörte man sie in Lyon (Théâtre de Gourvières) als Klytämnestra in »Elektra« von R. Strauss, womit sie ihre Bühnenkarriere zum Abschluß brachte. Sie unternahm auch Tourneen mit einem von ihr gegründeten Vokal- und Instrumental-Ensemble (Grace Bumbry Black Musical Heritage Ensemble). [Lexikon: Bumbry, Grace. Großes Sängerlexikon, S. 3327 (vgl. Sängerlex. Bd. 1, S. 497; Sängerlex. Bd. 6, S. 264) (c) Verlag K.G. Saur]