Bellinis „Bianca e Fernando“

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Bellinis Melodramma serio Bianca e Fernando steht im Schatten der weitaus populäreren Werke des Komponisten Norma, La sonnambula und I puritani. Das Werk auf ein Libretto von Domenico Gilardoni wurde 1828 am Teatro Carlo Felice in Genua uraufgeführt als Überarbeitung von Bianca e Gernando, das zwei Jahre zuvor am berühmten San Carlo in Neapel mit dem Text von Felice Romani seine erfolgreiche Premiere erlebte. Fast 200 Jahre später führt das Carlo Felice Genova Bellinis Oper von 1828 in der Inszenierung und Ausstattung von Hugo de Ana auf. Er hat digitale Mittel für die Bühnengestaltung genutzt – ein Bildschirmraster, einen Globus, ein Universum mit Satelliten – und mit den weißen Anzügen an Raumfahrer-Ausrüstung erinnert. Der nüchternen, technisierten Szene mangelt es an Kolorit und Atmosphäre. Wenn im 1. Finale eine Tafel mit Silbergeschirr und historischen Trinkbechern gedeckt wird, ist das dann ein eher stilistischer Fremdkörper innerhalb seiner Konzeption. Auch das surrealistische Bild à la Dalì oder De Chirico mit griechischen Statuen und einem umgestürzten Konzertflügel im 2. Akt verwirrt.

DYNAMIC hat die Vorstellung vom 30. November 2021als Blu-ray Disc herausgebracht (57954). Donato Renzetti leitet sie am Pult des Orchestra dell’Opera Carlo Felice Genova mit Gespür für die elegische Delikatesse der Komposition, aber auch deren Drive und Energie. Der Coro dell’Opera Carlo Felice Genova (Francesco Aliberti) in Schutzkleidung und Masken ähnelt Krankenpflegern oder Außerirdischen, singt mit Verve beim Empfang von Bianca („Viva Bianca“), dramatischem Puls im Finale I und in dem musikalisch aus Norma bekannten Chor „Tutti siam?“ mit ernstem, düsterem Ausdruck.

Bianca und Fernando sind die Kinder des von Don Filippo entthronten Herzogs Carlo, der in einem Keller gefangen gehalten wird. Um seine Macht zu festigen, verbindet sich Filippo mit Bianca, die aus einer früheren Ehe einen kleinen Sohn hat. Fernando gilt als verschollen, sogar tot, kehrt aber unerkannt zurück und geht in den Dienst bei Filippo. Von ihm wird er beauftragt, Carlo zu ermorden. Es gelingt ihm jedoch, seinen Vater zu befreien. Filippo wird gestürzt und verbannt.

Die weibliche Titelrolle ist mit Salome Jicia prominent besetzt. Rossini erprobt beim ROF in Pesaro, weiß die georgische Sopranistin um die interpretatorischen Mittel zur Gestaltung einer Bellini-Partie, die sie schon in ihrer Auftrittskavatine wirkungsvoll einsetzt. Mit Nachdruck erklingt die Stimme und wird bravourös geführt in der Stretta, die Normas „Ah! bello a me ritorna“ vorwegnimmt. Und in der Romanza a due voci „Sorgi, o padre“ mit ihrer Dienerin Eloisa (Carlotta Vichi mit fruchtiger Stimme) gibt es ein frühes Zeugnis der späteren berühmten Sopran/Mezzo-Duette des Komponisten. Und ihr fällt die bravouröse Schlussszene („Alla gioia ed al piacer“) zu – eine Primadonnennummer par excellence mit höchst virtuosem Anspruch, die sie glanzvoll meistert.

Hierzulande weniger bekannt ist der Tenor Giorgio Misseri in der männlichen Titelrolle, der sich der Partie mit ihrer extremen Tessitura (für die Tenor-Legende Rubini geschrieben) furchtlos stellt, aber bei den Spitzentönen doch einen gekrähten Klang nicht vermeiden kann. Den günstigsten Eindruck hinterlässt er im erregten Duett mit Bianca im 2. Akt durch vehemente Stimmgebung und dramatische Emphase.

Der vor allem im Rossini-Repertoire geschätzte Bass Nicola Uliveri stattet den Filippo mit Belcanto-Stilistik und resonanten Tönen seines reifen Bassbaritons aus, imponiert darüber hinaus mit autoritärer Erscheinung. Nur die Tiefe klingt matt, besonders in seiner Kavatine „Allor, che notte avanza“ zu Beginn des 2. Aktes. Alessio Cacciamani ist mit potentem Bass der Carlo, der erst am Schluss auftritt, zunächst mit einer getragenen Kavatine („Da gelido sudore“) und danach das Terzetto finale mit den beiden Titelhelden („Ecco la tomba“) bestreitet. Bernd Hoppe

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