Die Geburt der Oper am Hof der Medici

 

Die Uraufführung von L‘Orfeo des Komponisten Claudio Monteverdi 1607 in Mantua war nicht die erste Oper, aber der frühe erste Höhepunkt der Gattung, die in Florenz ihre Geburt erlebte. Wie konnte dieses Meisterwerk entstehen? Der junge französische Barockexperte Raphaël Pichon und sein Ensemble Pygmalion bieten nun im Jahr von Monteverdis 450. Geburtstag ihre ganz eigene Recherche zu den frühesten Zeiten der Oper am Hof der Medici. Auf 2 CDs vereint Stravaganza d’Amore! rekonstruierte Musik aus Intermedien, musikalische Zwischenspiele bei fürstlichen Festivitäten und des Karnevals, die als Vorform der Oper schon vieles enthalten, was Monteverdi dann verdichtete. Zu hören ist Musik von  Lorenzo Allegri, Antonio Brunelli, Giovanni Battista Buonamente, Giulio Caccini, Emilio de‘ Cavalieri, Girolamo Fantini, Marco da Gagliano, Cristofano Malvezzi,  Luca Marenzio, Alessandro Orologio, Jacopo Peri und Alessandro Striggio, die zwischen 1589 (La pellegrina) und 1608 (Gaglianos Dafne) in Florenz aufgeführt wurde und die von Pichon zu vier neuen, imaginären Intermedien kombiniert wurden. Das Schauspiel La pellegrina von Girolamo Bargagli wurde anlässlich der Hochzeit zwischen Ferdinando I. de Medici und Christina von Lothringen aufgeführt, deren Festlichkeiten mehrere Wochen dauerten. Sechs Komponisten schufen musikalische Zwischenspiele, die Bühnentechnik, Kostüme  und Choreographie erforderten. Das Publikum war anscheinend so verzaubert, dass das Schauspiel zur Nebensache wurde. Florenz wurde das Laboratorium, in dem Komponisten neue Formen entwarfen und sich die Zwischenspiele zu eigenständigen Spektakeln entwickelten konnten.

Stravaganza d’Amore! bei harmonia mundi france

Diese Entwicklung will die vorliegende Einspielung aufzeigen. Die Zusammenstellung ist wirkungsvoll, es ist keine Musik, die man noch nie gehört hat, aber Musik, die man so noch nie gehört hat und den Ausdrucks- und Ideenreichtum der frühen Schöpfer in größerem Kontext hervorhebt und würdigt. Pichon gelingt diese phantasievolle Zusammenstellung (fast) durchgängig sehr überzeugend – se non è vero, è ben trovato, man glaubt beim ersten unvoreingenommenen Zuhören, dass die Intermedien real sind. Das erste Intermedium „All’imperio d’Amore“ beginnt mit der Toccata La Renuccini von Girolamo Fantini, Zinken und Posaunen leiten die Festlichkeiten ein, die die Liebe feiern. Das zweite Intermedium „La Favolla d’Apollo“ hat pastorale Momente, Hirten und Nymphen  treten auf, Dafne entzieht sich den Nachstellungen Apollos durch die Verwandlung in einen Lorbeerbaum. An dritter Stelle folgt „Le Lagrime d’Orfeo“ – die Tränen des Orpheus beinhalten die Liebe des Sängers zu Eurydike (und hier ist die Balance mit zu viel Lamentos nicht ganz gelungen), musikalisch konzentriert man sich auf L’Euridice von Peri (1600, anlässlich der Heirat zwischen Maria de Medici und dem französischen König Henri IV) und Caccini (1602). Zum Abschluss ist dann „Il Ballo degli reali Amanti“ zu hören. Emilio de‘ Cavalieri war Musikdirektor für La pellegrina und komponierte auch selber eine der sechs Intermedien, den Ballo – ein rhythmischer Tanz über einem ostinaten Bass, der damals überregional bekannt wurde und den andere Komponisten später aufgriffen, beschließt die Aufnahme, die 37 Nummern und ca. 100 Minuten Musik bietet. 12 Solisten, 24 Chorsänger und 27 Musiker sind beteiligt und bestens disponiert, sie alle gestalten sorgfältig und engagiert. Man hört Instrumentalstücke, Chöre und Vokalsolisten, das Ergebnis ist opulent und festwürdig, aber mit einer großen Schwäche: die Aufnahme aus der Versailler Chapelle Royal hat zu viel Hall, der Klang verliert an Dichte und wird breiig. Wäre der Klang klarer, hätte man hier eine herausragende Einspielung frühbarocker Operngeschichte. Stravaganza d’Amore! ist nicht einfach der Titel einer Doppel-CD, sondern eines kleinen Buchs mit Texten, Libretto und Abbildungen, in dem Pichon sowie zwei Musikwissenschaftler dreisprachig auf ca. 150 Seiten (davon ca. 23 Seiten in deutscher Übersetzung) über Historie und Auswahl referieren. Wer sich für Monteverdis Musik und frühe Opern begeistert, wird bei dieser gelungenen Rekonstruktion fündig. (Stravaganza d’Amore!, harmonia mundi, HMM902286.87) Marcus Budwitius