Gounod: „La Nonne sanglante“

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2018 jährte sich der Geburtstag von Charles Gounod zum 200. Mal – Grund für den Palazetto, im Juni  2018 drei  seiner Opern aufführen zwei mitschneiden zu lassen: Le tribut de Zamora (aus München im Januar 2018 für die Eddiciones Singulares), Faust in der Erstversion als Opéra-comique/mit Dialogen (soeben beim Palazetto Labrel Ediciones Singulares erschienen)  und La Nonne Sanglante (die es ja bereits 2008 in Osnabrück gegeben hat und bei cpo  777 388-2 in guter Ausstattung mit Libretto vorliegt, aber auch nun bei Naxos in der hier besprochenen Pariser Version als DVD-Mitschnitt herausgekommen ist/ DVD 2.2110632)

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Der junge Charles Gounod auf einem Foto von Nadar/ OBA

Dazu Rolf Fath über die Nonne Sanglante in der Opéra-Comique: Schwer kommt die Ouvertüre mit ihrem harmonischen Wechselspiel in die Gänge. Die schwere Melodie und die flotten Rhythmen etwa, die das Erscheinen der Nonne begleiten, die chromatischen Eintrübungen, die die Welt des Übernatürlichen beschreiben und sich zusammen mit den Bläsern zu bedrohlichen Situationen bündeln, wie wir sie im vierten Finale wiederfinden. Ganz so schaurig, gespenstisch und finster, wie es das Sujet vorgibt, geht es allerdings im Orchestergraben bei Charles Gounods La nonne sanglante nicht zu, die 2018 an der Opéra-Comique erstmals seit der Uraufführungsserie von 1854 in der Opéra in der Salle Peletier, quasi ein paar Schritte um die Ecke der Opéra-Comique, wieder in Paris ihr Unwesen treibt. Immerhin geistert bereits im sonoren Moderato die weiße Frau über die Bühne, die von ihrem Geliebten verlassen wird und seither auf Rache sinnt, was das folgende Geschehen halbwegs plausibel erscheinen lässt. Der Treulose ist kein anderer als Graf Luddorf, der Vater der eigentlichen Hauptfigur Rodolphe. Wildes Kriegsgetümmel, Lederrocker, die sich im Zeitlupe bekämpfen oder zu stehenden Bildern arrangieren. Im Böhmen des 11. Jahrhunderts, wohin Scribe und sein Zulieferer Delavigne die Story nach The Bleeding Nun aus  M.G. Lewis Gothic Novel Ambrosio or the Monk (1796) versetzten, ist offenbar ewige Dunkelheit ausgebrochen.

Der vom Schauspiel kommende David Bobée, der sich 2016 in Caen erstmals an der Oper versuchte, hat das Operngrusical aus der Mitte des 19. Jahrhunderts in eine endzeitmäßige Gegenwart geholt, wofür er zusammen mit Aurélie Lemaignen zu den schwarzen Lederuniformen (Kostüme: Alain Blanchot) eine ebenso schwarze Szenerie aus Türmen und Säulen, teilweise halbhoch gekachelt und zu Kathedralräumen zusammengeschoben, mit Spielpodesten und Leuchtröhren erfand. Das wirkt alles irgendwie halbherzig, provinziell, öde und klein gedacht und wird durch die größtenteils nichtssagenden Videos auch nicht ansprechender. In dieser Düsternis steht Rodolphe in schweren Stulpenstiefeln, sehr umfangreicher Lederhose und Wams und kann, wie es eine Einblendung klarmacht, seinem Schicksal nicht entgehen. Es ist nämlich so: Die Grafen Luddorf und Moldaw sind seit langem verfeindet, um sie auszusöhnen, schlägt der Eremit Pierre vor, dass die Moldaw-Tochter Agnès den Luddorf-Sohn Théobald heiraten solle. Darüber besteht Einigkeit. Allerdings lieben sich Agnès und der Théobald-Bruder Rodolphe. Sie verabreden zu fliehen. Zu diesem Zweck soll sich Agnès verkleidet als Weiße Frau um Mitternacht einfinden. Tatsächlich erscheint die Weiße Frau, der Rodolphe sein Ja-Wort gibt: Er hätte gewarnt sein müssen, denn ihr Händchen war eiskalt. Nun ist es zu spät. Im blut besudelten Gewand, mit grau verfärbten Händen und leerem Blick weicht sie nicht mehr von seiner Seite. Die Toten kommen zum Bankett, Rodolphe ist an die Erscheinung gebunden, die den Tod jenes Unholds fordert, dessen Opfer sie wurde. Bei der Hochzeit mit Agnes – Théobald ist inzwischen gefallen – erscheint sie abermals und fordert das Leben von Rodolphes Vater. In höchstem Furor stürzt Rodolphe davon. Luddorf ist bereit, für seine Tat zu bezahlen, um Rodolphe vor den mörderischen Gegnern zu schützen. Abermals erscheint die Nonne, die sich jetzt gerächt sieht, und löst den Fluch von Rodolphe, der seiner Agnès folgen kann. Wie sein Vater der Nonne.

„La Nonne sanglante“ von Gounod an der Pariser Opéra-Comique/ Szene/ Foto wie auch oben Pierre Grosbois

Wer die Geschichte nicht kennt, geht im optischen Trübsal leer aus (wären da nicht die Über/Untertitel). Zugegeben, die Szene, in der  sich die Toten im einstigen Festsaal des Schlosses einfinden, hat was. Schlösser, Schlachtfelder, Ruinen, Hochzeiten – es gibt noch die Hochzeit zweier Dorfbewohner – alles das findet keine Entsprechung. Und Gounods Musik vermag die Hoffnungen auch nicht immer zu erfüllen. Sie ist erhaben und ernst, teilweise, so in den Ballettszenen, die hier nicht getanzt werden, fast ein bisschen frivol, doch immer voll melodischer Würde. Von geradezu religiöser Inbrunst erfüllt ist die Anfangsszene des Eremiten, die erkennen lässt, dass sich Gounod vor seiner Hinwendung zur Oper ausgiebig mit geistlicher Musik beschäftigt hatte; die musikalische Melange aus Religiösem und Profanen kehrt in Faust wieder. Rodolphes Duette mit Agnès haben einen Hauch grand opéra, die Finali sind wuchtig und dramatisch, das alles ist gekonnt und oft voll melodischer Grazie.

Agnès und die Weiße Frau haben keine eigene Arie, dafür Rodolphes Vertrauter Arthur, den Jodie Devos zur Freude aller mit einem knackigen, quecksilbrig forschen Hosenrollen-Sopran singt. Auch der alte Luddorf hat kurz vor seinem Ende eine eigene Szene, aus welcher der offenbar kurzfristig besetzte Nebenrollen-Bariton Jérome Boutillier wenig macht. Vannina Santoni ist eine damenhafte Agnès, die im fünften Akt mit Kraft und Pathos agiert, Marion Lebègue eine musikalische, mezzodüster dräuende Nonne, Jean Teitgen ein charaktervoll dröhnender Eremit. Die weiteren Partien sind klein und ordentlich besetzt. Das wäre rasch vergessen, wäre nicht Michael Spyres, der mit männlichem und süßem Timbre singt, Kraft für die machtvollen Anrufungen hat und Finesse für ein zartes Piano, bei dem das hohe C sicher sitzt, freilich (an diesem Abend) mit etwas gequetschtem Ton, der aber diese immens umfangreiche Partie – der gesamte zweite Akt gehört quasi ihm – wie ein Gesangslektion ausbreitet, an der auch der berühmte Uraufführungstenor Guéymard nichts zu mäkeln gefunden hatte. Die Arie „Un jour plus pur“ im dritten Akt war übrigens für Berlioz, der sich vor Gounod lange mit dem viel gescholtenen Libretto geplagt hatte, der Höhepunkt der Oper. Die von Berlioz vertonten Passagen wurden erst im Juli 2007 vom Orchestre National de Montpellier aufgeführt.

„La Nonne sanglante“ von Gounod an der Pariser Opéra-Comique/ Szene/ Foto Pierre Grosbois

Die Mischung aus schwarzer Romantik und Gothic Novel verbunden mit den Hinweisen auf Freischütz, Robert le diable – man denke an das Ballett der aus ihren Gräbern steigenden Nonnen – und die Dame blanche ist nicht uninteressant. Die Opulenz und den dramatischen Geist arbeitete Laurence Equibey, eher eine brave Chorleiterin denn eine souveräne Directrice, mit dem Insula Orchestra nicht hinreichend heraus, gewaltige Lautstärke verwechselte sie mit Leidenschaft. Der koproduzierende Palazzetto Bru Zane wird für die Aufnahme (für Naxos) noch etwas nachjustieren müssen. Der von Christophe Grapperon instruierte accentus Chor war ausgezeichnet. Wie stets.

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Die Osnabrücker Aufführung (cpo  2010) ist hier unbekannt. Beispielsweise heißt es in hauptstädtischem Selbstbewusstsein nur, dass die durchaus erfolgreiche und aufwendigst inszenierte Oper nach elf Aufführungen von der Bühne verschwand, „pour n’ être jamais reprise nulle part“. Und zum ersten Mal in der Neuzeit szenisch stimmt ja auch nicht. Angeblich wollte der damalige neue Directeur der Opéra einen solchen Mist („ordure“) nicht auf seiner Bühne sehen. Bereits 2008 war Die blutige Nonne, die bis dahin als unbekanntes Phantom durch die Literatur gegeistert war, wieder auf die Bühne gelangt. Osnabrück hatte sich, wie sich jetzt zeigt, mit der Aufführung von Gounods zweiter Oper gar nicht schlecht geschlagen (9. Juni 2018).   Rolf Fath

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Eine interessante Beobachtung macht der renommierte Musikwissenschaftler und Berlioz-Spezialist Hugh Macdonald im Vergleich der Nonne zu den Troyens:  In 1841 Berlioz composed at least the first act of a libretto by Eugène Scribe based on Matthew Lewis’s novel The Monk, but with little enthusiasm for the project from Scribe, and perhaps not from Berlioz either, the opera was never completed. Two Airs and a Duo survive in a manuscript at the Bibliothèque nationale de France, each preceded by recitative. The Duo is not complete, breaking off after nearly 400 bars of music. The libretto passed to Gounod, whose opera La Nonne sanglante, was played at the Opéra in 1854. From Gounod’s opera we have the words for the end of Berlioz’s duet, and these are so similar in rhyme and meter to the words of the duet for Cassandre and Chorèbe in Act I of Les Troyens, that it seems likely that the end of the duet in La Nonne sanglante was the same as the duet in Les Troyens. (…) Furthermore, the orchestration of both scenes is the same, with the four horns pitched in a combination of four different keys which is the same in both scores, and very unusual in Berlioz’s music. The situation in both operas is similar, Rodolphe pleading with Agnès to flee with him in La Nonne and Chorèbe pleading Cassandre to flee with him in Les Troyens. (…) Excerpts from Berlioz’s unfinished opera La Nonne sanglante were performed on 28 July 2007 as the closing concert of the 2007 Festival de Radio France and Montpellier Languedoc-Roussillon. The venue was Opéra Berlioz at Le Corum, Montpellier. Alain Altinoglu conducted the Orchestre national de Montpellier, with Cornelia Hunold, Frédéric Antoun, and Franck Ferrari as soloists. Among the pieces performed at the concert was the duo of Agnès and Rodolphe, completed for this performance by Hugh Macdonald. (…) Quelle: The Hector Berlioz website

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.