Ivar Hallströms Oper „Den Bertagna“

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Was fällt uns theaterübersättigten Mitteleuropäern zur nordischen, bzw. schwedischen Oper ein? Abgesehen von Josef Martin Kraus und seinem Umkreis während der Periode um Gustav III? Nicht übermäßig viel, ohne nun schwedische Komponisten der näheren Gegenwart diskriminieren zu wollen. Natürlich gibt es Hugo Alfvén, Allan Pattersson, Gunnar de Frumerie, Kurt Atterberg, Wilhelm Stenhammar (über die wir in operalounge.de berichteten), Ture Rangström und viele, viele mehr, wie uns Wikipedia belehrt. Aber wie präsent sind sie uns? Und wer kennt nun Ivar Hallström (1826 – 1901)? Dabei wurde seine Wikingeroper Vikingarna 2016 in Göteborg zusammen mit zwei weiteren schwedischen Spätromantikern konzertant aufgeführt und kürzlich im Radio gesendet – Anlass also, sich mit Hallström zu beschäftigen.

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Hallströms Oper „Den Bergtagna“ bei Sterling mit einem Bühnenbild auf dem Cover zum 1. Akt der Oper von Fritz Ahlgremsson/ Foto Sterling/ Mats Becker/ Kungliga Operan Stockholm)

Er ist mit mindestens zwei Gesamtaufnahmen doch sehr präsent vertreten, namentlich seine Märchenoper Den Bergtagna (Die Braut des Bergkönigs, Stockholm 1874), die mit einer schönen Aufnahme bei Sterling (CDO-1001/2) in einer Aufnahme von 1997/1987 vorliegt (Naxos hat eine weitere Hallström-Oper: Duke Magnus and the Mermaid  nach Andersen unter Niklas Willén), Sterling nahm zudem Ballettmusiken von Hallström auf/ CDS-1033-2) ). Alan Hacker (der auch die Wiederaufführung an der Stockholmer Folkoperan 2005  leitete) dirigiert eine illustre Crew, die von Hillevi Martinpelto als Ingeborg angeführt wird. Monika Sjöholm singt ihre Mutter Ragnhild, dazu kommen Lars Billengren, Helge Lammerbäck, Karl-Robert Lindgren und weitere; es spielt und singt das Umea Symphony Orchestra und der Chor der Norrland Opera. Es ist dies der Soundtrack einer Fernsehverfilmung der Oper anlässlich ihrer modernen Erstaufführung 1986 an der Norrlandopera (dazu nachstehend mehr).

Die musikalische Kraft, die schönen Melodien und auch die stimmungsvolle Atmosphäre des Märchenhaften kommen in Hallströms späromantischer, an der französischen Oper  orientierten Musiksprache fabelhaft zur Geltung – eine Empfehlung!

Zu „Den bergtagna“: der Autor Anders Wiklund, Professor an der Göteborg Unversität und Herausgeber vieler Operneditionen sowie selber auch Komponist und Autor zahlreicher Werke namentlich zum Belcanto/ Universität Göteborg

Im Folgenden gab uns Anders Wiklund, der schwedische Musikwissenschaftler und Komponist von internationalem Renommée und Herausgeber zahlloser Operneditionen (zuletzt in Wexford 2017 Foronis frisch ausgegrabene Oper Matilda), die Erlaubnis, seinen Text aus der Beilage zur Bergtagna bei Sterling hier wiederzugeben – wir danken sehr! Er führt uns in die Welt der schwedischen Oper und portraitiert einen fast vergessenen Komponisten und seine Zeit, dessen Bekanntschaft sich wirklich lohnt. G. H.

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„Erhebe dich, König des Berges, öffne dein Tordie Wiederentdeckung der schwedischen National-­Oper: Im 19. Jahrhundert gab es auf dem Gebiet der schwe­dischen Oper relativ wenige einheimische Werke. Die Musikgeschichte ist reich an Komponisten, die die Be­rufung empfanden, für die Bühne zu schreiben, und wie wir wissen, waren die Auserwählten gering an der Zahl. Dies betrifft auch Schweden. Die schwedischen Opern konnten einem Wagner oder Verdi wenig entgegen­setzen – ihre Werke wurden an der Stockholmer Oper während des zweiten Teiles des 19. Jahrhunderts immer häufiger aufgeführt. Auch die beliebten französischen Opern, allen voran Gounod, boten den Schweden über­mächtige Konkurrenz.

Zu „Den Bergtagna“:der Komponist Ivar Hallström/ OBA

Trotzdem: Wenn man die schwedischen Opern des 19. Jahrhunderts studiert, wird man finden, dass sie oft­mals ungeahnte Schönheitserlebnisse, verdichtete At­mosphäre und erstklassige musikalische Dramatik bringen. Der wichtigste schwedische Opernkomponist war Ivar Hallström. Er ist der Großmeister der schwe­dischen Opernkunst. Ein schwedischer Gounod, ja, sogar ein schwedischer Verdi. Und er sollte im natio­nalen Stil seinen größten Triumph feiern: die Oper Den Bergtagna (Die von den Berggeistern Verzauberte) aus dem Jahre 1874.

„Ich lebte ein sehr glückliches Leben, ohne größere Schicksalsschläge. Mit viel Applaus und großen Er­folgen und gewiss einigen kleinen Verdrießlichkeiten“. So fasst Ivar Hallström in den 1890er Jahren sein Leben zusammen, das 1826 in Stockholm begonnen hatte. Nach sehr frühen Klavierstudien widmete er sich der Rechtswissenschaft. 1849 legte er an der Uppsalaer Universität eine höhere juristische Prüfung ab und wurde im selben Jahr ein hoher staatlicher Beamter.

1852 unterbrach er seine Beamtenkarriere, um sie ganz dem Komponieren und dem Unterrichten zu widmen. Er hatte bei Adolf Fredrik Lindblad Unterricht genommen. Einige Zeit in den 1880er Jahren war Hall­ström auch am Kgl. Theater (der Stockholmer Oper) als Korrepetitor tätig.

Von Ingvar Hallström hat Sterling auch eine interessante Ballett-CD herausgegeben (s. Text)

Hallströms erste Kompositionen waren Sololieder, und da er ein hervorragender Pianist und Begleiter war, wurde sein Name bald sehr bekannt. Vokale Musik ist in seinem Schaffen vorherrschend. Nur seine drei Ballette En dröm (Ein Traum, 1871), Skottland (In Schottland, 1875) und Melusina (1882) sind instrumental. An­sonsten besteht sein Gesamtwerk aus Liedern, Kan­taten, Chorkompositionen und Opern. In den 1840er Jahren war Hallströms Stil von den damaligen, klassi­zistischen Strömungen unabhängig, während die 1850er Jahre von einem starken Einfluss der französischen Musik geprägt sind. Dass Hallström vor allem hinsicht­lich Harmonik, Instrumentation und Gestaltung der vokalen Linien ziemlich viel von etwa Gounod und Meyerbeer gelernt hatte, wird von den zahlreichen Ab­schriften französischer Opern in seiner Notensammlung bestätigt, Abschriften, die er selbst machte. Eine erprobte Art für einen Komponisten, das musikalische Hand­werk zu erlernen, wenn kein regelrechter Musikunter­richt zu haben war. Überhaupt verschmilzt Hallström einen großen Teil des europäischen Musikerbes, um daraus eine eigene, einzigartige Tonsprache zu machen, mit einem zum musikalischen Credo erhöhten Eklekti­zismus! Dazu kommt seine meisterhafte Fähigkeit, schwedische Folklore zu imitieren, um sie einmal seine Musik beherrschen, ein anderes Mal als Kontrast dienen zu lassen. Es ist auch ein schwedisches Volkslied, das als Inspiration zu seinem wohl größten Publikumserfolg diente, Den Bergtagna. Es handelt von der Jungfrau, die auf dem Wege zur Christfrühmette vom König des Berges geraubt wird, um seine Braut zu werden.

Den Bergtagna war Hallströms fünftes Bühnen­werk. Die Oper besteht aus 25 Musiknummern, die aber ganz offen stehen und durch begleitete Rezitative inein­ander übergehen. Die Melodik hat eine farbenprächtige Schönheit, in welcher nicht nur die Folklore erkennbar ist, sondern auch seine eigene, unorthodoxe Melodik, mitunter mit einem französischen Duft gewürzt. Durch seine Orchesterbehandlung verstärkt er den melo­dischen Verlauf und die Dramatik. Bei Den Bergtagna beginnend klingt sein Orchester raffiniert und klanglich gesättigt, stets in Übereinstimmung mit dem szenischen Drama. Man hat zwar Den Bergtagna als schwedische Nationaloper bezeichnet, aber dies ist nicht ganz zu­treffend. Es stimmt, dass Hallström und sein Librettist Frans Hedberg den Text des schwedischen Volksliedes als Grundlage für ihre Erzählung verwenden, aber die Geschichte ist auch in anderen abendländischen Kul­turen zu finden, und obwohl das Volkslied an verschie­denen Stellen zitiert wird, ist es das einzige an schwe­discher Folklore, das in der Oper vorkommt. Der mittel­europäische Einfluss auf Hallströms Musik ist übrigens so groß, dass das echt Schwedische etwas abseits ge­raten ist. Es ist besser, die Oper so einzustufen, wie sie ist: eine grandiose Opernkunst der internationalen Klasse, von Schweden geschaffen, die die Behauptung überzeugend widerlegen, die schwedische Opernkunst des 19. Jahrhunderts sei uninteressant!

Zu „Den Bergtagna“: Auch Zulamith Wellander sang die Bergadrottningen/ OBA

In den drei Jahren nach 1874 wurde Den Bergtagna insgesamt 44mal gespielt. Im April 1876 wurde das Werk in München inszeniert, und im Mai desselben Jahres in Kopenhagen, wo die Kritiker erstaunlich ne­gativ waren. Die Oper wurde auch in Hamburg gegeben. Für die deutschen Bühnen hatte Hallström eine kürzere Fassung gemacht, mit drei Akten und nur 18 Musik­nummern. Bis 1910 war Den Bergtagna insgesamt 84mal an der Stockholmer Oper gespielt worden. Seither fehlt sie ganz im Repertoire, mit Ausnahme einiger Auf­führungen einzelner Akte. Erst im Dezember 1986 er­lebte die Oper eine Wiedergeburt an der Norrlandoper, deren Interpretation wir jetzt hören können.

Die Einstellung seiner Zeitgenossen zu Hallström war ambivalent. Im breiten Musikpublikum war er zweifelsohne ein beliebter Komponist, und mit neun Uraufführungen an der Stockholmer Oper war er wirk­lich der schwedische Opernkomponist. Sämtliche Opern erlebten auch eine ansehnliche Anzahl Vorstellungen. Als Musikdramatiker hatte Hallström im Schweden des 19. Jahrhunderts kein Gegenstück. Seine Texte waren eindeutig die besten, vor allem durch die Zusammen­arbeit mit Frans Hedberg, und Hallströms Musik ist den dramatischen Forderungen gut angepasst. Hedbergs Fähigkeit, eine direkte und stringente Sprache zu schreiben, mit einem fließenden, dramatischen Dialog und einem untrüglichen Gefühl für Dramatik und Form, war, wie man an Den Bergtagna sieht, eine ideale Vor­aussetzung für Hallström.

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Zu „Den Bergtagna“: Zeitschriften-Illustration zur Oper, 1875/ OBA

Hallströms nächste Oper nach Den Bergtagna war Vikingarna (1877). Stellenweise steht sie in musika­lischer Hinsicht auf einer höheren Ebene als die Vor­gänger. Der Einfluss Wagners ist hier eindeutiger, selbst wenn Hallström sich vom Zauberer in Bayreuth nie ganz verführen ließ. In Vikingarna werden zwei Milieus einander gegenübergestellt: das schwere altnordische und das leicht tänzerische provenzalische. Die Musik entspricht elegant dieser farbenprächtigen Dramatik, und die Oper wurde beinahe ebenso oft gespielt wie Den Bergtagna. Hallströms bedeutendste Oper nach diesen beiden Werken mit nordischen Themen war Neaga (1885) mit einem Libretto von Carmen Sylva, Pseudo­nym der Königin Elisabeth von Rumänien. Dieses rumänische Freiheitsdrama hat sämtliche Merkmale der europäischen Operntradition, und Hallström zeigt, dass er auch dieses Stils mächtig ist. Durch seine umfassenden Reisen in Europa wusste er sehr wohl, was auf den Opernbühnen der Gegenwart vor sich ging. In Neaga finden wir kraftvolle Farben, plötzliche Stimmungs­wechsel, einen manchmal rauh geschilderten, jähen Tod, was man von einem Nordländer kaum erwartet. Hallström überzeugt aber wieder einmal, selbst wenn er zwecks größerer dramatischer Konzentration viele Be­arbeitungen vornahm.

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Als Ivar Hallström im April 1901 das Zeitliche seg­nete, war das musikdramatische Klima ein anderes. Die Musik der neuen Zeit war im Anzug, die Ansätze waren schon gemacht worden. In diesem Licht erscheint natür­lich der schwedische Orpheus als hoffnungslos ver­altet. Im musikdramatischen Licht leuchtet er aber mit starker, unbesiegbarer Flamme. Er fing sein Zeitalter ein; aus dessen Bildern, Düften, Musik, Stimmen schuf er eine lebendige schwedische Opernkunst, deren Be­deutung wir nur ahnen können.

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Zu „Den Bergtagna“: Szene aus der Norrland-Opera-Produktion/ Sterling

Über die Sterling-Aufnahme: Diese Aufnahme von Den Bergtagna wurde von der Fassung gemacht, die im Dezember 1986 von der Norr­landoper gebracht wurde. Das Tonband wurde vom Schwedischen Fernsehen für eine Sendung des Werkes gemacht, und es handelt sich somit um eine szenische Fassung der Oper. Gegenüber dem Klavierauszug wurden deswegen mehrere Sprünge gemacht. Die Tra­dition von Hallström und Hedberg wird dadurch weiter­geführt, denn bereits sie selbst hatten umfassende Änderungen vorgenommen, um den Verlauf der Hand­lung effektvoller und konzentrierter zu gestalten. Bei der Aufführung in Umeä wurden das Ballett und der Einzug der Berggeister am Schluß des dritten Aktes ge­strichen. Sie wurden jetzt durch eine Neuaufnahme dieser Musik wieder hergestellt. Per-Erik Öhrns Insze­nierung beginnt damit, dass sich die Bauern zu einem Weihnachtsfest versammeln. Einer der Knechte singt das schwedische Volkslied von der Jungfrau, die vom König des Berges verzaubert wird (CD 1, Track 1). Mit diesem Lied wird das Märchen heraufbeschworen, die Bauern gehen in die verschiedenen Rollengestalten des Märchens auf, und die Oper beginnt mit der Orchestereinleitung (Track 2). Das Gegenteil geschieht am Schluss der Oper, wo Ingeborg beim Glockengeläute der Früh­mette und beim Chorchoral, mit dem Hallström die Oper beendet, erwacht. Wir gehen aus dem Märchen in die Wirklichkeit zurück; das kurze Orchesternachspiel ist gestrichen. © Anders Wiklund 1998;  Übersetzung: Julius Wender (mit Dank an Sterling/ Foto oben Caspar David Friedrich: Das Eismeer/ Hamburger Kunsthalle/ Wiklpedia)

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.