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So geht es natürlich auch: Bevor in aller Umständlichkeit die absehbare Geschichte der zur Keuschheit verpflichtete Priesterin Idalide, die sich in den spanischen Eroberer Enrico verliebte, aufgedröselt wird, greife man zu einem publikumswirksamen Fernseh-Format. „Schuld oder Schicksal“ heißt die Show, hinter der das Theater Rudolstadt seine Cherubini-Wiederentdeckung versteckt und im schmucken Saalfeld präsentiert, wo es seit rund hundert Jahren eine Dependance im Meininger Hof unterhält. Ein launiger Moderator eilt auf die Bühne und stellt dem Publikum die Teilnehmer seiner Sendung vor: Enrico „28 Jahre, Portugiese, Absolvent der Marineschule, Militärberater“, heißt es in der Einblendung kurz und fasslich. Idalide „18 Jahre, Geheimnisträgerin, Beauftragte des Sonnenministeriums“, das Vertragsbrüchigkeit mit der Todesstrafe verfolgt. Der Trick, dermaßen lässig in die Opera seria einzuführen, die Ferdinando Moretti nach dem Abenteuerroman Les Incas ou La Destruction de l’empire du Pérou von Jean-François Marmontel erstellte, kaschiert geschickt eine Notlage. Von Luigi Cherubinis früher Oper Idalide o La vergine del sole sind schlichtweg die Musik der Rezitative und der Schlusschor des dritten Aktes verlorengegangen.
Viktor Vysotzki macht aus der Not eine Tugend und bringt durch den Moderator das Stück auf Touren, treibt es sozusagen voran, wenngleich die Inszenierung nach der ausführlichen Vorstellung des Personals – dazu gehören noch die als Promi auf ihre Auftrittsfanfaren bestehende Generalissima und Präsidentin des Sonnenstaates Ataliba und deren Schwester Alciloe, die nicht nur Oberkommandantin der südlichen Streitkräfte, sondern auch Topmodell ist – ihr Pulver rasch verschossen hat. Mit eingeblendeten Breaking News und Berichten über einen Vulkanausbruch (gemeint war ursprünglich jener von Lissabon 1755) samt Hinweisen auf Spendenkonto wird die Idee einer brandaktuellen TV-Sendung mühsam lebendig gehalten. Am Ende ist der Zuschauer enttäuscht. Der Moderator gesteht, er wisse nicht, wie es ausgeht, lässt Ataliba Gnade walten oder muss Idalide für ihren Treubruch sterben? Das Libretto weise auf einen glücklichen Ausgang hin. In Saalfeld bleibt es offen. Die Frage wird auch eine weitere Folge der Show nicht beantworten, denn schwerlich will man glauben, dass sich eine weitere Bühne auf Idalide einlässt. Selbstverständlich gehört sie in die Gesamtausgabe der Werke Cherubinis, deren Verantwortliche, der Verlag Boosey & Hawkes und die Weimarer Musikwissenschaftlerin Helen Geyer, für den Praxistest am lebenden Objekt auf Rudolstadt verfielen. Doch wer wird das nachspielen und die seit 235 Jahren so vortrefflich schlummernde peruanische Priesterin Idalide neuerlich wachküssen? Immerhin hat es uns nach Saalfeld gebracht.

Cherubinis „Idalide“ am Theater Rudolstadt/Saalfeld/ Szene/ Foto woe oben Lisa Stern
Cherubinis erster großer Erfolg war 1783 in Venedig das dramma giocoso Lo sposo di tre e marito di nessuna, das ihm den Auftrag für die im Folgejahr in seiner Geburtsstadt Florenz aufgeführte ernste Oper Idalide bescherte. Idalide ist Dutzendware wie die Form der Fernsehshows, in deren Rahmen ihr die Produktion des Theaters Rudolstadt mit dezent eingesetzten historischen Accessoires, Projektionen von kultischen Objekten und der Eilfertigkeit der Medien Aktualität einhauchen will. Erst ab der Mitte des zweiten Aktes ist in zarten Dosen etwas von den Funken zu ahnen, die Cherubini später in Paris entfachen wird.
Hier zeigt sich in den ausformulierten und mit Orchestervorspielen verklammerten Arien die Tendenz zu dramatischen Großform, wie sie Cherubini später zu einem seiner Markenzeichen erhebt. Mit Accompagnato und Arie von Idalides Vater Palmoro Attendi un sol momento wird Idalide zum Drama, steigert es sich mit dem herrlichen Terzett am Ende des 2. Aktes (E sì fedele amore) und findet im dritten Akt, wo sich der Marsch der zur Hinrichtung geführten Idalide mit den begleitenden Rezitativen und Ariosi eng verbindet, zu einer wirkungsvollen dramatischen Formel.
Cherubini hat so eloquent komponiert, als habe er die Besetzung mit fünf jungen Sängerinnen im Kopf gehabt (in Florenz waren freilich zwei der Figuren mit Kastraten besetzt), die aus ihren blassen Vorlagen im Lauf der Aufführung so etwas wie Menschen formen, weil ihnen der Maestro ausgepichte Bravourarie zuteilte, so der verstockte Enrico von Lena Spohn, die in Ma pria ch’ un empia mano lodernde Intensität aufbringt, und Josefine Göhmann, deren heller Mezzosopran in den Klagen des Palmoro außerordentliche Reichweite erzielt. Auch Katherina Borsch als mozartisch innige Idalide, Martha Jordan als furioser Ataliba und Daria Kalinina als höhenstarkes Girlie Alciloe wuchsen mit ihren Aufgaben. Bereits in der den Idealen der Wiener Klassik verpflichteten Ouvertüre ließen Oliver Weder und die Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt erkennen, dass sie auch für die komplette Oper gut aufgestellt wären (15. März 2019). Rolf Fath
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