Und noch einer …

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Ein omnipräsenter Don Giovanni, drei der Nymphomanie nicht allzu ferne Damen, eine wie eine Graphik aussehende drehbare Halbruine in Grautönen sind von der Premiere im Jahre 2014 noch vorhanden, ebenfalls die Donna Anna von Malin Byström, während ansonsten auf der Aufnahme aus dem Jahre 2019 die schöne Nackte durch schemenhafte weibliche Wesen, die sich über die Szene schleichen, und das gesamte Restensemble ersetzt wurden. Kasper Holten hielt offensichtlich nicht viel von weiblicher Sittsamkeit in seiner Londoner CG-Inszenierung von Mozarts Don Giovanni, denn die behutsam fürsorglichen Don Ottavio und Masetto finden bei ihren Damen weit weniger Anklang als der sittenlose Don, und diese machen sich eines Verbrechens, dessen sonst eher Männer bezichtigt werden, nämlich unermüdlichen Grapschens durch die Bank und von Anfang bis Ende schuldig.

Sehr vielmehr Bühnen- und auch vokale Präsenz als sein Vorgänger hat Erwin Schrott in der Titelpartie, damit allerdings ist nicht unbedingt lupenreiner, eleganter Mozartgesang verbunden, so wie auch der Leporello von Roberto Tagliavini, längst ein basso profondo, sehr dunkel und sehr gewichtig klingt und das nicht nur im genüsslich zelebrierten  „maestosa“. Schrotts Stimme klingt süffiger, kostet mit hörbarer Wonne aus, was auszukosten ist, scheut auch vor Deftigkeit nicht zurück, genau so wenig wie in der Darstellung, wenn zu „lasciar le donne“ Brechreiz realistisch dargestellt wird. Beim Don Ottavio von Daniel Behle konkurrieren miteinander verordnete darstellerische Blässe mit letztendlich doch triumphierender vokaler Sensibilität, viel Zärtlichkeit in der agogikreich geführten Tenorstimme, einer wunderbar stilsicher im Piano gesungenen zweiten Strophe von „Il mio tesoro“, die den entsprechend herzlichen Beifall des Publikums provoziert. Auch der Masetto von Leon Košavić weiß stimmlich zu gefallen, selbst wenn seine sanften Zärtlichkeiten der aufgekratzten Zerlina nicht zu genügen scheinen. Genügend akustisches Gewicht gibt Petros Magoulas dem Commendatore, an den nicht eine Statue, sondern nur eine Büste, die zudem von Don Giovanni zertrümmert wird, erinnern darf.

Malin Byström, die in der Premierenserie noch eine recht zartstimmige Donna Anna gab, hat nun an corpo und Farbe des Soprans gewonnen, bei ihr entsteht manchmal der Eindruck, dass der Zwang, ein verlogenes Aas spielen und zugleich eine zarte, verletzte Seele singen zu müssen, beide Ambitionen behindert. Davon abgesehen, ist ihre Leistung eine hoch anzuerkennende. Weniger präsent und ausgeglichen klingt die Donna Elvira von Myrto Papatanasiu, deren Sopran recht spröde ist, deren Intervallsprünge scharf klingen und die von „dolce maestà“ wenig spüren lässt. Einen angenehmen lyrischen Sopran setzt Louise Alder für die Zerlina ein, auf die der arme Masetto stets ein wachsames Auge haben sollte. Aber auch Don Ottavio wird mit Donna Anna kaum eine stetig liebende Ehefrau gewinnen können. Zur aus dieser Einsicht erwachsenden Tristesse trägt auch die eindrucksvolle, aber gespensterhausgleiche Szene von Es Devlin bei, während die opulenten Kostüme von Anja Vang Kragh einen attraktiven Kontrast dazu bieten. Hartmut Haenchen ist am Dirigentenpult der kompetente Anwalt Mozarts und den Sängern hilfreich zur Seite stehend. Mal sehen, ob es in Bälde noch weitere Aufnahmen dieser Produktion gibt, deren Aufführungen nicht nur auf London beschränkt waren (Opus Arte 1344D). Ingrid Wanja