Eugen d’Alberts „Revolutionshochzeit“

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Eugen d’Albert ist heute nur noch – wenn überhaupt – durch seine Oper Tiefland bekannt, wenig gespielt, ein paar Mal aufgenommen und in Ausschnitten noch ab und zu im Radio gesendet. Das ist eine Ungerechtigkeit, denn d’Albert (Eugène Francis Charles d’Albert, kurz Eugen d’Albert (10. April 1864 in Glasgow –  3. März 1932 in Riga) zählte vor dem Kriege zu den am meisten gespielten Komponisten, schon wegen des Tieflands, das so gut wie alle großen Sänger im Repertoire hatten und das an jeder deutschsprachigen Bühne lief. Aber auch andere Opern von ihm, wie Die schwarze Orchidee oder Der Rubin/Der Stier von Toledo finden sich bis zum Krieg auf den Listen der beliebten Stücke. Und dann Schluss.

„Revolutionshochzeit“: Eugen d’Albert, um 1900/ Wikipedia

Es war da schon eine Sensation, dass das Theater Eisenach (nicht gerade die Met) 1994 mit d´Alberts Revolutionshochzeit herauskam, die älteren Kinogängern vielleicht noch wegen der zahlreichen Verfilmungen der Story oder wegen des Theaterstücks in Erinnerung war. Kurz nach der Wende machte sich also halb Berlin – ich auch – auf die Reise nach der Stadt an der Wartburg. Und Produktion (der Uraufführung in Leipzig 1919 nachempfunden) wie Wiedergabe rissen den Besucher vom Sitz. Die aufregenden Farben im Orchester, der gelungene Wechsel zwischen Parlando und großem Singen, die geschickte Anlage des Librettos und der ganze mitreißende Fluss des Dramas ließen erstaunen. Warum also wird diese Oper nie aufgeführt? Statt der x-ten Tosca oder Butterfly? Man rätselt. Um so wichtiger scheint uns als operalounge.de-Anwälte für das Besondere deshalb ein Artikel zur Oper von dem Mann, der dieses Wagnis in Eisenach einging, der Dirigent Harke de Roos, dem wir für das Nachstehende danken. G. H.

 

Nun also Harke de Roos: Was für ein ewiges Thema sind Liebesbeziehungen unter dem Schatten der vielen Unruhen in Europa – ob nun in moderner oder historischer Zeit ein vielbearbeitetes Sujet. Und was für ein allumfassender Europäer war doch Eugen d’Albert! Der Vater wohnte zeitlebens in Großbritannien, war aber ein Franzose italienischer Abstammung, der Großvater – und dies ist nicht ohne Interesse in Bezug auf die „Revolutionshochzeit“ – Napoleons Adjutant!

Nur scheint die väterliche Erbanlage für Eugen d’Albert bei weitem nicht so wichtig gewesen zu sein wie die deutsche Abstammung der Mutter: Bereits als junger Mann zog der immens begabte Eugen nach Thüringen (daher die erfolgreichen Bestrebungen, die Revolutionshochzeit am Landestheater Eisenach 1994 aufzuführen), um von dort aus die Eroberung des deutschen Kulturraumes anzustreben. Nirgendwo taucht in d’AIberts Biographie der Vater oder das Geburtsland Schottland je wieder auf, lediglich die für die Schotten sprichwörtliche Beziehung zum Geld scheint er im Reisegepäck behalten zu haben. Die „Wahlväter“, die geistigen Vorbilder, waren Liszt und Wagner; Nachfolger von beiden wollte er in einem werden. Hätte er sich auf eine der beiden Ambitionen beschränkt, so wäre sein Erfolg gewiss dauerhafter geblieben. Immerhin galt er um die Jahrhundertwende als der weltbeste Konzertpianist und der legitime Nachfolger des legendären Liszt. Zwanzig Jahre später war dieser Führungsanspruch stark umstritten, aber zu diesem Zeitpunkt wurde er von mehreren Kritikern als der bedeutendste deutschsprachige Opernkomponist betrachtet. Damit trieben diese d’Albert förmlich in den Ring zum Zweikampf mit Richard Strauss, der für sich die Führungsrolle beanspruchte und keinen Rivalen neben sich duldete.

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„Revolutionshochzeit“: Szene aus der Aufführung in Eisenach 1994/ Foto Theater Eisenach

Rivalen: Es war von vornherein ein ungleicher Wettstreit. Zwar hat Strauss nicht mehr Opern als d’Albert komponiert, und ebenso wenig hatten diese, wie beim Kontrahenten, alle die gleiche Qualität. Jedoch war Strauss im Großen und Ganzen stilsicherer als d’Albert, er verfügte über die besseren Librettisten, und seine Orchestrationskunst konnte von niemandem übertroffen werden. Überdies war Strauss, der waschechte Deutsche, schottischer noch als die schottischsten Schotten, ein „Industrieritter“, wie Gustav Mahler zu sagen pflegte, denn er verstand sich bestens auf den Verkauf und Vertrieb seiner Kompositionen. Ein außerordentlich stabiles Eheleben unterstützte den Wirkungskreis seiner musikalischen Tätigkeiten. dagegen immer auf’s neue durch zwei gewaltige Kräfte in Frage gestellt, und zwar durch die eigene faszinierende Wirkung auf Frauen sowie die Anziehungskraft, welche die Frauen auf ihn ausübten. Zu jedem Zeitpunkt konnte es passieren, daß eine neue Liebe wie eine Naturkatastrophe in seinen Lebenslauf einbrach und sein bisheriges Dasein bis auf die Grundfesten zerrüttete. Langjährige Freundschaften, wertvolle Geschäftsverbindungen und das überaus geliebte Geld wurden bei Ausbruch dieser Naturgewalten ebenso in Mitleidenschaft gezogen wie d’Alberts Ansehen in der Öffentlichkeit. An der Seite der achten Gefährtin starb er 68jährig in Riga an den Folgen der Aufregung über die misslungene Scheidung von hn der sechsten, ein unwürdiges Ende eines Lebens, das im Zeichen

„Revolutionshochzeit“: Szene aus der Uraufführung in Leipzig 1919/ Foto Sammlung HDR

der Musik gestanden hatte.

Vermächtnis: Kurz vor seinem Tod hatte d’Albert, der um sein Scheitern wusste und schwer darunter litt, seine Partituren der Berliner Akademie der Künste vermacht mit der dringenden Bitte, sich für seine vernachlässigten Geisteskinder einzusetzen. Bis heute sind sie dort nicht angekommen. Im erschütternden Testament erklärt er, dass er nur Richard Strauss für kompetent hält, den Wert seiner Opern richtig zu erkennen und deren Pflege fachgerecht zu übernehmen. Dennoch sollte man „den nicht bemühen“, was wohl als Kapitulationserklärung angesichts des Rivalen aufzufassen ist, vor dem Mann, der ihm einst, aus Anlass der Uraufführung von d’Alberts erster Oper (Der Rubin) geschrieben hatte: „Opern“ schreiben ist nicht schwer, sie aufzuführen dagegen sehr! “

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Verborgene Stärken: Die vergessenen Opern brauchen den Vergleich mit dem Opernschaffen des siegenden Rivalen keineswegs zu scheuen, und dabei wollen wir den Rang von Richard Strauss mitnichten abstreiten. Gerade in den vermeintlichen Schwächen d’Alberts stecken verborgene Stärken. Richtig ist, daß d’AIbert sich ungenierter als Strauss der Einfälle anderer Komponisten bediente, nur wäre es verfehlt anzunehmen, dies wäre die Folge mangelnder Persönlichkeit. Die Kraft und Eigenart d’AIberts liegen gerade in seiner Gabe, sich in die Haut anderer versetzen zu können, in seiner Bereitschaft, auf die Sprache der Mitmenschen einzugehen und überhaupt im Offensein für tausendundeinen Einfluss.

Kein zweiter deutscher Komponist fand auf solch leichte Art Zugang zur spanischen Folklore (Der Stier von Olivera zu den bretonischen Volksweisen Liebesketten, zum Jazz (Die schwarze Orchidee) oder zum französischen Impressionismus (wie zum Beispiel in der Hommage an Ravel, der Aschenputtel-Suite). Auch in der Revolutionshochzeit trifft man auf liebevolle Anklänge an das Oeuvre von Wagner, Puccini, Tschaikowsky und Humperdinck, welche eine entwaffnende Naivität verraten. Jedoch fehlt es nicht an der eigenen unverwechselbaren Handschrift, wie wir sie aus dem Tiefland kennen.

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„Revolutionshochzeit“: Fritz Kortner in der Verfilmung der Vorlage 1938/ OBA

Musikalische Malereien: Bei der Behandlung der Orchesterinstrumente steht ihm oft sein eigenes glänzendes pianistisches Können im Wege, nur ist dies eher ein spieltechnisches denn ein musikalisches Problem. Natürlich wird die vielfältige Palette des spätromantischen Orchesterapparates auch von ihm voll ausgeschöpft. Allerdings ist er in der Behandlung der Gesangsstimmen „italienischer“ als Strauss: Sorgfältiger als sein übermächtiger Rivale achtet er darauf, dass die Orchesterinstrumente die gesungenen Linien nicht überdecken. Wie im Schaffen von Strauss gibt es in der Revolutionshochzeit eine reichhaltige Abwechslung von äußerlich-theatralischen Effekten und verinnerlichten Passagen. Auf großartige Weise werden die Protagonisten in Tönen geschildert. Der in Etiketten erstarrte Adlige wird von einer Auslese an Menuetten charakterisiert, die ihresgleichen in der Opernliteratursucht. D’Albert zeigt Sympathie für den oberflächlichen Marquis, der gerade durch seine Oberflächlichkeit der tödlichen Gefahr entkommt, und schenkt ihm, als er seinen Abschiedsbrief an die Mutter schreibt, eine wunderbare, mitleidsvolle Musik. Aber auch Marc-Arron, der Revolutionär bäuerlicher Herkunft, bekommt eine eigene, außerordentlich warme Begleitung im Orchester. Unübertroffen das Tongemälde für die weibliche Hauptperson, die zum ersten Mal in ihrem Leben mit der Liebe konfrontiert wird, was sie in die Katastrophe treibt. Hier wird der Frauenkenner zum Großmeister der musikalischen Charakterisierungskunst.

Von ganz besonderer Art ist das gewaltige Vorspiel zum dritten Akt. Die Liebesnacht erscheint hier nicht so sehr sinnlich-irdisch als eher sublimiert und mit einem Hauch von Mythologie. Auch die Form stimmt: Auf kluge Weise sind die Motive miteinander verbunden und tragen zur architektonischen Einheit des Ganzen bei. Die Harmonik der Oper setzt die Chromatik von den Strauss-0pern Salome und Elektra fort, vermeidet jedoch jede Atonalität. Die allergrößte Stärke des Werkes liegt zweifellos in der Schilderung des Seelendramas: Die Musik folgt den Stimmungen auf dem Fuß ist stürmisch, verklärt melancholisch, gewalttätig, leidenschaftlich liebend, erfasst all das, was große Musik auszudrücken hat: die wechselnden Geschicke der menschlichen Seele und die schlüssige Erzählung ihrer Leidensgeschichte. Harke de Roos

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„Revolutionshochzeit“: Hans Lissmann sang 1919 in der Uraufführung/ Foto Krugmann

Der Librettist Ferdinand Lion (11. August 1883 in Mülhausen/Elsass21. Januar 1965 in Kilchberg (bei Zürich): Lion studierte in Straßburg, München und Heidelberg Geschichte und Philosophie. In Paris, wo er sich mit Andre Gide befreundete, begann er seine schriftstellerische Laufbahn und war während des 1. Weltkrieges auch als Journalist tätig. 1917 lernte er in München Thomas Mann kennen und wurde ein Freund der Familie. Nach Kriegsende blieb er in Deutschland. In Frankreich hatte ihn der Verdacht, Leitartikler der deutschfreundlichen „Gazette des Ardennes“ gewesen zu sein, für kurze Zeit ins Gefängnis gebracht. Lion wurde Lektor im Berliner Verlagshaus  Ulllstein und lernte spätestens zu dieser Zeit Alfred Döblin kennen. Aus Deutschland wurde der Jude Lion 1933 vertrieben, worauf er in die Schweiz emigrierte, zunächst nach Zürich. Doch auch dort blieb er nicht lange. In einem Nachruf auf ihn heißt es: ,,Er besaß einen Koffer als einzigen Hausrat. Er reiste nicht ab, er verschwand, und er kam nicht an, er tauchte wieder auf“. Lion hat sich einem historischen Zugriff seiner Person gegenüber weitgehend zu entziehen vermocht und in seinem \Verk dafür ein geradezu universalistisches Spektrum an Veröffentlichungen hinterlassen. Er war sowohl Dichter als auch Literaturwissenschaftler, Historiker, Staatsdenker und Philosoph. Neben den Libretti für Eugen d’Alberts Opern Revolutionshochzeit und Der Golem stammt von ihm auch das Libretto für Paul Hindemiths Oper Cardillac. Darüber hinaus verfasste Lion in den zwanziger Jahren auch Lustspiele. Seine Komödie Zwischen Indien und Amerika war im Berliner Theater am Schiffbauerdamm angenommen und einstudiert, als einen Monat zuvor für dreißig Aufführungen das Stück eines jungen Augsburgers gezeigt wurde. Es hieß Die Dreigroschenoper, sein Autor Bertolt Brecht, und dessen Erfolg überrollte das angesetzte Lustspiel. Der Komödienschreiber trat darauf zugunsten des Essayisten Lion zurück. Letzterer schrieb unter anderem literaturwissenschaftliche und politische Abhandlungen und Biographien über seinen Freund Thomas Mann. Kathrin Singer

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„Revolutionshochzeit“: Gösta Ekman spielte 1928 in der schwedischen Verfilmung von „Revolutionsbröllup“/ Künstlerpostkarte/  Terra Film/ Sammlung HDR

Die Volage von Sophus Michaelis (14. Mai 1865 in Odense/Dänemark28. Januar 1932 in Kopenhagen). Sein Vater war deutsch, seine Mutter spanischer Abstammung. 1884 begann Michaelis ein Studium in Odense mit Französisch als Hauptfach. Der Musik- und Theaterbegeisterte hatte seine ersten Erfolge und künstlerisch eigenständigen Leistungen auf dem Gebiet der Lyrik; seinen Romanen, vor allem aber seinen wenigen Schauspielen, wird von der Literaturkritik daher gewöhnlich nicht ganz zu Recht nur un te rgeordn ete Bedeutung beigemessen. Seinen größten und weit über die Grenzen Dänemarks hinausreichenden Publikumserfolg verdankt der Autor dennoch letztlich einem Drama, nämlich der Revolutionshochzeit (Revolutionsbryllup, 1906). Es wurde im Verlauf von wenigen Jahren in sechs Sprachen übersetzt und mehrfach verfilmt (1909 dänisch, 1912 deutsch, 1915 dänischer Tonfilm, 1928 deutscher Tonfilm als Die große Liebe/A. W. Sandberg mit Gösta Ekberg, 1938 deutscher Tonfilm mit Brigitte Horney). Dazu kamen viele Aufführungen des Stückes auch in Deutschland, so am Berliner Komödienhaus. Die Uraufführung der Oper war am 26. Oktober 1919 am Neuen Stadttheater Leipzig.  Sophus Michaelis wirkte von 1896 bis 1898 als Redakteur und veröffentlichte Kritiken zu Literatur, Kunst, Musik und Theater. 1915 übernahm er die Leitung des dänischen Schriftstellerverbandes. Michaelis machte sich auch als Übersetzer einen Namen, so übertrug er vor allem Werke Goethes, Flauberts (Salammbo) und Eschenbachs (Parzival) ins Dänische. Seinen literarischen Durchbruch erreichte er mit seinem Gedichtband Sonnenblumen. Aufenthalte im Ausland, so in Ägypten, Amerika, Japan und China, beeinflussten sein lyrisches Schaffen. Außerdem vermochte er es, ,,in Wörter zu malen“ – Michaelis ließ sich von den Bildern berühmter Maler wie Rembrandt, Tizian, Verocchio und des dänischen Künstlers Vilhelm Hammershold zu Gedichten inspirieren. Kathrin Singer

 

Der Dirigent, Autor und Musikwissenschaftler Harke de Roos, Autor des Artikels/ Foto Harke de Roos

(Die obenstehenden Texte entnahmen wir mit Dank an Harke de Roos und an Kathrin Singer mit kleinen Änderungen dem Programmheft zur modernen und bislang einzigen (Erst-)Aufführung des Werkes am Theater Eisenach 1994, die damals von der Initiative des dortigen musikalischen Leiters, des Dirigenten Harke de Roos, getragen wurde, der seinen Artikel  ebendort veröffentlichte. Die Revolutionshochzeit wurde in Eisenach 1994 mit Ingeborg Zwitzsers, Kai Konrad, Thomas Enders, Günther Köbrich sowie Jeanette Ender/ Sonja Müller unter Harke de Roos‘ Leitung in der Produktion von Andreas Basler aufgeführt. In der Leipziger Uraufführung 1919 sangen unter der musikalischen Leitung von Otto Loose Aline Sanden, Hans Lißmann, Rudolf Jäger, Walter Soomer u. a.; musikalische Dokumente sind von dieser Oper m. W. nicht existent; Harke de Roos lebt heute in Graz und kann auf eine lange und erfolgreiche Karriere zurückblicken. Zur Handlung und zum Komponisten gibt es Artikel bei Wikipedia, zu Harke de Roos s. seine website. Abbildung oben: „Französische Revolution“ von Jose Pimentel-Vazque. G. H.)

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.