„Hätte ich nicht Hofmannsthal gefunden, so hätte ich gern mit Levetzow gearbeitet“, soll sich Richard Strauss über den mährischen Freiherrn Karl Michael von Levetzow geäußert haben. Der Urgroßneffe von Goethes Marienbader Muse Ulrike hatte Strauss offenbar das Textbuch zu Die heilige Ente angeboten, das er zusammen mit Leo Feld gemacht hatte. Strauss, der sich sehr viel später in Des Esels Schatten mit einem anderen Tier beschäftigte, musste die Ente flattern lassen, wobei ihn vielleicht das Uneindeutige und Vieldeutige der Handlung gereizt hätte. Die heilige Ente wurde, 1923 unter Georg Szell in Düsseldorf uraufgeführt, der erste große Erfolg Hans Gáls. Drei Jahre später folgte in Breslau, ebenfalls mit einem Text Levetzows, Das Lied der Nacht, dessen Wiederaufführung nach fast 90 Jahren 2017 in Osnabrück Gál wieder ins Bewusstsein der Opernwelt rückte. Durch diese Ausgrabung der Saison wurde Gál, der manchen durch seine Komponisten-Biografien ein Begriff war – sein „Verdi“ befindet sich nach wie vor im Verlagssortiment – als wichtigen Vertreter einer bestimmten Richtung der Oper der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts entdeckt:
Die heilige Ente bildet so etwas wie das heitere Gegenstück zur „Dramatischen Ballade“ Das Lied der Nacht, zieht aber keine Grenze zwischen Komik und Tragik, was keinesfalls schlimm ist, doch scheinen sich mir Musik und Text in der im 12. Jahrhundert auf Sizilien spielenden Turandot-Paraphrase – auch an Das Wunder der Heliane kann man denken – im Lied der Nacht besser zu ergänzen und zu durchdringen als in der Ente. Auch „Das Spiel mit Göttern und Menschen“, so der Untertitel der Ente, ist ein verklausuliertes Märchen, dessen chinesische Handlung weniger mit den italienischen Oper-Chinoiserien als mit einer bis Brecht reichenden Linie exotischer Parabelstücke zu tun hat.
Die Ente soll auf dem Tisch des Mandarins landen, weshalb sie offenbar als „heilig“ bezeichnet wird. Doch dazu kommt es nie. Denn als der Kuli Yang in den abgesperrten Bezirk des Hofes gelangt, wird er durch Li, die den goldenen Gitterstäben des Palasts entkommene Frau des Mandarin, abgelenkt und lässt das Federvieh entkommen. Ein Gaukler bringt die Ente in seine Gewalt, so dass Yang mit leeren Händen vor dem Haushofmeister steht, als er die „Wohlgenährte, Baldverklärte“ abliefern soll. Zur Strafe wird er zum Tode verurteilt. Noch eine letzte geheiligte Nacht kann Li für ihn erwirken. Die Götter sorgen dafür, dass nicht nur die Opiumpfeife für Vergessen sorgt, sondern vertauschen zusätzlich die Köpfe und Identitäten: der Kuli wird zum Mandarin, der Bonze zum Gaukler. Erst als der mit den Machtbefugnissen des Mandarin ausgestattete Yang gegen Recht und Ordnung vorgeht und auch die Götter abschaffen will, hat der Spaß der Götter ein Ende. Im Lauf des sonderbaren chinesischen Sommernachtstraums erwacht die Liebe des Mandarins, der sich durchaus Lis Treubruch bewusst ist, zu seiner Frau. Das Foto, mit dem der Gaukler den Mandarin erpressen will, zerreißt er großherzig.

Hans Gals Oper „Die heilige Ente“ am Theater Heidelberg/ Szene/ Foto wie auch oben Susanne Reichardt
Hinter den teils lapidaren, teils poetischen Versen („Tausend Falten hat der Menschen Herz“) darf man zeitkritische Töne erahnen, denn Levetzow war auch an Ernst von Wolzogens Überbrettl tätig. Von kabarettistischer Leichtigkeit und Esprit in der Musik keine Spur. Überbordende Komik ist Gáls Sache nicht. Reznicek, der in Benzin ein Calderón-Motiv aufnahm – Die heilige Ente bedient sich bei Calerdóns Das Leben ein Traum wie bei Shakespeares Sly – oder Krenek haben die Probleme einer modernen komischen Oper überzeugender gelöst. Gáls war irgendwie aus der Zeit gefallen, womit seine Tochter Eva Fox-Gál die lange Nichtbeachtung erklärt, „Gáls Musik ist so verwurzelt in der deutsch-österreichischen Tradition, und ist so geblieben, und wenn man so lange lebt, wie er, dann wurde es mehr und mehr anachronistisch, die Leute haben auf das Datum geschaut und das wurde dann unmöglicher und unmöglicher“.
Die Musik des 1933 mit Aufführungs- und Berufsverbot belegten Hans Gál, der sich in Wien ein paar Jahre durchschlug, bevor er nach dem Anschluss Österreichs nach England ging, lief nie den Moden der 1920er Jahre hinterher, wenngleich in den nach Wagner-Pomp klingenden Chören auch der Songstil der Zeit zu spüren ist, doch der ausgeprägte Individualstil zeichnet sich vor allem durch die Ökonomie der Orchesterbehandlung und kammermusikalische Feinmaschigkeit, Formbewusstsein und Farbigkeit aus. Hinzu kommt in den Begegnungen Lis und Yangs ein exzessiver Orchester- und Stimmenrausch à la Strauss. Beide Pole vermittelten Dietger Holm und das Philharmonische Orchester überzeugend. Die ariosen heldentenoral hochgelagerten Strapazen, die Gál seinem Entenkuli Yang abverlangt, absolvierte Winfrid Mikus unerschrocken, und das elegante Parlando der Li kam Carly Owens lyrischem Sopran entgegen. Angeführt vom Mandarin des mit stetem Bariton singenden Ipča Ramanović war der chinesische Hofstaat und sein Umfeld bestens aufgestellt: mit der zupackenden, sich in den Text verbeißenden lyrischen Soubrette Hye-Sung Na als Tänzerin, James Homanns voluminösen Gaukler-Bariton, Wilfried Stabers mächtigem Bonze-Bass und Joao Terleira als buffonesk plapperndem Haushofmeister. Dazu Götter Björn Beyer, Lars Conrad und Han Kim, die von ihrem Sockel herabsteigen, sich unters Volk mischen, aus großen Papp-Bottichen Popcorn futtern und vor riesigen Mohnblüten und roten Lampions für eine liebestolle Nacht des Vergessens sorgen. Am Ende haben sie ausgedient und verkriechen sich unter den Abfalltüten, welche die fleißigen Müllmänner bald entsorgen werden. Im expressionistisch gewinkelten Bühnenbild Dirk Beckers versetzt Regisseurin Sonja Trebes ihren chinesischen Enten-Kuli in ein modernes Märchen, das zwischen Götterpodesten, Müllsäcken und Bistrotischen ebenso unentschieden zwischen den Stühlen sitzt wie die Vorlage.Rolf Fath