Weit mehr als nur „Der Vampyr“

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Obwohl er einer der führenden romantische Opernkomponisten Deutschlands zwischen Weber und Wagner war, fristet Heinrich Marschner (1795-1861) seit langem ein Schattendasein und wird auf den Bühnen kaum aufgeführt. Dies drückt sich nicht zuletzt auch in der mageren Diskographie aus, wo selbst seine beiden populärsten Opern, Der Vampyr (1828) und Hans Heiling (1833), unzureichend vertreten sind. Wieder einmal ist es Naxos zu verdanken, sich eines zu Unrecht Vergessenen anzunehmen. Die kompletten Ouvertüren und die Bühnenmusik Marschners sollen sukzessive erscheinen. Vol. 1 ist bereits auf dem Markt (Naxos 8.574449).

Von den fünf inkludierten Werken sind sage und schreibe vier Weltersteinspielungen. Die einzige Nichtpremiere stellt die kaum fünfminütige Ouvertüre zur Oper Der Holzdieb nach Johann Friedrich Kinds Lustspiel (1823) dar. Mit der Ouvertüre zur Oper Der Kyffhäuser Berg (1816) – adaptiert nach der Volkslegende von August von Kotzebue – legt man erstmals die Einleitung zu Marschners frühestem Bühnenwerk überhaupt vor. Der damals gerade 21-Jährige zeigt indes schon hier eine unbestreitbare Befähigung zur Tonschöpfung. Bei den drei übrigen Werken handelt es sich um Schauspielmusik, wie sie im 19. Jahrhundert eine Hochblüte erlebte. Von Schön Ella – für Kinds Volkstrauerspiel nach der unheimlichen Ballade Lenore von Gottfried August Bürger – und Ali Baba, oder Die vierzig Räuber – für Karl Gottlob Theodor Winklers Schauspiel – (beide 1823) inkludiert das Label nicht bloß die hörenswerten Ouvertüren, sondern auch weitere Instrumentalstücke, darunter diverse Entr’actes und die recht umfängliche Ballettmusik. Die Ouvertüre zum Liederspiel Die Wiener in Berlin von Karl Eduard von Holtei (1825), humoristisch auf die kulturellen Unterschiede zwischen Österreichern und Preußen referierend, stellt den Abschluss der mit gut 71 Minuten ordentlich bestückten CD dar.

Eine wirkliche Individualität mag diesen frühen Werken aus des Komponisten Dresdner und Leipziger Phase zwar letztlich noch etwas abgehen, doch sind bereits hier das melodiöse Talent Marschners und sein Einfallsreichtum unverkennbar. Für die Einspielungen zeichnet abermals das sehr bewährte Tschechische Philharmonische Kammerorchester Pardubice unter dem Dirigenten Dario Salvi verantwortlich. Glücklicherweise tut sich bei den Pardubitzern zu keinem Moment das Gefühl eines zu dünnen Streicherklanges auf, wie es bei Kammerensembles teilweise der Fall ist. Dafür sorgt auch die von der Tontechnik sehr adäquat eingefangene Akustik im Hause der Musik zu Pardubice in der Tschechischen Republik (Aufnahme: 24.-26. und 31. Jänner 2022). Die Textbeilage (nur auf Englisch) ist ausreichend informativ. Daniel Hauser