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Giulietta e Romèo des in Wagners Todesjahr 1883 geborenen Komponisten Riccardo Zandonai ist eine sehr freie Bearbeitung des alten tragischen Stoffes von Liebesleid und Liebesglück. Frei „nach Shakespeare“ steht denn auch auf dem Titelblatt der Partitur. Der Librettist Arturo Rossato hat in drei Akten Figuren und Szenen Shakespeares grosszügig weggelassen und hinzuerfunden. Gleich geblieben ist der Plot, wie auch in den vielen anderen Bearbeitungen, von Benda über Bellini bis zu Leonard Bernstein: Boy meets Girl, die Familien sind verfeindet, die Beziehung ist unmöglich, man liebt sich trotzdem heimlich, wird entdeckt und dann nimmt die Tragödie ihren Lauf bis hin zum Scheintod Julias und dem Selbstmord Romèos… Die Oper Zandonais wurde 1922 in Rom uraufgeführt, mit grossem Erfolg, wenn auch nicht ganz so grossem wie Zandonais Welterfolg Francesca da Rimini. Das Stück wurde überall nachgespielt, es galt als Repräsenrationsstück der italienischen Opernkunst jener Generation von Komponisten, die um 1880 geboren wurden, und die sich von Verdi und Puccini, aber von Wagners übergrossem Einfluss absetzen wollten. Dazu zählten auch Komponisten wie Casella, Alfano, Pizzetti und Respighi. Ähnlich wie letzterer klingt auch Zandonai, es ist eine mit allen Wassern jener Zeit gewaschene, klangsinnlich rauschhafte Musik, die zwischen Wagner, Richard Strauss und Claude Debussy angesiedelt ist, spätromantisch, archaisierend, gewaltig um nicht zu sagen überwältigend. In Deutschland ist das Stück nur selten inszeniert worden, 1927 in Mainz und Anfang der Vierzigerjahre in Nürnberg und Hannover, dann gab es zwei Gastspiele aus Rom 1941 (in Berlin) und vom Teatro Comunale Verona 1986 bei den Wiesbadener Maifestspielen. Die Neuinszenierung am ausgrabungsfreudigen Theater Erfurt ist seit 1942 die erste szenische Wiederbelebung des Stücks hierzulande, worauf man natürlich sehr gespannt war. (Unmittelbar darauf gibt es Ende April 2017 dasselbe Werk am Staatstheater Braunschweig – auch hier folgt ein Bericht. Zur Oper selbst s. den ausführlichen Artikel in operalounge.de./ G. H.)

„Giulietta e Romèo“ am Theater Erfurt/ Szene/ Foto Lutz Edelhoff
Der ErfurterHausherr Guy Montavon hat das Stück weder topographisch, noch zeitlich korrekt angesiedelt. Kein mittelalterliches Verona und Mantua auf der Bühne, sondern eine prachtvoll gebaute, symbolschwangere Traumlandschaft, die Francesco Calcagnini entworfen hat. Eine grosse Uhr ohne Zeiger deutet schon an: Es geht hier nicht um historische, reale Zeit. Guy Montavon zeigt eher Szenen und wirft Schlaglichter auf Stationen und Momente aus dem Leben des Komponisten Zandonai. In den ersten beiden Akten werden Romeo und Julia als Schüler eines Internats um 1900 gezeigt. Wobei es recht heftig und deftig zugeht in Bibliothek und Schafsal dieses Internats. Der letzte Akt des zweieinhalbstündigen Stücks spielt dann um 1940. Frauke Lange hat das grosse Ensemble und den Chor in zeittypische, zauberhafte Kostüme gesteckt. Es ist ziemlich was los auf der Erfurter Bühne, es geht turbulent zu, es gibt keine Minute Leerlauf, Montavon nutzt die enorme Energie der Musik zu vitalem Theater. Seine Regie ist handwerklich virtuos. Im gewaltigen Orchesterzwischenspiel des letzten Aktes, das den inneren Sturm Romeos auf dem Weg zu seiner vermeintlich verstorbenen Julia ausmalt, ein Intermezzo, das von einigen Musikologen als Musterbeispiel faschistischer Musik bezeichnet wird, zeigt Montavon auf dem Zwischenvorhang Kriegsfilme mit Flugzeugangriffen, Bombenabwürfen, zerstörten Städten und Aufnahmen des Duce, also Mussolinis, womit er nicht ohne Grund die enge Verflechtung des Komponisten mit dem italienischen Faschismus andeutet. Eine martialische Szene, die dann in eine geradezu halluzinierende Schlussvision mündet, in der Romeo sich die Pulsadern öffnet und Julia auf symbolischer Liebesbrücke, es muss ja nicht immer der klassische Balkon sein, in einem Blumenmeer dem Liebestod entgegengeht. Eine starke, bildkräftige, surreale Inszenierung.

„Giulietta e Romèo“ am Theater Erfurt/ Szene/ Foto Lutz Edelhoff
Im Erfurter Graben stand Myrion Michailidis, der Operndirektor der Staatsoper in Athen, am Pult. Seine dirigentische Opernausgrabung überzeugt nicht nur, sie überrumpelt, denn die raffiniert instrumentierte, stark parfümierte, klangsinnliche Musik Zandonais, die voller pseudomittelalterlicher, aber eben auch impressionistischer Klänge ist, kann nicht anders als ein Klangrausch genannt werden, dessen Sog man sich kaum entziehen kann. Myrion Michailidis kostet ihn voll aus, er entfaltet ungeniert die Reize und Sensationen dieser Musik, das Orchester spielt tadellos. Ein grosser Abend musikalisch! Sängerisch darf man geradzu von einem Fest sprechen, denn das Ensemble, das man aufbietet, lässt kaum einen Wunsch offen. Lauter erstklassige Sänger, die sich auf der Erfurter Bühne einfinden, sie müssten sich auch auf Metropolenbühnen nicht verstecken. Allen voran die litauische Sopranistin Jomante Šlezaite als Julia und der ukrainische Tenor Eduard Martynyuk als Romeo. Ein Traumpaar, sängerisch wie optisch, aber auch so kleine Partien wie der „Sänger“, den der koreanische Tenor Won Whi Choi zum besten gibt, sind fabelhaft besetzt. Er möge für die vielen stehen, die man hier nur erwähnen kann: Margarethe Fredheim, Siyabulela Ntale, Paul Kroeger, Chao Denk, Jan Rouwen Hendriks, Reinhold Becker, Nicole Enssle, Vazgen Ghazarian und weitere. Eine exzellente Aufführung, die man gesehen und gehört haben muss! (Foto oben:“Giulietta e Romèo“ am Theater Erfurt/ Szene/ Foto Lutz Edelhoff) Dieter David Scholz
In der zweiten Hälfte der laufenden Spielzeit des Staatstheaters Braunschweig hat der scheidende Operndirektor Philipp Kochheim nach Atterbergs „Aladin“ noch einmal tief in die Raritätenkiste gefasst und die Giulietta e Romèo-Vertonung von Riccardo Zandonai herausgeholt. Was er wohl nicht ahnen konnte, dass ihm das ebenfalls ausgrabungsfreudige Theater Erfurt um zwei Wochen zuvorgekommen ist und die berühmteste Liebesgeschichte der Weltliteratur in einer in den 2. Weltkrieg verlegten Fassung vorgelegt hat.

„Giulietta e Romèo“ von Zandonai in Braunschweig/ Foto Volker Beinhorn
Philipp Kochheim hat die Liebesgeschichte in die Entstehungszeit der Oper verlegt, genauer in die Schrecknisse des 1. Weltkriegs, was durch spektakuläre Bühnenbilder (Thomas Gruber) deutlich gemacht wird; außerdem bleibt bei seinem letztlich überzeugenden Konzept offen, ob sie nur Einbildung und Traumvision des tödlich verletzten Romeo ist. Dies zeigt sich am Schluss des ersten Bildes, ein waffenstarrender Schützengraben, wenn Romeo im Kampf mit den Capulets verletzt und von Giulietta in Schwesterntracht behandelt wird: Ein geheimnisvoller Mann in einer Art Zaubermantel (im Libretto der Nachtwächter) verstellt die überdimensionale Uhr im Hintergrund und richtet ein großes Brennglas auf die Liebenden, Giulietta jetzt im Blümchenkleid. Im Folgenden scheinen die Bilder des Traums immer wieder mit denen der Wirklichkeit ineinander zu fließen, besonders augenfällig in der großen bunten Szene zu Beginn des 3. Aktes, wenn Erinnerungsfetzen aus Romeos Kindheit und bizarr gekleidete Personen (Kostüme: Mathilde Grebot) zu sehen sind. Ganz am Schluss wird ein nüchternes Krankenzimmer herabgelassen, wo Romeo bei seinen letzten Worten von der wieder als Krankenschwester auftretenden Giulietta versorgt wird und Tebaldo als behandelndem Arzt signalisiert wird, dass Romeo gestorben ist – da bekommt dann doch alles Vorangehende seinen Sinn als Traumvision.
Tragende Säule des spannenden Opernabends war das stark beschäftigte Staatsorchester, das sich von seiner besten Seite zeigte. Man begann etwas verspätet, was daran lag, dass die Harfenistin auf dem Weg zur Vorstellung in einen Verkehrsunfall verwickelt war und nun eine Korrepetitorin am Keyboard einspringen musste und so den Abend rettete. Florian Ludwig, noch GMD in Hagen, sorgte mit präzisem und zugleich anfeuerndem Dirigat dafür, dass das impressionistische Flimmern, die düstere Spannung erzeugenden Chromatik-Passagen und die ausgeprägte Expressivität der Musik Zandonais wirkungsvoll zur Geltung kamen. Genauso kostete er die besonders in den Liebesszenen vorherrschenden einschmeichelnden Lyrismen und weit ausschwingende Melodiebögen aus. Instrumentaler Glanzpunkt des Abends war Romeos Sturmritt, das hoch emotionale Intermezzo im 3.Akt.
Stimmlich hörte man viel Gutes, angefangen mit Tanja Christine Kuhn als ansehnliche Giulietta. Sie verfügt über einen durchschlagskräftigen, durch alle Lagen ausgeglichen geführten Sopran, der in den Höhen schön aufblühte. Die junge Sängerin wird allerdings darauf achten müssen, nicht zu schnell größere Partien in Angriff zu nehmen, denn manche Höhen klangen bei aller Klarheit etwas herausgefordert. Ihr Romeo war mit schlankem, intonationssicherem Tenor Michael Pflumm, der leider an manchen Stellen vom überbordenden Orchesterklang zugedeckt wurde. Der helle, markante Bariton von Raymond Ayers passte gut zu dem aufbrausenden Tebaldo, der meinte, seine Kusine kämpferisch beschützen zu müssen. Erneut gefiel Ekaterina Kudryavtseva mit ihrem volltimbrierten Sopran als Isabella. Der Straßensänger war Michael Ha, der seinen charakteristischen Tenor angenehm zurückzuhalten wusste, so dass ihm das dramaturgisch wichtige Lied geradezu anrührend gelang. In zahlreichen kleineren Rollen bewährte sich das Braunschweiger Opern-Ensemble ebenso wie kompetente Chorsolisten.
Einen guten Eindruck hinterließen diesmal mit ausgewogenem, starkem Klang Chor und Herren-Extrachor (Georg Menskes). Das Abonnementspublikum war zu Recht begeistert und bedankte sich bei allen Mitwirkenden mit lang anhaltendem Applaus. Gerhard Eckels
Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.